Claus Beese (Hrsg.)

Dünen, Sand und Meer


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mehr als nasse Füße gehabt, wenn wir uns hier getroffen hätten. Damals toste an dieser Stelle noch die Nordsee. All das Land rings um uns herum wurde dem Meer in mühseliger Arbeit abgetrotzt. Unzählige fleißige Hände haben über Generationen hinweg Deiche gebaut, das Land entwässert und urbar gemacht. Oft holte sich die See ihren Besitz wieder zurück, durchbrach die Dämme und Deiche, zerstörte Höfe und Dörfer. Diese Fluten kosteten viele Menschen das Leben.“

      Nicht weit entfernt war schemenhaft der alte Leuchtturm von Sankt Peter-Böhl zu sehen, der in ruhigen Kreisen sein Licht in die Nacht hinaus sandte.

       „Ja, das Meer gibt und nimmt. Freude und Leid. Und in manchem löst es eine Sehnsucht aus, die so stark ist, dass sie niemals gestillt werden kann. Ich möchte zuweilen dorthin, wo das Meer in der Ferne den Himmel berührt. Aber ebenso sehr liebe ich es, an den Küsten und Stränden zu verweilen, bei Sonnenschein wie bei stürmischem Wetter, und von fernen Ländern nur zu träumen.“

       Das Glänzen in den Augen der Sprecherin strahlte beinahe so hell wie die Glut.

       „Was könnten uns das Meer und der Wind nicht alles erzählen? Unendlich mehr Geschichten, als es Wellen gibt. Mir fällt da gerade eine ein. Wollt ihr sie hören?“

      Natürlich wollten sie das. Geschichten waren ihr Leben, ihre Leidenschaft. Bei guten Freunden zu sitzen, im Schein des Feuers, unter einem Dach aus funkelnden Sternen und einer verträumten, einer lachenden oder einer nachdenklichen Stimme zu lauschen. Was gab es Schöneres auf Gottes weiter Welt?

       Und während sich die einen erwartungsvoll vorbeugten, die anderen sich gemütlich zurücklehnten, der eine in die endlose Weite des Himmels und eine andere in die helle Glut des Feuers schaute, lauschten sie gebannt den Erzählungen, die diese Nacht wieder zu einer besonderen machten.

      Fernweh

      Wenn der Wind von Norden kommt

      riecht man das Salz in klarer Luft.

      Sie schmeckt herrlich kühl nach See,

      trägt einen ganz besonderen Duft.

      Er weckt das Fernweh in der Seele,

      hör nur, wie das Meer dich ruft.

      - Claus Beese -

      Die Flaschenpost

      Von Anita Koschorrek- Müller

      Es war keine gute Idee gewesen auf die Insel zu fahren. Warum musste ich mich zu allem Überfluss auch noch in unserem Hotel einquartieren? - Unser Hotel? Es war nie mein Hotel! Er liebte es, dieses exklusive Ambiente, dieses vornehme Getue. Gestern war ich angereist, hatte an der Rezeption die nötigen Formalitäten erledigt und wurde gleich befragt.

      „Wann wird denn Ihr Gatte eintreffen? Gnädige Frau würden besser jetzt bereits ein Zimmer reservieren, wir sind ziemlich ausgebucht“, hatte der blasierte Empfangschef gemeint.

      „Nein, ich bleibe im Einzelzimmer. Der Gatte reist nicht an.“

      „Wie gnädige Frau wünschen.“

      Jetzt laufe ich heute zum dritten Mal am Strand entlang bis zum Kap. Es ist Ebbe. Ich trage meine Schuhe in der Hand, habe die Hosenbeine hochgekrempelt, und die Wellen umspülen meine Füße. Ab und zu durchquere ich einen Priel mit ablaufendem Wasser. Über mir türmen sich dicke schwarze Wolken, die ein heftiger Wind landeinwärts treibt. Mein Blick ist auf den Boden gerichtet, auf die vielen großen und kleinen Muscheln, die ich als Kind so gerne sammelte. Eine Welle spült einen toten Krebs ans Ufer, und die nächste Welle zieht ihn ins Meer hinaus. Wie oft sind wir gemeinsam diesen Weg gegangen, haben die salzige Luft geatmet und den Sand unter unseren Füßen gespürt?

      Mein Entschluss steht fest. Ich reise ab! Es war eine Schnapsidee hierher zu fahren. Zehn Tage alten Urlaub wollte ich nicht zu Hause verbringen und die Wände anstarren. Ich dachte, auf der Insel könnte ich mich erholen. Da kenne ich mich aus, da weiß ich was mich erwartet. Doch was habe ich hier angetroffen? Schmerzliche Erinnerungen und einen hochnäsigen Empfangs-Chef!

      Meinem alten Freund Fiete könnte ich noch einen Besuch abstatten bevor ich abreise. Er ist früher zur See gefahren und war später Leuchtturmwärter, bis die Technik seinen Arbeitsplatz zunichtemachte. In seinem kleinen Laden am Ortsrand, mit dessen Einnahmen er seine bescheidene Rente aufbessert, verkauft er heute Andenken, Buddel-Schiffe, Angelzubehör und Schnaps. Bei ihm gibt es den besten Köm Frieslands, alten Genever aus Holland, französischen Vodka und Jamaica-Rum, der einem die Schuhe auszieht. Und wenn er jemanden mag, darf der diese Köstlichkeiten auch mal probieren.

      Hinter der Düne liegt die Uferpromenade, von dort sind es ein paar Minuten Fußweg bis zu „Fietes Koje“. Hoffentlich gibt es ihn noch, den alten Seebär und seinen kleinen Laden. Es ist fast zwei Jahre her, dass wir ihn das letzte Mal besuchten, damals, als wir noch ein Paar waren.

      Ich stapfe die Düne hinauf, durch die Muschelscherben, die in die Fußsohlen schneiden und stolpere über eine grüne Flasche. Es ist immer dasselbe. Die Leute lassen überall ihren Müll zurück. Fische sterben, Seevögel krepieren elendig, nur weil die Menschen nachlässig sind und ihre Abfälle in der Natur vergessen. Ich setze mich und ziehe meine Schuhe an. Der stärker werdende Wind treibt den Sand über die Düne. Jetzt schnell zu Fiete, die Flasche nehme ich mit. Ich finde bestimmt einen Glascontainer oder einen Mülleimer um sie zu entsorgen.

      Ich öffne die Tür zu „Fietes Koje“ und betrete den kleinen Verkaufsraum. Nichts hat sich verändert. Über der Ladentheke hängt der präparierte Blue Marlin, knapp drei Meter lang. Den hat dieser Petrijünger vor vielen Jahren geangelt, an der Küste von Puerto Rico. Von dem Drill erzählt er jedem, der es hören will oder auch nicht. Solch ein Prachtexemplar hat der kubanische Fischer Santiago in Hemingways Novelle „Der alte Mann und das Meer“ gefangen, und Fietes Kampf mit dem Marlin war fast genauso spannend. Mein alter Freund steht hinten im Laden, bei den Angelruten, und hat Kundschaft. Man redet übers Angeln, worüber denn sonst? Ich schaue mir inzwischen die Buddel-Schiffe im Schaufenster an, die Santa Maria, die Gorch Fock, die Alexander von Humboldt... Die Kasse klingelt und der Kunde verlässt den Laden. Fiete, ein Hüne von einem Mann, Schiffermütze auf den roten Stoppelhaaren, roter Vollbart, kommt mit ausgebreiteten Armen auf mich zu.

      „Na, mien Deern, auch mal wieder auf der Insel?“

      „Hallo, Fiete!“

      Er umarmt mich, drückt mich an seinen kratzigen Norwegerpullover und ich denke einen winzigen Augenblick darüber nach ob meine Rippen standhalten. Er blickt mich fragend an und wirft dann einen Blick zur Tür.

      „Kommt er noch nach?“

      „Nein, er kommt nicht“, antworte ich und senke den Kopf.

      „Du guckst, als würde er nie mehr kommen“, stellt Fiete fest.

      „Stimmt“, antworte ich leise.

      „Mmh“, brummt der rothaarige Riese in seinen Bart. „Verstorben oder fremdgegangen?“

      „Letzteres!“

      „So ein Dösbaddel“, bemerkt Fiete kopfschüttelnd. „Der hat so eine saubere Deern wie dich gar nicht verdient. Und wie geht es dir nun?“

      „Schiete, Fiete!“, sage ich traurig, „Doch da muss ich durch!“

      „Und du bringst gleich 'ne Buddel mit, um auf deine neue Freiheit anzustoßen?“

      „Quatsch! Die habe ich am Strand gefunden und will sie entsorgen“, erwidere ich.

      „Die ist doch verkorkt. Sollen wir nachsehen, was drin ist?“, schlägt Fiete vor.

      „Nee, die ist leer. Da ist nichts drin.“

      Fiete nimmt mir die Flasche aus der Hand und hält sie gegen das Licht.

      „Mmh! Mien Deern, das ist 'ne Flaschenpost. Da steckt ein Zettel drin.“

      Er gibt mir die Flasche zurück, geht hinter die Verkaufstheke und sucht