Tessa Koch

Wounded World


Скачать книгу

so nähern wir uns doch Arkansas, unserem Ziel. Seit wir Marsha und Lexi getroffen haben, sind vier Tage vergangen. Seit sie bei uns sind, lachen wir mehr, wir erzählen uns Geschichten aus unseren alten Leben, lenken uns gegenseitig von dem ab, was um uns herum geschieht. Auch wenn ich es genossen habe, Liam nur für mich zu haben, habe ich bisher nicht eine Sekunde bereut, dass wir sie mitgenommen haben.

      Wieder fährt Liam, wir sind auf einer abgelegenen Straße, versuchen Atlanta so weitläufig zu umfahren wie möglich und nach Alabama zu gelangen. Wir unterhalten uns gerade über Sitcoms, die wir früher gerne gesehen haben, es fühlt sich beinahe so an, als würden wir von einer völlig anderen Welt reden. Ich weiß, dass auch die anderen die Wehmut, diese Trauer spüren müssen, die auch mich überkommt, in Erinnerung an unser altes Leben. Dennoch ist es besser über das zu reden, was wir verloren haben, als über das zu sprechen, was wir vielleicht noch verlieren werden.

      Wir lachen gerade über Lexis Imitation von Marge Simpsons, als Liam jäh abbremst. „Ach du Scheiße“, sagt er, als wir in Schrittgeschwindigkeit an einem demolierten Auto vorbeifahren. Seitlich ist es gegen einen Baum geprallt, die Karosserie ist völlig zerstört. Ein Parasit liegt unter den Vorderreifen, vermutlich war er der Grund, weswegen das Fahrzeug von der Straße abgekommen ist. Langsam rollen wir an dem Wrack vorbei, ich besehe das rote Fahrzeug, mein Blick fällt auf einen Aufkleber auf der Heckscheibe, der nur noch halb zu lesen ist. … we trust.

      „Halt an!“ Meine Augen weiten sich, ich rutsche nah an das Fenster heran. „Liam, du musst anhalten!“ Ich versuche den Wagen im Blick zu behalten, sehe ihn auf einmal unbeschädigt an einem anderen Ort, einem anderen Tag.

      „Nein.“ Ich blicke zu Liam, sehe den Ausdruck in seinem Gesicht und weiß, dass auch er den Wagen erkannt hat. Dass auch er weiß, wer mit diesem Auto aufgebrochen ist. Der Grund, weswegen wir uns überhaupt begegnet sind.

      „Liam, bitte.“ Ich sehe ihn einfach nur an, kann nicht fassen, dass er weiterfährt.

      „Wozu, hä? Damit du in dem Wrack irgendwelche Toten siehst? Vielleicht noch von Parasiten angefallen wirst? Oder noch schlimmer: Sie sind es, tot, und dann? Was ist dann, sag mir das mal!“

      „Ich will nur nachsehen, ob jemand überlebt hat“, erwidere ich ruhig.

      „Ja genau, wem willst du das erzählen? Ich erkenne den Wagen wieder, das, was von ihm übrig geblieben ist“, sagt er hart. „Dieser bescheuerte Heckscheiben-Aufkleber. Den fand ich damals in Washington schon dämlich, als ich ihn das erste Mal gesehen habe.“

      „Liam. Halt. An.“ Meine Hände zittern mit einem Mal vor Wut.

      „Nein!“ Er wirkt nicht weniger erzürnt als ich.

      „Tu es“, mischt Marsha sich leise ein. Ich habe sie und Lexi vergessen, einfach ausgeblendet. Nun bin ich überrascht, dass sie unserer Unterhaltung folgen können, sie sich sogar auf meine Seite stellt. „Für ihr Seelenheil, Junge.“

      Liam sieht zu mir, blickt mir direkt ins Gesicht. Dann tritt er hart das Bremspedal durch, legt den Rückwärtsgang ein. Neben dem Wrack halten wir an, ich betrachte den Wagen, versuche ihn mit dem Bild aus meiner Erinnerung in Einklang zu bringen, dem Jeep, in dem Adam und Clarissa aufgebrochen sind. Ohne mich. Ich schnalle mich ab, will aus dem Transporter steigen, doch Liam hält mich fest. „Ich komme mit. Keine Widerrede.“ Unsere Blicke treffen sich, seine Augen voller Wut. Ich entreiße ihm meinen Arm, steige aus, ohne etwas zu erwidern.

      Langsam gehe ich auf das Wrack zu, betrachte die zersplitterten Scheiben, den verzogenen Rahmen. Die Türen stehen weit offen, der Airbag hat sich bei der Kollision mit dem Baum geöffnet, doch ich sehe kein Blut, keinen Menschen, ob lebend oder tot. Ich gehe einmal um das Auto herum, hocke mich dann vor den Parasiten hin, der unter den Rädern liegt. Sein Schädel ist zertrümmert, doch es ist nicht beim Aufprall passiert.

      „War’s das jetzt? Keiner ist hier, können wir dann weiterfahren?“

      Suchend blicke ich zwischen die Bäume. „Sie müssen hier irgendwo sein, Liam.“

      „Ja, vermutlich als wandelnde Tote! Sie haben einen verdammten Parasiten überfahren, was denkst du, wie groß ihre Überlebenschancen da waren?“

      „Aber er war unter dem Wagen eingeklemmt. Und sein Schädel ist eingeschlagen.“ Ich erhebe mich langsam, mein Blick ruht noch immer auf dem Wald. „Ich werde nachsehen, ob sie hier irgendwo sind.“

      Wieder fasst mich Liams Hand am Arm, dieses Mal fester als zuvor. „Wir werden jetzt nicht in diesem Wald nach irgendwelchen Hirngespinsten von dir suchen! Ich gehe nicht bei dem Versuch drauf, irgendwelche Arschlöcher aus Washington zu finden, die hier wahrscheinlich niemals lang gekommen sind!“

      „Schön, dann gehe ich eben alleine!“ Wieder entreiße ich ihm meinen Arm. „Wenn du dir so sicher wärst, dass sie es nicht sind, dann würdest du nicht so sein.“ Mein Blick ist kalt, so wie meine Stimme. „Wovor hast du Angst, Liam?“

      „Ich – ich habe keine Angst.“ Er schlägt die Augen nieder, schafft es nicht, mich weiterhin anzusehen. „Ich will nur keine kostbare Zeit verschwenden.“

      „Dann geh zurück zu den anderen, deine kostbare Zeit nutzen, während ich mich umsehe.“ Ich zücke die Harke, trete dann ohne ein weiteres Wort zwischen die Bäume. Hinter mir höre ich ihn leise seufzen, dann seine Schritte. Er folgt mir, egal wie wütend er auch sein mag, er will mich nicht alleine lassen.

      Leise schleiche ich durch den Wald, lausche auf irgendwelche Geräusche. Doch außer Liam hinter mir höre ich nichts. Die Harke erhoben gehe ich weiter, höre rechts von mir ein Rascheln. Ich fahre herum und sehe den Vogel, der unter einem Busch hervorkommt. Langsam lasse ich die Harke wieder sinken, hänge sie in meinen Gurt und entspanne mich etwas.

      Im nächsten Moment frage ich mich, was ich hier eigentlich tue. Clarissa hat mich damals niedergeschlagen, sie wollte mich nicht dabei haben, aus Angst, ich könne ihr Adam irgendwie wegnehmen. Und er … er ist nicht zurückgekommen. Was immer sie ihm auch erzählt hat, weswegen ich nicht bei ihr war, er hat es ihr einfach geglaubt, und ist dann mit ihr gefahren, fort. Und ich bin alleine dort zurückgeblieben, ohne Waffen, ohne Schutz. Ohne eine Chance.

      Ohne Liam wäre ich nicht einmal lebend aus Washington herausgekommen, er hat mir das Leben gerettet, mehr als einmal. Seit wir uns kennen ist er immer für mich da gewesen, hat sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt, um mich nicht zu verlieren, immer und immer wieder. Und nun beharre ich darauf einer Vergangenheit hinterherzujagen, die unsere Mühen nicht wert ist, mehr noch, die Liam verletzt. Weil ich ihn und alles, was er für mich getan hat, somit in Frage stelle.

      Ich bleibe augenblicklich stehen, als mir diese Erkenntnis kommt. Er ist sofort neben mir, schaut in den Wald, vielleicht weil er denkt, dass ich etwas gesehen habe, dass mich so abrupt anhalten lässt. Doch außer meinen Fehlern sehe ich nichts. Ich wende mich ihm zu, nehme sein Gesicht fest in meine Hände. Die Verwunderung spricht aus seinem Blick, doch ich sehe auch Wärme, Zuspruch, Hoffnung, Zärtlichkeit in seinen grauen Augen.

      „Liam“, sage ich, sehe ihn an. „Du hast recht, ich bin einfach … blöd. Sie waren es nicht und selbst wenn, dann ist es mir egal. Sie zählen nicht, nicht mehr, denn ich habe jetzt dich. Es tut mir leid, dass ich dich dazu gedrängt habe. Wirklich.“

      Seine Hände legen sich auf meine, ziehen sie sanft von seinem Gesicht. Dann umfasst er sie fest. „Blondie, du bist die verrückteste, sprunghafteste Frau dieser Welt.“

      „Bei unserer jetzigen Welt könntest du vielleicht sogar recht haben.“

      Er lacht, kommt mir dann näher. „Aber es ist toll, dass du so bist, dass weißt du doch, oder?“ Er sieht mich an, sein Blick ist sanft, beinahe liebevoll. „Mach dir keine Gedanken, wir haben nachgesehen, uns auch hier im Wald etwas umgeschaut und jetzt können wir zum Transporter zurück und weiter, ohne dass wir uns fragen müssen, ob es nicht ein Fehler war einfach weiterzufahren. Es ist nicht schlimm.“

      „Und deine kostbare Zeit?“, werfe ich ein, lächle schwach.

      Er erwidert es. „Ist gut genutzt,