Tessa Koch

Wounded World


Скачать книгу

muss es erwidern.

      Liam seufzt leise neben mir. „Dann ist ja gut.“

      „Wir sind hier alle lebend angekommen.“ Ich boxe ihn sanft gegen den Arm. „Ein bisschen mehr Freude, wenn ich bitten darf.“

      „Entschuldige“, sagt er, das für ihn typisch schelmische Grinsen breitet sich langsam auf seinem Gesicht aus. „Ich dachte, ich würde dich endlich los werden.“

      Ich lache auf, drehe mich dann wieder zu den anderen um. „Liam hat einen ziemlich schwarzen Humor, zumindest hoffe ich, dass es sein Humor ist.“ Wieder lache ich, so wie auch er. „Wenn er sowas sagt, dürft ihr ihn also nicht zu ernst nehmen.“

      „Das hätte ich sowieso nicht.“ Marsha feixt. „Als wir hier auf euch gewartet haben, ist der junge Mann hier von einen Fuß auf den anderen getreten, er hat sich ganz schöne Sorgen gemacht. Und Lexi, Liebes, du weißt, dass du ein tolles Mädchen bist. Aber ich glaube, dass es deinetwegen war“, sagt sie und tippt mir gegen die Schulter.

      „Ach, wirklich?“ Ich ziehe eine Braue hoch, sehe Liam grinsend an.

      Auch er grinst. „Sie lügt.“ Wir müssen alle lachen. „Wie können Sie mir das nur antun, Marsha?“, fragt er dann, er sieht sie über den Rückspiegel an. „Mich einfach so zu verpetzen? Nachher denkt Blondie noch, dass ich mich um sie sorge.“

      „Ich habe doch gesagt, dass sie echt pfiffig ist.“ Lexi grinst breit.

      „Da hast du uns nicht belogen, denn das sind Sie wirklich“, wende ich mich an Marsha.

      Auch sie lächelt. „Hört auf mich zu siezen, Kinder, ich weiß, dass ich die Älteste hier bin, wahrscheinlich seid ihr drei zusammen genommen nicht einmal so alt wie ich. Aber das müsst ihr mir ja nicht immer unter die Nase reiben.“ Sie sieht Liam und mich tadelnd an.

      „Wird nicht wieder vorkommen“, sagt er nur grinsend. Ich sehe zu ihm herüber, auch er hat mich gerade angesehen. Als sich unsere Blicke treffen, müssen wir beide lächeln. Es war die richtige Entscheidung, den dreien zu helfen und sie mitzunehmen, ich weiß, dass auch er es so sieht. Liam blickt wieder auf die Straße, noch immer lächelt er. „Nächster Halt Arkansas, würde ich sagen.“

      „Das klingt nach einem tollen Plan.“ Ich lehne meinen Kopf an die Stütze an, langsam fährt mein Puls, das Adrenalin wieder herunter.

      „Und dort lebt deine Familie?“ Lexi hat nun Bender auf dem Schoß, betrachtet sein Bein.

      „Ja, ich bin dort aufgewachsen, auf einer Farm.“ Kurz umfasst er das Lenkrad so fest, dass seine Knöchel weiß hervortreten. „Ich hoffe, dass sie noch da sind und es ihnen gut geht.“

      „Das hoffe ich auch.“ Sie blickt traurig drein. „Am ersten Tag bin ich kurz zurück, zu meiner Familie. Ich wollte nach ihnen sehen und ein paar meiner Sachen holen. Ich wollte Marsha nämlich nicht alleine lassen.“ Sie lächelt die alte Dame halbherzig an. „Und als ich in mein Haus kam … Sie waren weg. Alle. Meine Eltern, meine kleine Schwester … Ich dachte erst, dass sie vielleicht geflohen seien. Doch als ich dann aus dem Küchenfenster sah, sah ich sie auf der Straße. Sie waren … sie gehörten zu ihnen.“ Sie presst ihre Lippen fest aufeinander.

      „Meine Familie ist auch tot“, sage ich leise. „Meine Eltern starben bei einem Unfall, vor vier Jahre bereits, bevor das alles hier begann.“ Ich blicke auf meine Handgelenke, streiche sanft über die Schwalben. „Aber meine Tante … Ich hatte eine Nachricht auf meiner Mailbox, als mein Handy noch ging. Am Ende der Nachricht schrie sie und war auf einmal weg. Ich glaube nicht, dass sie es überlebt hat.“ Ich sehe zu Marsha und Lexi, lächle nun ebenfalls schwach. „Ich mochte sie nie besonders, aber dennoch …“

      „Mein lieber Marshall starb auch, bevor das alles hier begann.“ Marsha sieht zu mir und lacht dann kurz auf. „Marsha und Marshall, verrückt, oder nicht?“ Ich erwidere ihr Lächeln, sehe die Trauer in ihrem Gesicht. „Wir waren fast 50 Jahre verheiratet. Heutzutage lassen sich so viele Menschen scheiden, halten es kaum ein Jahr miteinander aus. Doch wir haben durchgehalten, auch wenn es mal gekriselt hat. Ich habe ihn bis zur letzten Sekunde geliebt.“ Eine Träne rollt über ihre Wange. „Er ist keine sechs Monate tot, ich holte mir direkt danach Bender, um nicht so einsam zu sein.“ Sie streichelt den Hund, der noch immer in Lexis Schoß ruht.

      „Und Lexi hat mir auch sehr geholfen, nicht vor Trauer zu vergehen. Er fehlt mir jeden Tag so sehr, doch wenn ich mich nun umschaue, sehe, was um uns herum geschieht … Ich bin froh, dass er es nicht mit erleben muss. Dass er seinen Frieden gefunden hat. Denn das was hier geschieht –“ Sie schüttelt kurz den Kopf „– ist einfach nur unfassbar. Menschen, die auferstehen, einander anfallen. Überlebende, die sich gegenseitig attackieren.“ Sie nickt mir zu, blickt auf meine langsam verheilenden Verletzungen. „In den ersten Tagen gab es noch mehr Überlebende außer uns. Doch sie drehten alle schnell durch, ich sah, wie ein Mann direkt vor unserem Haus einen Jungen ins Gesicht schoss. Er war keine siebzehn Jahre alt und unbewaffnet, auch keines dieser Dinger. Doch er hatte einen Pappkarton voller Lebensmittel und wollte sie nicht hergeben. Deswegen musste er sterben.“

      „Wir leben in sehr schweren Zeiten.“ Liam blickt wieder in den Rückspiegel. „Eve und ich sind aus Washington geflohen, wir kannten uns vorher nicht, trafen uns auf einem Hochhausdach. Ich musste mich aus einem entgleisten Zug kämpfen, sah dort die ersten Parasiten, die die Menschen anfielen. Auf meinem Weg bis zu dem Haus, auf dem wir uns trafen, habe ich Menschen gesehen, die sich gegenseitig erschossen und angriffen. Ein Mann hat ein kleines Mädchen in die Arme der Parasiten geschubst, damit er fliehen konnte.“

      „Und hier.“ Ich hebe einer meiner Strähnen an, zeige auf meine einstige Platzwunde, von der inzwischen nur noch eine hellrote Narbe zurückgeblieben ist. Auch der Schnitt auf meiner Hand ist verheilt, nur noch eine schwache Linie zu sehen. „Als das alles ausbrach, war ich bei meinem Ex-Freund Adam und seiner neuen Freundin. Wir wollten zusammen aus Washington verschwinden, doch Clarissa schlug mich nieder und ließ mich dort zurück.“ Ich seufze leise und lasse die Strähne los. „Es ist schwierig, den Menschen zu vertrauen. Also entschuldige bitte, falls wir etwas heftig zu dir waren, Lexi.“

      „Das macht nichts, ich konnte es gut nachvollziehen“, sagt sie. Wir lächeln uns an. „Und du hast bei Starbucks gearbeitet?“, wechselt sie dann das Thema.

      „Ja.“ Ich lehne mich mit der Schulter an meinen Sitz, um bequem mit ihnen reden zu können. „Ich hatte ein Teil-Stipendium und musste irgendwie die Kohle für den Rest aufbringen. Also habe ich immer, wenn ich nicht in der Uni saß, gearbeitet.“

      „Was hast du denn studiert?“ Sie knabbert an der Haut ihres Daumens.

      „Literaturwissenschaften.“

      „Cool. Ich dachte, was mit Musik.“ Sie deutet auf Liams Gitarre neben sich.

      „Oh nein.“ Ich grinse. „Die gehört unserem Soldaten hier.“ Ich klopfe ihm auf die Schulter. „Er war bei der Army“, erkläre ich auf Lexis verwirrten Gesichtsausdruck hin.

      „Das ist natürlich praktisch.“ Marsha gluckst erheitert.

      „Es geht so.“ Liams Brauen sind leicht zusammengezogen. „Man lernt nicht unbedingt, wie man mit Untoten umzugehen hat.“

      „Und doch habt ihr es aus Washington bis hierher geschafft.“ Marshas blaue Augen blicken weise drein. „Und uns gerettet, nicht zu vergessen. Also muss es ja doch etwas gebracht haben.“ Wieder gluckst sie.

      „Wir versuchen nur zu überleben“, erklärt Liam. „Und wenn wir andere Überlebende treffen, die uns nichts Böses wollen, dann haben wir nichts gegen etwas Gesellschaft, oder Blondie?“ Er grinst mich an.

      Ich strecke ihm die Zunge raus. „Nur dass wir bisher keine netten Überlebenden getroffen haben. Bis auf euch“, füge ich dann an Marsha und Lexi gewandt hinzu. „Der Großteil ist ohnehin verwandelt.“ Meine Stirn legt sich in nachdenkliche Falten.

      „Ich bin froh, dass wir euch begegnet sind.“ Lexi blickt auf Bender, der auf ihrem Schoß schläft. „Wir haben diese