Claus Beese (Hrsg.)

Dünen, Sand und Meer


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dreht sie um, schüttelt, und ein längs gefalteter Zettel fällt auf den Fußboden. Er hebt ihn auf und überreicht ihn mir.

      „Postgeheimnis! Ist ja deine Flaschenpost.“

      Jetzt wird es spannend! Ich falte den Zettel auseinander und lese.

      „Und, mien Deern? Was steht drin?“

      Er ist neugierig, dieser Mann von der Statur eines Kleiderschranks, in dessen Adern mit Sicherheit Wikingerblut fließt.

      „Ich weiß nicht?“, antworte ich enttäuscht und übergebe ihm den Zettel. „Die Sprache kenne ich nicht, ist vielleicht schwedisch oder dänisch? Was meinst du?“

      Fiete angelt seine Lesebrille aus der Brusttasche des Pullovers, setzt sie auf die Nase und liest laut vor:

      „Insel Römö, 23. Juni 1985. Wir feiern heute Mittsommer und übergeben diese Nachricht dem Meer. Wer auch immer diese Flaschenpost findet, sollte sich bitte melden! - Smilla, Stina und Liv aus Kopenhagen.“

      „Wahnsinn! Dann ist das dänisch?“, vermute ich. „Und du sprichst dänisch?“

      „Das wird wohl sein, mien Deern.“ Fiete grinst. „Es stehen noch eine Adresse in Kopenhagen und zwei Telefonnummern auf dem Zettel! Da musst du anrufen!“

      „Nee, das geht nicht, ich kann doch die Sprache nicht.“

      „Das ist kein Problem. Die Dänen sprechen auch gut deutsch und englisch“, erklärt mein Freund.

      „Trotzdem! Smilla, Stina und Liv haben 1985 zusammen die Mittsommernacht gefeiert. Wie alt waren sie damals, oder besser, wie alt sind sie heute? Die Flasche wurde vor fast zwanzig Jahren ins Meer geworfen.“

      Nachdenklich betrachte ich den Zettel.

      „Tja, wenn du nicht anrufst, wirst du es nie erfahren“, stellt Fiete fest. „Sei mal nicht so zaghaft. Ruf an! Du hast doch zurzeit eh nichts Besseres zu tun.“

      „Nee, mach du das“, sage ich und drücke ihm den Zettel in die Hand.

      „Also gut.“

      Er geht zu dem alten Telefonapparat, der im hinteren Bereich des Ladens an der Wand hängt, wählt eine der Nummern, die auf dem Zettel stehen und lauscht. Ich halte die Luft an.

      „Fehlanzeige! Die Nummer gibt es nicht mehr.“

      „Mann, ist das spannend“, sage ich und atme langsam aus. Der rothaarige Seebär mit den blassblauen Augen lächelt mich an und wählt die zweite Telefonnummer. Am anderen Ende der Leitung meldet sich jemand.

      „Hey!“

      Ich höre aufmerksam zu und verstehe kein Wort, außer den Namen Smilla, Stina und Liv.

      Fiete macht sich auf dem Block, der neben dem Telefon liegt, einige Notizen. Ich versuche zu entziffern, was er dort aufschreibt. Auweia, hat der Mann eine Sauklaue!

      „Tak for hjælpen. Farvel!“

      Das Gespräch ist beendet.

      „Nun rede schon!“, fordere ich ungeduldig.

      „Wir setzen uns jetzt in die Kombüse, trinken einen ordentlichen Köm und ich erzähl dir, was ich alles erfahren habe über Smilla, Stina und Liv“, ordnet der dänisch sprechende Hüne an. Die Kombüse ist die kleine Stube hinterm Verkaufsraum, in der damals, als ich mit meinem Mann Urlaub auf der Insel machte, schon so mancher Grog meinen Magen und mein Herz erwärmte. Trotz der spartanischen Einrichtung, Tisch, drei Stühle, Regal, Zweiplattenkocher, Kaffeemaschine und Spülbecken, hatten wir hier einige gemütliche Stunden verbracht.

      Wir nehmen an dem kleinen wackeligen Holztisch Platz. Mit einer knappen Bewegung wischt der Hausherr Krümel von der hellblauen Wachstuchtischdecke, auf der kleine Segelboote abgebildet sind und klemmt einen Bierdeckel unter das zu kurze Tischbein. Er stellt zwei kleine Gläser und eine Flasche Schnaps auf den Tisch. Den Schreibblock mit den Notizen, die er beim Telefonieren gemacht hat, legt er daneben und sieht mich erwartungsvoll an.

      „Erst 'nen Köm, und dann die Neuigkeiten aus Dänemark, oder umgekehrt?“

      „Den Köm später, ich bin viel zu neugierig, auf das, was du alles erfahren hast“, entscheide ich. „Mit wem hast du denn eben gesprochen?“

      „Mit Smilla und Stina Nielsens Großmutter, die wohnt in Kopenhagen. Smilla und Stina sind Schwestern und wohnen, wie auch ihre Freundin Liv Lindberg nicht mehr in der Stadt, sondern auf dem Land. Zurzeit sind sie, und jetzt kommt der Clou, wegen einer Geburtstagsfeier auf der Insel Römö. Ich soll Oma Nielsen später nochmal anrufen, dann sagt sie mir die Handy-Nummern ihrer Enkelinnen, die hatte sie gerade nicht zur Hand“, erzählt Fiete und fügt schmunzelnd hinzu: „Und jetzt der Köm!“

      Er füllt die Schnapsgläser und prostet mir zu.

      „Auf das, was noch kommt, mien Deern!“

      Am Morgen darauf reise ich ab. Gestern telefonierte ich noch mit Smilla und Stina Nielsen, die mich zur Geburtstagsfeier nach Römö einluden. Die Schwestern besitzen auf der Insel ein Ferienhaus, sodass es auf einen Gast mehr oder weniger es nicht ankäme, und da sie unbedingt die Person kennenlernen wollen, die ihre Flaschenpost gefunden hat, solle ich mich am besten sofort auf den Weg machen. Am Telefon klangen die beiden sehr sympathisch.

      „Fahr hin!“, meinte Fiete. „Römö ist eine schöne Insel und deine Flaschenpost-Bekanntschaften scheinen nette Leute zu sein. Sitz nicht rum und trauere diesem Dösbaddel hinterher, auch die Dänen haben hübsche Söhne.“

      Ich gehe zu meinem alten Freund um mich zu verabschieden und für die Unterstützung bei der Suche nach Smilla, Stina und Liv zu bedanken. Natürlich auch für den guten Köm, den er gestern Abend spendiert hat. Das war ein edles Tröpfchen und ich habe heute Morgen keinen dicken Kopp. Die Tür zu „Fietes Koje“ steht offen, und es duftet nach frischem Kaffee.

      „Moin, moin, mien Deern! Willst du 'nen Pott Kaffee?“, dröhnt es aus dem Inneren des Ladens.

      „Gern“, antworte ich. „Ich habe schon gepackt und fahre gleich los. Ich wollte dir Tschüss sagen.“ Fiete kommt mit zwei dampfenden Kaffeepötten vor die Tür.

      „Komm, wir setzen uns hier draußen auf die Bank in die Sonne.“

      Es weht ein frischer Wind, jedoch der Kaffee und die Morgensonne wärmen ordentlich.

      „Soll ich dir aufschreiben wie du fahren musst?“, bietet mir der Seebär an. Da muss ich lachen.

      „Nee, brauchst du nicht, ich habe doch ein Navi.“

      „Neumodischer Kram!“, brummelt er in seinen roten Bart.

      „Wann warst du denn auf Römö?“, frage ich nach. „Du hast gestern erzählt, dass du die Insel kennst.“

      Fiete kratzt sich am Kopf.

      „Das ist eine Ewigkeit her. Es gab da mal eine Deern auf der Insel, die war meine große Liebe. Sie hieß Greta. Aber ein gewisser Gunnar Nielsen hat sie mir damals ausgespannt.“

      „Nielsen? So heißen doch Smilla und Stina.“

      „Nielsen heißt in Dänemark fast jeder Dritte. Ich bin dann zur See gefahren und habe später meine Alma kennengelernt, Gott hab sie selig. Meine Alma war eine tolle Frau. Acht Jahre ist sie schon nicht mehr da.“

      Schweigend trinken wir unseren Kaffee.

      „Ich muss los! Danke für den Kaffee und für alles.“

      Ich stehe auf und auch mein Freund Fiete erhebt sich. Dann folgt die unvermeidliche Umarmung, die mich stets nach Luft schnappen lässt. Auf dem Weg zum Parkplatz drehe ich mich nochmal um und winke. Der Seebär steht vor seinem Laden, schwenkt seine große Pranke durch die Luft und ruft: „Melde dich, damit ich weiß, ob es dir gut geht!“

      „Wird gemacht!“, schreie ich gegen den Wind zurück.

      Zwei Tage später habe ich meinen alten Freund Fiete am Telefon.

      „Hallo Fiete! Ich rufe von Römö an.“

      „Moin, moin, mien Deern! Schön, dass du dich meldest. Alles okay bei