Stefan P Moreno

Die Legende von der Siebener Parabel


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Reisestrapazen ein Ende haben!

      Das Haus, nach dem er suchte, sollte abseits der Straße in der Nähe einer kleinen Waldlichtung liegen, aus braunen Natursteinen erbaut und mit einem Strohdach versehen.

      Der junge Mann blieb stehen, um eine der kleinen Pausen einzulegen, die er sich in regelmäßigen Abständen gönnte. Er nahm einen Schluck aus der Trinkflasche. Das Wasser war warm und schmeckte fade. Dann griff er mit der linken Hand in die Gürteltasche und zog eine Landkarte heraus, auf der sich einige Aufzeichnungen und Skizzen befanden. Er bewegte sich momentan auf der Hauptstraße von San Diagos, musste diese aber nun laut Karte verlassen, um links einem Waldpfade zu folgen. Nach weiteren achthundert Metern würde er zu seinem Zielort gelangen. Er steckte die Karte wieder ein.

      „Auf zum Endspurt!“ sagte er aufmunternd zu sich selbst und setzte sich wieder in Bewegung, um die letzte Etappe zu meistern. Schon nach fünfzig Metern entdeckte er den Pfad zur linken Seite und bog von der Straße ab.

      „Oft wird dieser Waldweg wohl nicht begangen“, murmelte Joaquin leise.

      Hohes Gras und Gestrüpp pflasterten den schmalen Weg und seine Füße schmerzten wieder, da sich das ausgedörrte, trockene Gestrüpp wie spitze Nägel in seine nackten Fußsohlen bohrte. Gereizt schob er die von den Bäumen herab hängenden Zweige zur Seite, die sich ihm in den Weg stellten, sein von der Sonne strapaziertes Gesicht streiften und einen höllischen Schmerz auf den Wangen verursachten. Joaquin hatte während des langen Fußmarsches genügend Zeit gehabt, sein bisheriges Leben im Geiste Revue passieren zu lassen, und obwohl sein äußeres Erscheinungsbild es kaum vermuten ließ, hatte er schon Einiges im Leben durchstehen müssen. Vieles davon war rätselhaft gewesen und er trug einige Geheimnisse mit sich herum. Die letzten Monate in Deutschland waren eine Zeit des Stillstandes gewesen - privat wie beruflich. Nichts wollte ihm so recht gelingen! Was immer er in den letzten Monaten auch angepackt hatte, schien irgendwie auf Widerstand zu stoßen, nichts schien richtig vorangehen zu wollen und er hatte nicht herausfinden können, woran es gelegen hatte! Es hatte Augenblicke gegeben, in denen ihn das unbestimmte Gefühl übermannt hatte, eine höhere Macht würde seine Vorhaben durchkreuzen wollen! Irgendwann hatte sich Resignation bei ihm breit gemacht und er hatte mit dem Schicksal gehadert. Immer und immer wieder hatte er sich eingeredet, dass solche Phasen zum Leben dazu gehörten und dass man immer schön am Ball bleiben sollte, bis es endlich wieder aufwärts ging.

      „Am Ball bleiben“, dachte Joaquin und schmunzelte spöttisch. „An welchem Ball bleiben?“ Hatte alles vielleicht mit seiner Vergangenheit zu tun? Er kämpfte sich weiter durch das trockene Gestrüpp.

      Er war ein Waisenkind, aufgewachsen in einem katholischen Kinderheim bei Nonnen - und das seit seinem vierten Lebensjahr. Dazu ein zweijähriges Missverständnis in einer bürgerlich spießigen Pflegefamilie, in der man ihn behandelt hatte, als wäre er ein Verbrecher und Taugenichts. Im zarten Alter von dreizehn Jahren wurde er auf ein Internat geschickt, wobei ihm bis heute nicht klar war, wer das alles bezahlt hatte. Seine Eltern hatte er sehr früh verloren. Sein leiblicher Vater war kurz nach seiner Geburt gestorben. Über ihn wusste er so gut wie gar nichts. Unter welchen Umständen sein Vater gestorben war, hatte er nie erfahren! Seine Mutter hatte den Tod ihres Mannes nie überwunden, war daran zerbrochen und hatte ihn, Joaquin, dann einfach im Stich gelassen. Sie war aus heiterem Himmel einfach wie vom Erdboden verschwunden und niemand wollte oder konnte ihm damals sagen, wo sie geblieben war. So hatte man es ihm zumindest damals im katholischen Waisenstift erzählt und diese Version galt als offiziell. Eigene Nachforschungen, die er Jahre später anstellte, verliefen im Sande und es war, als ob es seine Mutter nie gegeben hätte.

      Die persönlichen Erinnerungen an seine Mutter waren sehr verschwommen und viele gab es ohnehin nicht, außer, dass sie als junge Frau sehr hübsch gewesen war. Weitere Geschwister hatte er keine und so war er seit seinem achtzehnten Lebensjahr auf sich allein gestellt. Er hatte sich in der Großstadt mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen, aber seine eigentlichen Interessen lagen auf dem Gebiet der Literatur, Musik und Poesie.

      Die Großstadt hatte sich in den letzten Jahren durch die Globalisierung rapide verändert. Viele Kulturen und Nationalitäten mischten sich und gaben der Stadt eine nie gekannte Vielfalt und Fülle. Aber auch Konflikte und Integrationsprobleme nahmen immer mehr zu und brachten die Schattenseiten einer sich ständig und immer schneller wandelnden Welt zum Vorschein. Die breite Masse gab sich dem Konsumleben hin. Der Kapitalismus und das einseitige, materielle Leistungsdenken griffen immer mehr um sich. Die sozialen Konflikte in der Großstadt nahmen immer mehr zu und Joaquin glaubte, eine gefährliche Verrohung menschlicher Verhaltensweisen wahrzunehmen, die in ihm den Entschluss heranreifen ließ, der Großstadt den Rücken kehren zu wollen. Nur leider wusste er nicht so recht wohin und so kam der Brief vor vier Wochen völlig überraschend, aber nicht ungelegen. Überraschend war vor allem der Inhalt des Briefes und dieser war auch der eigentliche Grund, warum er sich gerade auf nackten Sohlen durch spanische Wälder schlug.

      Joaquin blieb stehen, nahm einen Schluck aus seiner mit Mineralwasser gefüllten Trinkflasche, spülte sich den Mund und spuckte es sofort wieder aus. Das Wasser hatte mittlerweile seine ganze Kohlensäure verloren und schmeckte widerlich! Er steckte die Flasche wieder an seinen Gürtel und zog den Brief aus der Gürteltasche. Das Briefpapier sah ziemlich vergilbt aus. Das lag daran, dass er den Brief in den letzten Wochen über hundertmal gelesen hatte, immer und immer wieder! Er lehnte sich gegen einen Baum, wischte sich mit der Hand eine Schweißperle aus dem linken Auge, entfaltete den Brief und begann zu lesen:

      Lieber Joaquin,

       Sie werden sicher überrascht sein, heute von mir diesen Brief zu erhalten, zumal Sie mich nicht kennen! Dies soll sich aber schon in den nächsten vier Wochen ändern. Sie werden noch mehr überrascht sein, zu erfahren, dass ich Sie kenne, obwohl wir beide uns noch nie begegnet sind! Den Grund werden Sie zu einem späteren Zeitpunkt von mir erfahren! Der Höflichkeit halber möchte ich mich kurz vorstellen. Mein Name ist Sophie Faunette und ich bin gebürtige Französin. Ich kannte Ihre Mutter, Esmeralda, sehr gut und uns verband eine lebenslange und innige Freundschaft! Ihre Mutter ist vor sechs Wochen verstorben und sie bat mich kurz vor ihrem Tod, mit Ihnen Kontakt aufzunehmen. Ihre Mutter war in den letzten Jahren ihres Lebens eine wohlhabende Frau und sie hat ein Testament hinterlassen, in dem Sie als Erbe berücksichtigt werden. Auch hat sie einen Brief hinterlegt, der nur an Sie gerichtet und streng vertraulich ist. Ihre Mutter bat mich kurz vor ihrem Tod darum, Ihnen diesen Brief persönlich zu überreichen. Auch wenn es für Sie vielleicht schwer zu verstehen ist, Joaquin, Ihre Mutter hat Sie sehr geliebt und sie hat ihr ganzes Leben unter der Trennung von Ihnen gelitten! Bitte haben Sie Verständnis, dass ich in diesem Brief nicht ausführlicher über all die Ursachen und Gründe der frühen Trennung von Ihrer Mutter berichten kann, aber Sie werden schon bald mehr erfahren! Aus diesem Grunde möchte ich Sie bitten, in vier Wochen und zwar am 14. Juli nach Spanien in den Ort San Diagos zu kommen! Joaquin, es ist wichtig, dass Sie genau am 14. Juli und zwar genau um 20 Uhr abends in San Diagos erscheinen. Auf keinen Fall früher oder später! Sobald wir beide aufeinander treffen, werde ich Ihnen die Gründe hierfür mitteilen. Leider ist ein Treffen an einem anderen Ort und zu einem anderen Zeitpunkt nicht möglich! Aus diesem Grund lade ich Sie nach Spanien ein. Reisen Sie mit dem Zug von Deutschland nach Spanien. Es werden Ihnen keine Unkosten entstehen. Bahntickets und eine Landkarte habe ich diesem Brief beigelegt.

       Joaquin, es ist sehr wichtig, dass Sie mit niemandem über diesen Brief und Ihre bevorstehende Reise nach Spanien reden! Die Gründe dafür kann und darf ich Ihnen noch nicht mitteilen. Sie werden aber alles erfahren, sobald Sie in Spanien sind! Bitte vertrauen Sie mir! Auch sollten Sie wissen, dass ich bis zu Ihrer Ankunft in Spanien nur schriftlich, in Briefform, mit Ihnen kommunizieren werde und es für Sie keine Möglichkeit geben wird, bis zur Ihrer Ankunft in San Diagos mit mir Kontakt aufzunehmen!

       Sie erhalten drei Tage vor ihrer Abreise einen letzten Brief von mir, in dem ein Scheck beigelegt ist, sowie letzte Anweisungen. Ich weiß, Joaquin, dass dieser Brief Ihnen rätselhaft erscheinen mag, aber bitte vertrauen Sie mir. Sie werden schon bald verstehen!

      In tiefer Verbundenheit freue ich mich auf Sie!

      Herzlichst, Sophie Faunette

      Joaquin