Claus Beese (Hrsg.)

Dünen, Sand und Meer


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mal los“, fordert mich der Seebär auf. „Es ist gerade keine Kundschaft im Laden.“

      „Ich habe Smilla, Stina und Liv kennengelernt. Es sind übrigens sehr nette Frauen, und Smillas und Stinas Mutter, Greta Nielsen, verwitwete Nielsen, geborene Malmquist ist auch auf der Insel. Kennst du die vielleicht?“

      Das Schweigen am anderen Ende der Leitung irritiert mich.

      „Fiete! Bist du noch dran?“

      „Ja, mien Deern“, antwortet er leise. Doch dann hat er eine wichtige Frage. „Ist diese Greta Nielsen, geborene Malmquist, noch ein paar Tage auf der Insel? Ich würde sie gern wiedersehen.“

      „Dachte ich mir“, erwidere ich grinsend. „Wann kommst du? Greta erwartet dich!“

      „Is nich wahr?“, antwortet Gretas Jugendliebe. Schade, dass ich Fietes Gesicht jetzt nicht sehe.

      „Morgen komme ich!“, tönt es nach einer kurzen Pause lautstark aus meinem Handy. „Ich mache sofort mein Boot klar und finde hoffentlich jemanden, der mich hier im Laden vertritt.“

      „Fiete“, antworte ich, „heute Abend rufe ich dich wieder an, wenn ich vom Segeltörn mit Gretas Sohn zurück bin. Dann kannst du mir sicher sagen, ob du alles regeln konntest.“

      „Ich komme in jedem Fall“, beteuert der friesische Seebär, „und wenn ich keine Vertretung für den Laden finde, wird er halt wegen dringender Herzensangelegenheiten geschlossen. Ich habe bei Greta einmal was verdaddelt und bin zu spät gekommen, das passiert mir nicht noch ein zweites Mal.“

      „Gretas Sohn Malte ist übrigens sehr groß und rothaarig“, erzähle ich meinem alten Freund.

      Schallendes Lachen dröhnt aus meinem Handy.

      „Jetzt stell bloß keine Vermutungen an. Malte ist nicht mein Sohn. Wir sind ja nicht in einem ‘Inga-Lindström-Roman‘. Gunnar Nielsen war auch rothaarig. Greta hat wohl eine Vorliebe für Männer mit roten Haaren. Aber wenn du mit diesem Malte heute rausfährst, sei vorsichtig. Du weißt ja, die Dänen stammen von den Wikingern ab.“

      „Na, wenn da man nicht auch ein paar Friesen mitgemischt haben?“, denke ich und muss nun auch lachen. „Danke für den Hinweis. Das klingt sehr verlockend, Tschüss, Fiete.“

      „Bis morgen, mien Deern! Mast- und Schotbruch!“

      Ich drücke auf die rote Taste an meinem Handy, beende das Gespräch und stelle mir den ruhigen, abgeklärten Fiete vor, der mit Schweiß auf der Stirn in seinem Laden stehen und nicht wissen wird, was er als erstes tun soll. Nur eines weiß ich: Selbst wenn über Nacht die Nordsee zufrieren würde, könnten wir Fiete am nächsten Tag auf Römö erwarten. Ich stecke das Handy ein und freue mich für den Seebären auf das Zusammentreffen mit seiner großen, alten Liebe.

      Das Mädchen mit den blonden Haaren

      Von Claus Beese

      Noch hatte die Saison nicht begonnen, die Insel Amrum erwachte gerade aus der Winterstarre und begann sich für die neue Touristensaison herauszuputzen. Hannes war sich nicht sicher gewesen, ob Ziel und Jahreszeit zu seinem Kurzurlaub passten, doch als ihn die Fähre Hilligenlei auf der Insel abgesetzt hatte, war er überzeugt hier in aller Ruhe ausspannen zu können. Sein Labrador-Rüde Winni fand alles aufregend, er schnüffelte sich durch das ganze Dorf bis zu dem Ferienhäuschen, das Hannes für ein paar Tage gemietet hatte. Es lag am Rand eines ausgedehnten Dünengebietes, und Winni begann sofort damit, tiefe Löcher in den Sand zu buddeln. Er schien besessen von der Idee, die hohen Sandhaufen einfach an einen anderen Ort zu kratzen. Der Sand stiebte im böigen Ostwind davon, wenn der Hund eifrig wühlte.

      Es gab nicht viel auf der Insel zu erkunden, und Hannes trieb sich entweder am Strand oder in dem kleinen Örtchen mit dem bezeichnenden Namen Nebel herum. Hier erledigte er auch seine Einkäufe, und in der Inselfleischerei waren er und sein Winni schnell bekannt. Der wohlerzogene Hund machte brav Sitz vor dem Laden und wedelte mit dem Schwanz, wenn eine Verkäuferin ihm ein Stück Wurst brachte. Hannes war schnell die ganze Insel vertraut, er kannte sich aus wie in seiner Sporttasche, die seine Trainingskleidung enthielt. Laufen, das war seine liebste Beschäftigung. Zusammen mit Winni den Strand entlang traben, hin und zurück, rauf und runter. Der feste Sand war der ideale Untergrund und knirschte leise unter den Sohlen von Hannes‘ Laufschuhen, bevor er nach hinten wegspritzte.

      Es war windig und der Himmel grau in grau. Das Wetter versprach nichts Gutes, doch Hund und Herrchen machte es nichts aus. Sie traten aus dem Schutz der Dünen heraus auf den breiten Sand, an dessen westlichem Rand die Wellen der Nordsee an den Strand brandeten. Hannes zog seine Mütze über die Ohren und fiel in einen leichten Trab. Er war sicher, dass Winni ihm folgen würde und merkte erst nach einer Weile, dass der Hund nicht an seiner Seite war. Abrupt stoppte er und drehte sich um. Winni stand wie angewurzelt auf einer Stelle, seine Augen waren aufmerksam auf eine Frau gerichtet, die bewegungslos am Wellensaum stand und auf das Meer hinaus schaute. Hannes hatte sie nicht bemerkt, als sie an den Strand gekommen waren. Jetzt schaute auch er nach der Frauengestalt. Was hatte Winni nur? So ein Verhalten kannte Hannes nicht von seinem Hund. Winni machte ein paar zögernde Schritte auf die Gestalt im grauen Minimantel zu, verhielt dann aber wieder. Ein leises Knurren kam aus seiner Kehle.

      Hannes musterte die Gestalt noch aufmerksamer. Etwas kam ihm merkwürdig vor, passte so gar nicht ins Bild. Noch immer stand sie regungslos da, nur ihre langen blonden Haare wehten im Wind. Sie war schlank, hatte eine aufregende Figur, die der wollene Mantel noch betonte. Der Stoff endete auf halber Strecke über dem Knie, und ließ den Blick frei auf zwei wohlgeformte Beine fallen. Ein breiter Gürtel schlang sich um die schmale Taille, und ihre Füße steckten in hochsohligen Plateauschuhen, wie man sie in den siebziger Jahren getragen hatte. Es waren weiße Riemchenschuhe, die so gar nicht zu dem noch beinahe winterlichen Frühlingswetter passen wollten. In solcher Kleidung konnte man an kühlen Tagen im Sommer herumlaufen, aber doch nicht jetzt, nicht hier, wo der Wind einen fast wegwehte.

      Erneut knurrte Winni und machte einen zögernden Schritt vor. Hannes reichte es. Die junge Frau konnte sich ja gerne eine Erkältung holen, er hatte Besseres zu tun. Er pfiff laut und Winni drehte den Kopf, unschlüssig, ob er dem Pfiff seines Herrchens folgen sollte. Noch einmal stieß Hannes diesen Pfiff aus, dieses Mal lauter und fordernder. Winni warf sich herum und rannte auf ihn zu, schien die Frau im selben Moment vergessen zu haben. Hannes machte eine auffordernde Geste mit seinem Arm, drehte sich herum und lief davon. Winni folgte ihm willig und sprang spielerisch an seinem Herrchen hoch, der nun ein Stöckchen aus seiner Jacke zog und es weit von sich warf. Laut bellend jagte Winni hinterher und apportierte das Hölzchen.

      Von nun an begegnete ihnen die Frau öfter, manchmal sogar mehrfach am Tag. Mal stand sie mutterseelenallein am Wasser, mal weit oben auf einer hohen Düne. Immer umwehte ihr langes blondes Haar ihren Kopf, sodass Hannes nicht einen Blick auf ihr Gesicht werfen konnte. Er hätte zu gern gewusst, ob es zu dem hübschen Rest passte. Doch war sie immer gerade so weit von ihm weg, dass ein Hinüberlaufen nicht wirklich angesagt war. Und jedes Mal, wenn sie die Frau in dem grauen Mini-Wollmantel sahen, zeigte Winni genau dasselbe eigenartige Verhalten wie beim ersten Mal am Strand.

      Abends saß Hannes gemütlich bei einem Grog im „Strandvogt“ in Wittdün und erzählte den Wirtsleuten von dieser eigenartigen Person. Er bemerkte den schnellen Blick, den die beiden untereinander tauschten, dann lenkte der Wirt auf ein anderes Thema um, während seine Frau geschäftig in der Küche verschwand. Hannes ging darauf ein, doch hatte dieses Verhalten seine Neugier geradezu angestachelt. Am nächsten Morgen in der Fleischerei startete er den nächsten Versuch, etwas über die Frau zu erfahren. Doch stieß er auch hier auf eine Mauer des Schweigens. In der kleinen Poststelle der Insel ging es ihm nicht anders, und beim Insel-Kaufmann gefroren die Minen zu freundlich lächelnden, doch undurchdringlichen Masken.

       „Keen Tied!“, wehrte der Briefträger ihn ab, winkte mit einem Stapel Briefe und schwang sich auf sein Moped. Knatternd jagte er davon.

      Hannes beugte sich zu Winni herab, kraulte ihn am Kopf und tätschelte seine Flanke.

       „Hier ist was faul, mein Alter!“, murmelte er