Tessa Koch

Wounded World


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hätten wir denn gehen sollen?“ Sie schiebt eine Strähne ihres braunen Haares hinter das Ohr. „Ich bin noch in der Ausbildung, habe noch zu Hause gewohnt. Marsha lebt seit zwanzig Jahren in ihrem Haus. Und unsere Familien …“ Sie schüttelt kurz den Kopf. „Sie sind alle tot.“

      Liam und ich sehen uns an, ich ziehe eine Braue leicht hoch. Er seufzt. „Wollt ihr mit uns kommen?“, wendet er sich dann an Lexi. „Du, Marsha und Bender?“ Er wiegt den Hund wieder leicht in seinen Armen. „Wir wollen nach Arkansas.“

      „Wieso Arkansas?“ Sie sieht mich aus fragenden braunen Augen an.

      „Liams Familie lebt dort auf einer Farm“, erkläre ich ihr. „Es könnte der ideale Rückzugsort sein. Zumindest besser als Washington. Oder das hier“, füge ich mit einem Blick über ihre Schulter hinzu.

      „Und ihr würdet uns wirklich mitnehmen?“ Sie sieht beinahe fassungslos aus.

      „Ihr scheint nett zu sein. Und ihr habt einen süßen Hund.“ Liam blickt auf Bender. „Wenn ihr mit uns kommen wollt, haben wir nichts dagegen.“

      „Oh das wäre so wunderbar!“ Im nächsten Moment fällt Lexi mir um den Hals. „Wir müssen sofort zu Marsha und unsere Sachen holen! Bitte, kommt mit!“ Sie will sich umdrehen und wieder zwischen den Bäumen verschwinden.

      „Warte“, sage ich und sie dreht sich verdutzt zu mir um. Ich gehe zu unserem Transporter, ziehe die Schlüssel ab und verriegele den Wagen. Als ich zu den beiden zurückgehe, ziehe ich die Harke. „Wie sicher ist es bei euch?“

      „Es laufen einige von den Dingern rum.“ Sie wirkt nervös. „Man muss nur schnell genug sein und sich gut verstecken.“

      „Oder man tötet sie einfach. Hier, nimm ihn mal“, sagt Liam und legt Lexi den Hund in die Arme. Er zückt die Sichel, die wir bei unserem letzten Streifzug fanden. „Jetzt können wir los.“

      Den Hund fest an ihre Brust gepresst, führt Lexi uns voran durch den kleinen Wald. Schnell haben wir die Stadt erreicht, blicken zwischen den Bäumen versteckt auf Dutzende umzäunte Gärten. Zwischen den Häusern sehen wir die Parasiten, stöhnend laufen sie durch die Straßen, ohne Ziel, ohne Sinn. Meine Augen gleiten über die Herde, es ist ein Wunder, dass die drei ohne richtige Waffen so lange überlebt haben.

      „Ach du Scheiße“, flüstert Liam leise neben mir. „Anscheinend haben wir uns für die richtige Straße entschieden“, sagt er dann zu mir. Ich nicke nur, blicke dann wieder auf die vielen Parasiten. Tatsächlich haben wir erst überlegt, durch die Stadt zu fahren, dann jedoch die Straße durch den angrenzenden Wald entdeckt.

      „Zu welchem Haus müssen wir?“, frage ich Lexi leise.

      „Das da.“ Sie deutet auf ein kleines Backsteinhaus. „Die Hintertür ist offen.“

      Wieder werfen Liam und ich uns einen Blick zu. Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass man sich immer einschließen sollte, wenn man die Möglichkeit hat. Doch Lexi und Marsha scheinen die Gefahr zu unterschätzen, die dort draußen lauert. „Also gut“, flüstert Liam. „Wir können über den Zaun in den Garten und dann ins Haus. Wenn wir leise sind, sollten sie uns nicht bemerken.“

      Geduckt läuft er uns voran auf den Holzzaun zu, ich bilde die Nachhut. Er hilft erst mir, dann Lexi über den Zaun. Mit erhobener Harke schleiche ich auf die Hintertür zu, bereit zuzuschlagen, sollte einer der Parasiten sich hierher verirren. Doch wir kommen ungesehen bei der Tür an, Liam schließt schnell zu uns auf.

      Ich öffne die Tür leise und lasse Lexi den Vortritt, dann folgen wir ihr. „Marsha?“, ruft sie in das dunkle Haus hinein. Ich schrecke zusammen, kann gar nicht fassen, dass sie laut ruft, obwohl dort draußen Dutzende Parasiten sind.

      „Ich bin oben, Liebes. Hast du Bender gefunden?“

      „Ja! Und ich habe zwei Menschen getroffen!“ Sie geht uns voran die Treppe hoch und setzt Bender ab, kaum dass sie die erste Etage betritt. Er läuft bellend in ein Zimmer am Ende des Flures.

      Ich werfe einen ängstlichen Blick über die Schulter, der ganze Lärm muss die Parasiten einfach anziehen. Auch Liam blickt beunruhigt drein, ich weiß, dass er dieselben Gedanken hat wie auch ich. Wir folgen Lexi in das Zimmer, in das auch Bender verschwunden ist. Eine ältere Dame sitzt in einem dunklen Ohrensessel am Fenster, sie hat ein Buch auf dem Schoß, außer dem Sessel und mehreren bestückten Bücherregalen ist der Raum leer. Ihr Haar ist schlohweiß und kurz, ihr Gesicht faltig. Dennoch hätte ich sie jünger geschätzt als 72 Jahre.

      Als sie Lexi und uns sieht, lächelt sie herzlich. „Wie wundervoll, wir haben schon ewig keine anderen Menschen mehr gesehen!“ Sie erhebt sich mit einem leisen Ächzen, kommt dann auf uns zu. „Mein Name ist Marsha Talbot.“ Sie umfasst mit beiden Händen meine, drückt sie fest.

      „Ich bin Eve. Und das ist Liam.“

      Sie lässt meine Hände los und umfasst nun seine. „Oh wie schön, ich freue mich wirklich.“

      „Marsha, sie können uns mitnehmen! „ Lexis Augen leuchten. „Ich habe sie im Wald getroffen, sie haben Bender gefunden. Sie haben einen großen Transporter und wollen nach Arkansas, auf eine Farm! Dort soll es sicher sein, zumindest besser als hier.“ Sie deutet aus dem Fenster. „Wir müssen einfach mit ihnen fahren!“

      Marsha blickt erst sie, dann uns an. „Sie haben meinen Bender gefunden?“

      „Ehrlich gesagt ist Ihr Hund der Grund, weswegen wir überhaupt anhalten mussten. Ansonsten wären wir schon weiter“, sage ich und blicke auf den Westie, der an meinem Hosenbein schnüffelt. Sein verletztes Bein hat er leicht angewinkelt. „Und dann sind wir Lexi begegnet.“

      „Also, was sagst du?“ Lexi blickt Marsha eindringlich an.

      Auch sie sieht zu ihrem Hund. „Wir leben schon so lange hier“, sagt sie dann. „Einundvierzig Jahre, könnt ihr euch das vorstellen? Mein Mann und ich haben hier schöne Jahre verbracht, ehe er starb. Ich kenne jeden in dieser Straße beim Namen … kannte.“ Sie sieht nun zu uns auf. „Das hier ist mein zu Hause.“

      „Sie sollten wirklich mit uns mitkommen, Marsha. Hier wimmelt es nur so von Parasiten, es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis sie in Ihr Haus kommen. Und Sie haben keine Waffen, um sich im Notfall zu verteidigen.“ Liam streckt seine Hand aus, berührt sie sanft an der Schulter. „Ihnen wird auch bald das Essen ausgehen. Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass es einfach werden wird, doch Sie werden eine größere Chance haben, wenn Sie mit uns kommen.“

      Marsha sieht von Liam zu mir. „Was ist mit Ihnen passiert, Kindchen?“

      „Wir sind anderen Menschen begegnet. Sie waren nicht so freundlich wie Sie und Lexi.“

      Sie blickt mich nachdenklich an. „Denken Sie auch, dass wir es nicht länger schaffen werden?“

      „Es wundert mich, dass sie beide überhaupt so lange überlebt haben, Marsha“, antworte ich ehrlich. „Sie dürfen die Parasiten nicht unterschätzen. Es sind nicht mehr Ihre Nachbarn und Freunde dort draußen. Es sind unberechenbare Wesen und sie werden Sie und Lexi töten, wenn sie merken, dass Sie hier drin leben. Liam und ich haben Waffen und Vorräte, einen Transporter. Sie sollten diese Chance annehmen.“

      Sie sieht zu Lexi, in deren hoffnungsvolle braune Augen. „Darf Bender mit? Ich fahre nur mit, wenn ich meinen Bender mitnehmen darf.“

      Ich muss lächeln. „Wenn wir Lexi nicht getroffen hätten, würde Bender schon lange in unserem Auto sitzen. Ich bitte darum, dass er mitkommt.“

      „Dann lasst uns fahren.“ Sie blickt sich im Raum um. „Bevor mir schwer ums Herz wird.“

      „Keine Sorge, Marsha. Wenn sie ein Gegenmittel gefunden haben, können wir wieder zurückkommen.“ Lexi ist bereits dabei, einzelne Sachen zusammen zu sammeln und in eine Tasche zu räumen. „Ich glaube, dass heute unser Glückstag ist, Marsha.“ Sie strahlt uns an.

      Liam steht am Fenster und blickt nach draußen. „Schauen wir