Tessa Koch

Wounded World


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brauchen.

      Ich springe vom Dach, reiße dann die Beifahrertür auf und springe in den Wagen. Liam tritt das Gaspedal fest durch und wir entfernen uns eilig vom Interstate. Ich drehe mich um, blicke durch die kleinen Heckfenster zurück auf den Interstate. Noch immer sehe ich die Traube von Parasiten, die sich um den Jungen scharen. „Du hast das Richtige getan.“ Ich drehe mich wieder nach vorne und sehe Liam an. Seine Miene ist ernst. „Du hast dem Jungen großes Leid erspart, furchtbare Schmerzen … Anders hätten wir ihn nicht retten können.“

      „Leider.“ Meine Lippen sind fest aufeinander gepresst.

      „Ja. Ich glaube, dass es auch nicht das letzte Mal gewesen sein wird.“

      Ich muss seufzen. „Ich befürchte es auch.“

      Wir schweigen beide kurz. „Wir müssen schnell eine Karte finden, irgendwo. Außerdem müssen wir bald mal tanken“, fügt er mit einem Blick auf die Anzeige hinzu.

      „Dann lass uns mal hoffen, dass bald eine Tankstelle kommt“, sage ich und schaue mich in der verlassenen Kleinstadt um, durch die wir gerade fahren.

      „Notfalls müssen wir ein Auto anzapfen.“ Ich verziehe leicht das Gesicht bei der Vorstellung. „Aber wir schauen erstmal nach einer Tanke“, sagt Liam grinsend, als er meine angewiderte Miene sieht. „Ein paar Meilen kommen wir noch weit.“

      „Okay.“ Ich ziehe meine Beine auf den Sitz und umfasse sie mit den Armen. Nachdenklich stütze ich mein Kinn auf den Knien ab, denke über das nach, was in den letzten Stunden alles geschehen ist.

      In den letzten drei Tagen habe ich Hunderte Tote gesehen. Menschen, die bei den vielen Unfällen ihr Leben verloren. Menschen, die von den Parasiten angefallen wurden, selber als Untote zurückkamen. Menschen, die entschieden haben, dass sie diese Erde lieber verlassen wollen, anstatt um ihr Überleben zu kämpfen. Ich denke über Liams und meine kleine Auseinandersetzung nach, seine Wut über mein Verständnis für das alte Ehepaar. Ich frage mich, wie viele Menschen noch über den Selbstmord nachdenken, diesen letzten Schritt vielleicht sogar schon gegangen sind. Und ich frage mich, was es zu bedeuten hat, dass auch ich mich schon mit dieser Option auseinandergesetzt habe, sie nachvollziehen kann.

      Ist unsere Welt wirklich dem Untergang geweiht? Gibt es nur noch eine Handvoll Menschen, die so wie wir durch das Land reisen und versuchen, einen sicheren Ort zu finden? Das erste Mal seit Tagen denke ich wieder an die Worte des Präsidenten, dass verzweifelt nach einem Heilmittel geforscht wird. Ob sie vielleicht kurz vor dem Durchbruch stehen? Wir nur noch etwas länger durchhalten müssen, bis dieser wahr gewordene Albtraum ein Ende findet? Oder gibt es dort draußen niemanden mehr, der nach der Lösung sucht? Ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir alle so enden werden?

      „Da vorne ist eine Tankstelle“, reißt Liam mich aus meinen Gedanken und deutet auf ein altes Haus. Wir befinden uns auf einer abgelegenen Straße, die Tankstelle ist das einzige Gebäude weit und breit. Liam fährt auf den Hof und hält vor einer der Zapfsäulen. Sein Blick gleitet zu dem breiten Haus, es ist hell erleuchtet. „Ich werde mich da drinnen mal umsehen. Würdest du das Auto betanken?“

      „Klar.“ Ich schnalle mich ab und steige aus, ebenso wie er. Während Liam zu dem Haus geht, nehme ich den Zapfhahn und beginne das Auto zu betanken. Ein leises Seufzen entfährt mir. Noch haben wir Strom und fließendes Wasser, wir können noch wenige Vorteile nutzen, die unsere Zivilisation vor wenigen Tagen noch als selbstverständlich angesehen hat. Doch bald werden wir auf Strom und Wasser verzichten müssen und das wird ganz neue, eigene Probleme schaffen, die unser Überleben erschweren werden.

      Mein Blick fällt auf ein umgestürztes Regal an der Hauswand. Ich sehe mehrere Kanister unter ihm begraben. Ich werfe einen Blick zum Transporter, der noch immer betankt wird, dann gehe ich zu dem Regal. Ich stelle es wieder auf und betrachte die Kanister; es sind nur noch vier übrig, vermutlich kamen andere Flüchtende vorbei und haben den Rest mitgenommen. Dennoch sind vier besser als nichts, also nehme ich sie und trage sie zum Auto zurück.

      Nachdem der Transporter vollgetankt ist, beginne ich die Kanister zu füllen und dann in den Wagen zu räumen. Ich klemme sie zu den anderen Vorräten hinter den Spanngurt und schließe dann die beiden Türen. Anschließend hänge ich den Zapfhahn zurück und sehe zu dem Gebäude. Es ist inzwischen eine gute Viertelstunde vergangen, seit Liam und ich uns getrennt haben, doch er ist noch immer nicht zurück. Ein ungutes Gefühl überkommt mich, ich werfe einen letzten Blick zu dem Transporter, dann gehe ich auf das Gebäude zu, eine Hand auf die Glock gelegt.

      Ich höre Stimmen aus dem Inneren des Hauses, meine Brauen ziehen sich leicht zusammen, als ich die Tür öffne und eintrete. Der Tankshop sieht furchtbar aus, viele der Regale sind umgerissen, die einst säuberlich eingeräumte Ware über den Boden verteilt. Die Kasse ist zu meiner Rechten, sie steht offen und ist vermutlich leer. Neben ihr ist eine offen stehende Tür, aus dem benachbarten Raum dringen die Stimmen. Leise gehe ich auf die Tür zu und sehe eine kleine angrenzende Kneipe.

      Liam steht nur wenige Meter von der Tür entfernt, ich sehe an seiner Haltung, dass er angespannt ist. Ihm gegenüber sind vier Männer, sie sitzen auf Barhockern, gefüllte Gläser vor sich. Zwei von ihnen scheinen in unserem Alter, die anderen beiden schätze ich auf Mitte vierzig.

      „Liam?“, frage ich ängstlich in die angespannte Stille hinein und trete nah an ihn heran.

      „Du hast uns gar nicht gesagt, dass du ein Mädchen dabei hast!“, ruft einer von ihnen aus und die anderen beginnen zu lachen. „Ich habe das Gefühl, als hätte ich seit Jahren keine Frau mehr gesehen, dabei ist es ein paar verfickte Tage her.“ Sie lachen wieder alle schallend.

      Liam tritt einen Schritt beiseite, verdeckt mich so vor den Blicken der Männer. Seine Hand legt sich auf meine Hüfte, sanft schiebt er mich zu der Tür zurück. „Wie gesagt, wir wollten eh gerade gehen“, sagt er zu den Männern.

      „Nein! Wieso bleibt ihr nicht noch ein bisschen, hm? Ey, Süße“, wendet sich einer der Männer an mich. „Willst du nicht was trinken? Wir haben alles da, sogar harten Alkohol.“

      Ich blicke in das eingefallene Gesicht des Mannes, sein breites, widerliches Grinsen. „Nein, nein danke“, sage ich dann langsam, gehe immer weiter zurück. „Liam, ich bin fertig, wir können dann wieder fahren.“

      „Das werden wir jetzt auch. War nett“, sagt er zu den Typen. Er schiebt mich weiter zur Tür, ich bin nur noch wenige Meter von ihr entfernt.

      Im nächsten Moment schlingt sich eine Hand von hinten in mein Haar. Ich schreie auf und will mich losreißen, doch ich spüre nur Sekunden später, wie sich ein scharfes Messer an meine Kehle legt. „Eine falsche Bewegung und ich verpasse ihr ein hübsches zweites Grinsen“, sagt eine tiefe Stimme hinter mir.

      Liam will auf uns zukommen, mir helfen, doch da erklingt das Geräusch einer Waffe, die gespannt wird. Einer der Männer zielt direkt auf Liams Kopf, seine Hand ist ruhig, sein Grinsen unverändert. „Schön langsam, mein Lieber“, sagt der Typ und die anderen beginnen wieder zu lachen.

      Liam hebt langsam seine Hände über den Kopf. Ehe er sich zu den Kerlen umdreht, wirft er mir einen Blick zu. „Was wollt ihr?“

      „Keine Sorge, wir lassen euch am Leben, wenn ihr kooperativ seid“, sagt der mit der Waffe. Seine Augen huschen zu mir, sein Grinsen wird eine Spur breiter. „Wie gesagt, ich habe seit gefühlten Jahren keine Frau mehr gesehen. John, nimm der Süßen mal den schicken Gürtel da ab.“ Er deutet mit seiner Waffe auf meine Hüften.

      Einer der beiden Mittzwanziger kommt auf mich zu, ein breites Grinsen im Gesicht. Er will um mich herum fassen, um den Gürtel zu öffnen. Doch als er mir nahe kommt, spucke ich ihm ins Gesicht. Der Typ fasst sich ins Gesicht, schaut dann seine Hand an, beinahe verwundert. Dann schlägt er mir mit der flachen Hand ins Gesicht.

      Liam kommt auf uns zu, er will den Typen, John, angreifen. Auf einmal hallt ein Schuss durch den Raum und ich sehe das Einschussloch wenige Zentimeter neben Liams Kopf. „Na na na, Süße, schön brav. Oder ich pumpe deinen Freund voller Kugeln.“ Ich werfe Liam einen verzweifelten Blick zu, dann senke ich den Blick, ergebe mich. Sie lachen wieder alle, als