Alexander Winethorn

Endgame


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gut nach Vanille roch. Ihr verkrampftes Gesicht lockerte sich auf. Dieses Mal schenkte sie ihm ein ehrliches Lächeln. Trotzdem konnte sie ihrer Freundin diesen Verrat nicht verzeihen.

      »Lasst uns zu unseren Brüdern und Schwestern gehen.« Albert schwang seine Arme um die beiden Frauen und führte sie zu der Menge auf dem Parkplatz.

      Die Stimmung unter den Demonstranten erreichte ihren Siedepunkt. Die Teilnehmer waren kurz davor loszumarschieren.

      »Wartet hier. Ich besorge uns Masken«, sagte Albert und lief zu einer Frau, die Tiermasken an die Leute verteilte.

      Alice nahm die Gelegenheit wahr, um Lydia bezüglich ihres Verrates zu konfrontieren. »Wie konntest du mir nur so etwas antun?«, zischte sie hervor.

      »Wie konnte ich dir nur was antun?«, erwiderte Lydia mit überraschter Miene.

      »Wie konntest du mich nur so dermaßen hintergehen? Du weißt ganz genau, wie sehr ich Albert liebe.«

      »Hintergehen? Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Alice.«

      »Leugne es nicht, du Verräterin. Ich habe euch beobachtet, wie ihr miteinander geflirtet habt. Mit meinen eigenen Augen habe ich gesehen, wie du dich an ihn rangeschmissen hast.«

      »Wie bitte? Alice, du phantasierst.«

      »Und was war im Bus? Da hast du bereits heftig mit ihm geflirtet. Davon weißt du wahrscheinlich auch nichts mehr, oder?« Sie kämpfte mit den Tränen. Sie war kurz davor die Freundschaft mit ihr zu beenden. Zwar kannte sie Lydia erst seit einem Semester, aber sie hätte es schade gefunden, wenn ihre Beziehung so enden würde.

      Lydia verschränkte die Arme und konzentrierte nachdenklich ihren Blick. »Ich soll was im Bus getan haben? Ich habe nicht mit ihm geflirtet! Wir haben über seine letzte Demo gegen illegale Tierhaltung geredet, sonst ist nichts passiert.«

      »Und das soll ich dir glauben?«, stieß Alice trotzig hervor.

      »Glaub, was du willst, aber ich versichere dir, du hast keinen Grund eifersüchtig zu sein. Albert interessiert mich nicht. Ist dir vielleicht schon einmal in den Sinn gekommen, dass ich meine eigenen Beweggründe habe, warum ich bei dieser Demonstration mitmache?«

      »Und die wären?«, fragte Alice gleichgültig.

      Lydia fuhr fort: »Ich muss dir gestehen, ich habe Angst vor der Zukunft. Wie du weißt, studiere ich Biologie, und die Zustände auf den Universitäten sind unerträglich. Aber das hast du bereits selbst bemerkt, schließlich studierst du Medizin, und dort ist es auch nicht viel besser. Im ersten Semester sind wir ungefähr 800 Studenten, aber die Laborplätze reichen nur für etwa 40 Personen. Kannst du dir das vorstellen? 800 Studenten und nur 40 freie Plätze! Wenn ich nicht zu den besten 40 gehöre, kann ich ein weiteres Jahr auf einen freien Platz warten, vorausgesetzt natürlich ich kann mir weiterhin die Studiengebühren leisten. Und selbst wenn ich einen Laborplatz ergattern sollte, was erwartet mich danach? Was mache ich nach dem Abschluss? Ich werde zum Arbeitsamt gehen müssen und mich arbeitslos melden. Beim derzeitigen Arbeitsmarkt nützt dir nämlich auch kein abgeschlossenes Studium. Hinzu kommen die Unterhaltskosten wie Miete, Strom- und Heizkosten. Selbst mit meinem Nebenjob kann ich das Geld für das Zimmer im Studentenheim kaum noch aufbringen.«

      »Dann hau doch ab! Verzieh dich ins Ausland!«, sagte Alice wie ein eingeschnapptes Kleinkind.

      »Ich bitte dich! Warum glaubst du, kommen die Studenten aus dem Ausland zu uns? Die haben selbst nicht genug Platz in ihren Heimatländern! Für die Politiker sind wir Studenten nur eine unbedeutende Wählergruppe, deshalb nehmen sie uns nicht ernst und ignorieren unsere Probleme. Wie Albert richtig gesagt hat, wir brauchen eine Revolution, eine Veränderung. Deswegen bin ich hier. Ich möchte etwas verändern.«

      »Ja, ja, was auch immer …«, brummte Alice, die sich noch nie viele Sorgen um ihre Zukunft machen musste. Schließlich war ihre Familie reich, und ihr Vater hatte ausreichend Geld. Er kam für ihre Wohnung auf und finanzierte ihr das Studium.

      »Ich gebe dir einen Tipp für die Zukunft«, sagte Lydia sichtlich verärgert über das ignorante Verhalten ihrer Freundin. »Es gibt bessere Orte und Gelegenheiten einen Typen aufzureißen als eine Demo wie diese.«

      Bevor Alice ihrer Freundin antworten konnte, kam Albert zurück und winkte mit drei Tiermasken. »Ich denke, ich habe die passenden Masken für uns gefunden.« Er überreichte den beiden Frauen je eine Katzenmaske und sagte: »Für meine sexy Kätzchen.« Für sich selbst hatte er eine Hahnenmaske besorgt.

      Nachdem alle drei ihre Masken aufgesetzt hatten, nahm Albert Alice an der Hand und ging mit ihr voraus. Sie drehte sich schnell um und zeigte Lydia die Zunge, danach wandte sie sich wieder zu Albert. Lydia schüttelte genervt den Kopf und blieb alleine zurück.

      ****

      »Sieht doch alles gut aus«, sagte Präsident Pollux und nippte an seinem Scotch. Er und Eva saßen im Parlamentsbüro und sahen sich die Liveübertragung der Zoodemonstration im Fernsehen an.

      »Fragt sich nur, ob es so friedlich bleibt«, meinte Eva skeptisch.

      »Seien Sie nicht so pessimistisch, Frau Scheppert«, sagte der Präsident und ging zur Scotchflasche, um sein Glas wieder aufzufüllen. »Bei diesen Demonstranten handelt es sich lediglich um einige übereifrige Studenten und Naturliebhaber. Was wäre das Schlimmste, das passieren könnte? Jemand wird von einem entflohenen Affen gebissen.« Pollux musste über seine letzte Bemerkung schmunzeln.

      Die Bilder der Liveübertragung zeigten Aktivisten, die Tiermasken trugen und laute Parolen gegen die Regierung in die Kamera grölten. Ein Reporter befragte eine Frau, die sich nackt in einen Käfig eingesperrt hatte.

      »Man kann es auch übertreiben«, sagte der Präsident und verdrehte beim Anblick der nackten Frau seine Augen.

      »Zumindest kämpft sie für ihre Überzeugung«, erwiderte Eva.

      »Da! Haben Sie es gesehen, Frau Scheppert?« Aufgeregt deutete Pollux mit seinem Finger auf die große Glaskuppel, die hinter dem Reporter zu sehen war. »Der Biodom! Ich kann ihn gar nicht oft genug sehen. Was für ein fantastisches Bauwerk! Ein wunderschönes Meisterwerk. Er wird Generationen hinweg überdauern. Während wir schon längst unter der Erde liegen und nur noch Futter für die Würmer sind, wird der Biodom in die Geschichte eingehen. Wie die Pyramiden!«

      Eva sagte nichts dazu, sie konzentrierte sich auf die Menschen. Die Anzahl der Demonstranten überraschte sie. Laut den Berichten wurden weit weniger Teilnehmer erwartet.

      »Kommt es nur mir so vor, oder sind da kaum Polizisten vor Ort? Ich glaube, ich habe erst zwei oder drei gesehen.«

      Nachdem der Präsident es aussprach, musste Eva zugeben, dass eine relativ geringe Polizeipräsenz vorhanden war. Aber vielleicht wollten die Kameramänner einfach nur keine Polizisten zeigen.

      »Ich denke, das wird ein Spaziergang«, sagte Pollux und schlürfte zufrieden seinen Scotch. »Sie werden sehen, Frau Scheppert, die werden ein Mal um den Zoo watscheln und dann müde nach Hause gehen.«

      »Ich hoffe, Sie haben recht, Herr Präsident«, sagte Eva. »Ich hoffe es inständig.«

      ****

      Der schwarze Lastwagen hatte keine Probleme, mit den gefälschten Zugangspapieren das hintere Eingangstor des Zoos zu passieren. Für den Kontrollposten war der LKW nur ein weiterer Lieferant mit Trockenfutter für die Tiere. Dieser Lastwagen war jedoch kein gewöhnlicher Futtertransporter.

      Als die Anhängertür des Fahrzeugs aufging, sprangen Peter, sein Kamerad A2013 sowie um die vierzig Männer des Sirius-Kollektivs heraus. A1 verließ als Letzter das Gefährt.

      Mittels Elektroschockpistolen wurden zwei Wachposten außer Gefecht gesetzt.

      Die Mitglieder des Sirius-Kollektivs verhüllten ihre Gesichter mit einem schwarzen Tuch, auf dem ein grinsender Totenkopf abgebildet war. Vier starke Männer schleppten eine schwere Kiste mit sich. Sie stellten die Kiste auf den Boden, öffneten sie, und entnahmen aus ihr eine pyramidenförmige Maschine. Auf der Spitze des Geräts steckte