Tessa Koch

Wounded World


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die gesamte Breite der linken Wand gespannt. Säuberlich klemme ich die Tüten, unsere Rucksäcke, den Korb sowie Liams Gitarre hinter ihm fest und betrachte zufrieden mein Werk.

      „Darf ich an deinen Rucksack?“, frage ich Liam, als mir eine Idee kommt.

      „Na klar, da ist eh nichts Spannendes drin.“

      „Ich will ihn nicht durchsuchen, ich dachte nur, dass wir es uns hier hinten etwas gemütlicher machen könnten“, erkläre ich, während ich die Decken und den Schlafsack aus seinem Rucksack hole. Liam hat sie fest zusammengerollt, ich bin überrascht, als ich das Bündel entfalte und sehe, dass es ganze vier Decken sind. Ich breite zwei auf der restlichen freien Fläche aus, rolle den Schlafsack aus und falte eine der Decken länglich, sodass sie ein gutes Kissen abgibt. Die letzte lege ich zusammen und lege sie neben den Schlafsack. Ein sehr provisorisches Bett für uns, doch besser als gar nichts.

      Anschließend sehe ich meinen eigenen Rucksack durch; ich habe in Washington gegriffen, was mir damals als nützlich erschien, jetzt wird es Zeit, die Sachen einmal zu sichten. Ich habe noch zwei Dosen Ravioli und die Flasche Wasser. Ich lasse sie in dem Rucksack und packe aus unseren Vorräten Wasser und etwas Essen in Liams Rucksack. Falls wir den Transporter aufgeben müssen, sollten wir für den Notfall etwas Proviant bei uns haben. Ich finde meine Handtasche auf dem Boden des Rucksacks und ziehe sie heraus. Als ich auch sie durchsehe und Deo und Pfefferminzbonbons beiseitegeschoben habe, fällt mein Blick auf mein Handy. Ich habe bereits ganz vergessen, dass ich es dabei habe, in den letzten Tagen hat sich so vieles geändert. Ich blicke auf das Display, der Akku ist fast leer. Ich habe mehrere verpasste Anrufe. Mit dem Telefon in der Hand klettere ich wieder nach vorne zu Liam.

      „Was hast du da?“

      „Mein Handy. Ich hatte ganz vergessen, dass ich es mit habe.“ Ich gehe die verpassten Anrufe durch; Freunde von der Uni, eine Kollegin von Starbucks. Doch die meisten Anrufe sind von meiner Tante aus Deutschland, sie hat auch als einzige Nachrichten auf meiner Mailbox hinterlassen. Kurz zögere ich, dann spiele ich sie ab und drücke auf den Lautsprecher.

      „Eve, ich bin es, Barbara. Ich weiß, dass ich mich lange nicht bei dir gemeldet habe, aber hier passieren komische Dinge und ich wollte einfach nur wissen, ob es dir geht gut. Melde dich bei mir … Bitte.“ Die nächste Nachricht. „Eve.“ Sie schluchzt. „Ich habe solche Angst, so viele Menschen sind gestorben. Wir mussten die Stadt verlassen und Lennard … oh Gott, er ist tot. Sie haben ihn erwischt. Und sie sind überall, sie sind überall, sie sind -“ Ein verzerrtes Stöhnen ist zu hören, dann ein langer Schrei. Die Nachricht endet.

      „Das klang nicht gut.“ Liam sieht mich besorgt an. Ich weiß, dass er nicht verstanden hat, was meine Tante gesagt hat, da sie auf Deutsch gesprochen hat. Ich gebe ihm die Nachrichten so wortgetreu wie möglich wieder, das Handy fest umfasst. „Es tut mir sehr leid“, sagt er dann und sieht bekümmert auf die Straße vor uns.

      „Ich mochte sie nie“, sage ich leise, den Blick auf mein Telefon gesenkt. „Nachdem meine Eltern starben, hatten wir ein paar … Differenzen. Um genau zu sein, habe ich sie gehasst.“ Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen. „Dennoch hat sie so ein Ende nicht verdient. Genauso wenig wie Lennard, ihr Mann.“ Ich seufze leise, schaue wieder auf mein Telefon. „Die Nachrichten sind zwei Tage alt, also muss es in Deutschland etwas später ausgebrochen sein.“

      „Das ist ´ne verdammte Scheiße“, sagt Liam, das Lenkrad fest umfasst. „Wenn es dieses komische Virus auch in Deutschland gibt, da auch Parasiten sind … Dann wird es auf der gesamten Welt so aussehen.“

      „Verdammte Scheiße“, wiederhole ich seine Worte leise und packe dann mein Handy in das Handschuhfach. Ich will es nicht mehr sehen, nicht mehr an mein altes Leben erinnert werden, an meine Freunde, die vermutlich alle tot sind. „Glaubst du, dass es überhaupt noch irgendwo sicher sein wird?“

      „Wir müssen uns einen eigenen sicheren Ort schaffen.“ Sein Blick sucht den meinen. „Und deswegen müssen wir nach Arkansas. Auch wenn meine Familie … wenn sie … fort sein sollte, könnten wir uns dort etwas aufbauen.“ Er wirft mir einen schnellen Blick zu. „Sie wohnen weit außerhalb, man kann das Land gut überblicken. Und auf der einen Seite ist ein kleiner Wald, in dem man sich zurückziehen könnte im Notfall.“

      „Sie leben noch, Liam“, sage ich leise, dennoch bestimmend. „Wir werden dort alle zusammen einen sicheren Ort schaffen, hörst du?“

      „Das weißt du nicht.“

      „Das stimmt. Aber ich glaube dennoch fest daran.“

      „Danke.“ Er lächelt mir kurz zu. Dann schaut er wieder nach vorne. „Oh nein …“

      Auch ich blicke nach vorne, schaue auf den Interstate, der vor uns liegt. Überall stehen Autos, teilweise sind sie demoliert durch Auffahrunfälle. Und egal wohin ich auch schaue, sehe ich Parasiten; sie wanken zwischen den Autos umher, sind teilweise noch in den Fahrzeugen eingeklemmt. Es müssen Hunderte sein, auf die gesamte Länge des Interstates gesehen sogar Tausende.

      „Zeit für Plan B“, sage ich, als er anhält.

      „Jip.“ Er seufzt leise, als er den Rückwärtsgang einlegt, um zu drehen.

      Mein Blick schweift über den Interstate, ich versuche zu begreifen, wie viele Menschen versucht haben müssen zu fliehen und letztendlich in ihr Verderben gefahren sind. Da sehe ich einen Jungen, er steht auf einem Wagendach, Dutzende Parasiten um sich herum. Er schreit und tritt nach den Untoten, die ihn fassen und vom Auto ziehen wollen. „Liam!“ Ich fasse seinen Arm, deute auf den Jungen. „Wir müssen ihm helfen!“ Im nächsten Moment habe ich mich abgeschnallt und bin aus dem Wagen gestiegen.

      „Blondie!“ Er steigt ebenfalls aus. „Was hast du vor?“

      Ich sehe wieder zu dem Jungen, immer mehr Parasiten werden durch sein Schreien auf ihn aufmerksam. „Du musst mir aufs Dach helfen“, sage ich und schaue zu dem Kleintransporter auf.

      „Was?“ Liam sieht mich verständnislos an.

      „Wir können ihm da nicht raushelfen“, sage ich, schlucke schwer. „Es sind zu viele, wir würden selber bei draufgehen. Aber wir können ihn erlösen, ihn vor den Schmerzen bewahren.“

      Er sieht mich kurz an. Dann verschränkt er seine Hände und hält sie mir als Tritt hin. Ich setze meinen Fuß in seine Hände, lasse mich von ihm anheben und ziehe mich anschließend auf den Transporter. „Wenn du schießt, Kleines, werden sie auf uns aufmerksam werden und hierher kommen.“ Ich blicke zu Liam hinab. „Ich setze mich schon in den Wagen und lasse den Motor an. Du hast einen Schuss, hörst du? Einen Versuch und dann steigst du zu mir in das Auto und wir verschwinden von hier, egal ob du getroffen hast oder nicht, okay?“

      Ich nicke ihm zu und ziehe dann die Glock aus dem Bund meiner Jeans.

      Liam steigt wieder ein und lässt den Motor an, der Wagen vibriert sanft unter meinen Füßen. Ich nehme den Jungen auf dem Autodach ins Visier, gerade als ich abdrücken will, packt ihn einer der Parasiten am Knöchel und reißt ihn um. Er knallt auf das Dach, schafft es noch sich festzuhalten, um nicht hinabzustürzen. Doch es reicht dennoch für den Parasiten, er wetzt seine Zähne tief in die Wade des Jungen. Ich sehe das Fleisch, das immer länger gezogen wird, ehe es reißt. Auf einmal ist da so viel Blut.

      Ich muss mehrmals tief einatmen, um meinen rebellierenden Magen zu beruhigen, dann ziele ich erneut auf den Jungen. Er schreit so markerschütternd, während er sich am Dach festklammert und die Parasiten das Fleisch von seinen Beinen reißen. Als ich mir sicher bin, ihn zu treffen, drücke ich den Abzug durch. Ich treffe tatsächlich, sein Kopf zerplatzt. Doch ich kann mich nicht lange über meinen spärlichen Erfolg freuen, denn die Parasiten ziehen den toten Jungen vom Auto und beginnen ihn zu zerreißen. Und viele von ihnen blicken nun in unsere Richtung, versuchen mit ihren milchigen Augen die Quelle des Lärms auszumachen.

      Sie sehen mich auf dem Dach des Kleintransporters stehen, beginnen zu fauchen und zu ächzen. Ich beobachte, wie sie einen Weg zu suchen beginnen, sie wollen zu uns, uns töten, zerreißen, verspeisen. Die parkenden Autos behindern sie, sie