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Brücken bauen. Mauern einreißen.


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Herz schlägt wild, obwohl ich bisher keinen Meter geschwommen bin.

      Noch könnten wir zurück, noch hat uns niemand bemerkt.

      »Los. Weiter.«

      Wir waten durchs Wasser. Es ist wärmer als die Luft, die nach Sonnenuntergang stark abgekühlt ist. Wir gehen leicht gebückt. Trotz der Aufregung muss ich lachen. Wenn ein Licht auf uns gerichtet wird, sieht man uns, ob wir nun ge­bückt laufen oder nicht. Zum Glück bleibt es dunkel um uns.

      Als mir das Wasser an die Hüfte reicht, höre ich auf zu waten. Auch Andreas bleibt stehen. Ich ziehe mir die Handschuhe aus, halte sie mit den Zähnen fest und streife mir die Flossen über die Füße. Es ist nicht leicht, ich bekomme das Ende der Flossen nicht über meine Hacken. Vermutlich wäre es besser gewesen, das bereits an Land zu tun. Aber dann wäre das Waten anstrengend gewesen. Ich lasse mich nach hinten ins Wasser fallen, um besser an den Flossen ziehen zu können. Sofort dringt kaltes Wasser in meinen Neoprenanzug, füllt die Zwischenräume meiner Kleidung und der Gummihaut. Es ist unangenehm. Doch das Wasser wird sich rasch auf Körpertemperatur erwärmen und isolierend wirken.

      Dann habe ich es geschafft, die Flossen sind dran. Ich stelle mich wieder auf den Meeresboden. Er ist von der Strömung stark gewellt, das spüre ich sogar durch die Flossen.

      Ich setze mir die Taucherbrille auf und schiebe das Schnorchelende durch den Riemen der Brille, damit der Schnorchel stabil bleibt.

      Andreas holt die Nylonschnur heraus, reicht sie mir. Ich binde die Schnur um sein linkes Handgelenk und ziehe den Knoten fest. Das andere Ende kommt an mein rechtes Handgelenk. Nun können wir uns im Wasser nicht verlieren und uns über die Schnur Zeichen geben.

      Noch immer habe ich die Handschuhe zwischen den Zähnen. Die Wolle juckt an meiner Lippe. Ich ziehe sie über meine Hände. Sie zittern vor Aufregung. Gleich geht es los.

      Ich stecke mir das Schnorchelmundstück zwischen die Zähne, es drückt am Zahnfleisch, doch das ist normal und wird nach einer Weile vergehen, zumindest war es beim Training immer so. Allerdings bin ich nie länger als acht Stunden mit Schnorchel geschwommen.

      »Ich bin so weit«, flüstert Andreas.

      Ich justiere die Feldflasche. Muttis Gürtel hält sie fest an meinem Bauch, hoffentlich ist sie beim Schwimmen nicht zu sehr im Weg. Trainieren konnte ich damit nicht, weder im Schwimmbad noch in der Ostsee. Hätte mich jemand gesehen, wäre ich sofort verhaftet worden.

      Ich schaue zurück zum Land.

      Das letzte Mal für eine lange Zeit habe ich Boden unter den Füßen.

      Ich stoße mich vom Meeresboden ab und schwimme los. Nach einigen Metern dringt kaltes Salzwasser in meine Taucherbrille. Ich fluche leise. Nie halten die Dinger dicht. Ich muss die Brille richten, suche unter mir den Meeresboden, kann ihn gerade noch mit den Flossenspitzen berühren, finde dadurch ein wenig Halt.

      »Meine Tasche ist nicht richtig fest«, flüstert Andreas. Er muss sich nach den wenigen Schwimmstößen auch noch einmal sortieren.

      Ich löse die Brille und lasse das Wasser herauslaufen. Mit dem Finger drücke ich auf das Sichtfenster und presse Luft heraus, erzeuge einen Unterdruck. Dadurch tun mir ein wenig die Augen weh, aber immerhin kann nun kein Salzwasser mehr eindringen. Das würde auf jeden Fall mehr Schaden anrichten.

      Langsam bewege ich meine Beine, fühle den Druck der Flossen, vergrößere die Beinschlagamplitude, aber nicht zu sehr, damit ich nicht durch die Wasseroberfläche stoße. Die Feldflasche bremst meine Bewegung ein wenig, doch das fällt nicht zu sehr ins Gewicht.

      Ich höre den leichten Wellenschlag, der von meinen Atemgeräuschen überlagert wird. Weil ich durch den Schnorchel atme, erscheinen sie mir lauter als sonst.

      Ich mache einen Brustschwimmzug mit den Armen, was nicht so einfach ist, wenn man mit den Beinen krault. Allmählich finde ich meinen Rhythmus, fühle den Widerstand des Wassers an meinen Händen. Wegen des höheren Salzgehaltes ist es fester als im Schwimmbad.

      Immer wieder ist die Wasserlinie direkt vor meinen Augen. Die Grenze zwischen Luft und Wasser. Ich tauche mit der Vorwärtsbewegung unter, atme aus, lasse mich vom Wasser tragen, komme wieder an die Oberfläche.

      Andreas’ Flossen klatschen aufs Wasser. Er merkt es, korrigiert seine Bewegungen. Wir dürfen hier draußen keine lauten Geräusche machen.

      Ich atme durch den Schnorchel, damit der Kopf unter Wasser bleiben kann, ich ihn nicht drehen muss. Jede Bewegung kostet Energie.

      Nach wenigen Metern merke ich, was ich schon lange weiß. Es ist alles ganz anders als im Schwimmbad. Ulrich ist nicht hier, keiner gibt Anweisungen. Wir sind auf uns allein gestellt.

      Ich höre nur das Glucksen der Wellen, die sich an meinem Körper brechen. Aus der dunklen Tiefe steigen Blasen auf.

      Leise schwimmen wir hinaus auf die Ostsee, nach Norden.

      »Welche Rekorde willst du eigentlich brechen?«

      Ulrich zwinkerte mir vom Beckenrand aus zu. Er trug seinen orangefarbenen Trainingsanzug und rote Badelatschen.

      Ich zog mir die Schwimmbrille vom Kopf. »Für heute reicht es.«

      »Glaub ich. Drei Stunden. Hast du die Bahnen gezählt?«

      »179.«

      Ulrich kniff die Augen zusammen. »179 mal 50 Meter macht 8 950 Meter. Mein lieber Scholli. Ab jetzt. Duschen.«

      Ich zog mich aus dem kalten Wasser. Der Nacken und die rechte Schulter taten weh. Wenn ich sie bewegte, knackte es komisch.

      »Frank und ich spielen nachher in der Konsum-Klause eine Runde Rommé. Willst du mitmachen?«

      Ich nickte und nahm mein Handtuch. Auf dem Gang zu den Duschen zog es wie immer heftig. Einige Minuten lang ließ ich heißes Wasser über mich laufen, trocknete mich hastig ab und zog mich an. Dann lief ich nach draußen.

      Vor der Schwimmhalle standen einige Sportler und unterhielten sich.

      »Tschüss«, rief ich, bog nach rechts ab und ging die wenigen Meter zur Klause.

      Ulrich und Frank saßen bereits an einem der Tische und hatten Karten vor sich liegen.

      Ulrich drehte sich zur Bar. »Cola für die Kinnings und für mich ein Pils«, rief er dem Wirt zu. Dann teilte er die Karten aus, noch bevor ich überhaupt saß.

      Die Luft war stickig vom Zigarettenrauch. In einer Ecke saßen drei Männer und spielten vermutlich Skat, an der Bar trank eine Frau, die so alt war wie Mutti, ein großes Glas Bier. Sie war stark geschminkt und hatte hochtoupierte Haare. Sie starrte Ulrich an, doch der merkte das nicht. Im Hintergrund lief leise The Power of Love von Jennifer Rush.

      »Du hast dich nicht geföhnt«, sagte Ulrich vorwurfsvoll.

      »Ist doch warm hier drin.«

      Er schüttelte den Kopf. »Ihr holt euch alle noch was weg. Du auch, Frank!«

      Der war auch nicht geföhnt und machte sich sofort einen Kopf kleiner, versteckte sich hinter den Karten. Mein Blatt sah gut aus. Kreuzkönig, Kreuzbube, Kreuzzehn.

      »Wieso trainierst du überhaupt so viel?« Frank schaute hinter den Karten hervor. Er hatte einen leichten Silberblick und sah knapp an mir vorbei.

      »Keine Ahnung.«

      »Ist es nicht langweilig, immer nur hin- und herzuschwimmen, ohne irgendein Programm?«

      Um auslegen zu können, fehlte mir die Kreuzdame. Ich warf eine Herzsieben weg.

      »Ich denke einfach an was anderes.«

      Der Wirt brachte die Getränke. Er trug eine ASV-Sportjacke und sagte keinen Ton.

      Ulrich blinzelte mir über seine Karten zu. »Woran denn?«

      Frank warf eine Karte weg. Kreuzdame. Ich drosch auf den Tisch, doch Ulrich war schneller und grinste gehässig, als er die Karte aufnahm.

      »An