Nieke V. Grafenberg

Die Sonnenanbeterin


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entknittern.

      In der Zirbenhütte war mein Lieblingsplatz mit Ausguck besetzt. In dem winzigen Saunaraum herrschte drangvolle Enge. Bis ein Pärchen sich den Weg nach draußen bahnte.

      Wenig später Unruhe im Vorraum. Ein Augenpaar linste durch das kleine Fensterchen, die Tür schwang auf. Ängstlich Berührung vermeidend, schlängelte Bärlein sich durch schwitzende Leiber auf die höchste und heißeste Saunabank. Von dort aus grüßte er mit freundlicher Zurückhaltung in die Runde.

      Schließlich war man ja nackt.

      Gleich darauf deutlich trommelnde Geräusche auf dem Hüttendach.

      Ein gereckter Hals und der Blick durch das niedrige Sprossenfenster bestätigten mir, es regnete.

      Pralle Tropfen klatschten auf die Oberfläche des Sees, schienen einen Atemzug lang zu zögern - bis sie eintauchten, ringförmig auseinanderliefen und für einen flüchtigen Moment die Weite des Sees mit verschwimmenden Mustern verknüpften.

      Der Zauber verflüchtigte sich ebenso schnell, wie er gekommen war.

      Irgendwann konnte ich Hitze, Feuchtigkeit und die Nähe schwitzender Leiber nicht mehr aushalten, ich lief den abschüssigen Rasen hinunter zur Treppe am Badesteg und tauchte ein in den See.

      Auf dem Rückweg zum Steg setzte der Regen erneut ein, diesmal ganz sanft und warm auf Haaren und Haut. Dann war die Wolkenwand vorbeigezogen, hatte Platz gemacht für einen blassen Streifen Abendlicht.

      Mein Handtuch hing über dem hölzernen Handlauf. Froh, dass ich mich überwunden hatte, stieg ich aus dem kalten Wasser. Der warme Regen wie Sekt auf der Haut, wohlige Wärme machte sich breit, ich genoss das herrliche Prickeln.

      Da - ein gellender Pfiff aus dem Whirlpool! Ich sah hin, Rieke und Sanne grinsten, sie wussten, wie ungern ihre Mutter sich nackt zeigte. Wenn sie wenigstens allein gewesen wären! Aber nein! Zwischen den beiden, die Zähne leutselig gebleckt, thronte der Wolf unter einer Fontäne des Sprudelbeckens. Den Kopf im Nacken, die Augen verengt zu zwei Schlitzen, schien er trotz absoluter Reglosigkeit alles und jeden im Blick zu haben. Jetzt, wo die Haare klatschnass am Kopf lagen, sah man bläulich schimmernde Wurzeln in gelbgraue Grannen mit silbernen Spitzen übergehen.

      Der Wasserstrahl stockte, ich sah, wie Rieke die Hand von seiner Schulter nahm. Für eine kurze Sekunde geriet ich ins Stolpern. Geistesgegenwärtig schlang ich das Saunatuch fester, hielt es mit einer Hand zusammen, winkte erst zurück, als ich mich wieder sicher fühlte.

      Noch heute überkommt mich ein Gefühl des Unbehagens, ja des Zorns, wenn ich an die Szene im Whirlpool denke. In dem Moment aber ließ ich mir meine Verwirrung nicht anmerken. Festen Schrittes setzte ich meinen Weg zur Saunahütte fort, sah nicht einmal zurück zu meinen Töchtern.

      Unvermittelt wünschte ich mir Jana herbei, meine Kusine, vertraute Freundin. Wir kannten uns am längsten. Sie und Thomas waren die letzten, die noch eintreffen mussten, dann würde unser Freundeskreis komplett sein.

      Ich kannte beide von Kindheit an, aber Thomas war mir eher fremd geblieben. Wusste er, dass Jana als Kind eine lebensbedrohliche Operation durchmachen musste? Hatte sie je erwähnt, dass sie unter Gleichgewichtsstörungen litt, zuletzt nur noch torkelte und immer weniger wurde?

      Sie wurde in die Universitätsklinik eingeliefert.

      Mutter fuhr hin, um ihrer Schwägerin eine Stütze und Janas Bruder eine gute Tante zu sein.

      Für ein paar beklemmende Tage ging die Todesangst in der Familie um. Der Chirurg schälte eine hühnereigroße Geschwulstkapsel aus Janas Gehirn. Ihre Entwicklung schien danach verzögert. Sie war langsam , wie die Erwachsenen sagten.

      Ein vergessen geglaubtes Bild taucht auf:

      Die Abendstunden nach einem warmen Mairegen. Überall auf dem Bahnsteig Pfützen. In der Ferne läuft der Zug ein, eine Bahnhofslampe scheppert. Mit dem Namensschild um den Hals wird ein müdes Kind aus dem Zug gehoben.

      Kniestrümpfe im Mai.

      Haare zum Pferdeschweif hochgebunden.

      Ährenwimpern über Kornblumenaugen.

      Vereinzelt ein verzögerter Lidschlag des linken Auges.

      Mutter: „Den Tick hat sie seit der Operation.“

      Das war Jana - mein Schutzengel.

      Kusine und Freundin.

      Wie eine Schwester.

      Sie war vier, vielleicht fünf, ein durchscheinend zartes Stadtkind, das zur Erholung zu uns aufs Land geschickt wurde und bis zur Einschulung blieb.

      Später kam Jana jeden Sommer.

      Großvater und Großmutter gingen anfangs sehr behutsam mit ihr um. Dabei war sie ein Wirbelwind.

      Ich war selig, ich war kein Einzelkind mehr. Endlich hatte ich eine ebenbürtige Spielkameradin gefunden!

      Am liebsten stromerten wir im Freien herum, kamen nur zu den Mahlzeiten und zum Schlafen nach Hause.

      Sommerwärme und Weizenfelder.

      Schmetterlinge im Glas.

      Kein Heuhaufen war vor uns sicher. Rauf und runter, wir kletterten und rutschten, rannten mit nackten Füßen über Wiesen und Stoppelfelder.

      „Ihr zwei seid bekannt wie ein bunter Hund.“

      Manchmal machte der Großvater sich auf die Suche nach uns. Die Leute im Dorf setzten ihn auf unsere Spur; keine Höhle im Heu, kein Versteck blieb ihm verborgen.

      An dem Tag aber, an dem wir ihn dringend gebraucht hätten, ließ ihn sein Spürsinn im Stich. Davon hat er später oft gesprochen. Hat sich Vorwürfe gemacht, weil er wusste - es war Hochwasser, und von allen Elementen übte Wasser die größte Faszination auf uns aus. Wir hatten die Wahl zwischen dem Schwimmbad, dem natürlichen Flusslauf mit seinen seichten Badestellen und dem Wehr unmittelbar daneben.

      Vom Wehr aus zwängte sich das schlammfarbene Gebräu schäumend und gurgelnd durch metertief gemauerte Gräben in den Fluss, der jeden Winter die angrenzenden Wiesen überschwemmte und uns Kindern kilometerlange Eisflächen bescherte.

      Bei Glatteis über die Wehrgräben springen - das war nicht ungefährlich. Als ich ausglitt, hineinfiel und davongetragen wurde, war Jana keineswegs langsam .

      Sie tat das einzig Richtige.

      Sie rannte und holte Hilfe.

      Im Vorraum der Zirbensauna herrschte Hochbetrieb. Ein Blick durch das Guckfensterchen und ich verzichtete auf einen zweiten Saunagang, zog lieber gleich den Bademantel über. Rieke und Sanne hockten nach wie vor neben Wolf im überfüllten Whirlpool. Wenn ich mich beeilte, blieb mir noch eine Weile Muße und Raum fürs Haaretrocknen und Schönmachen.

      Der Fahrstuhl hielt in unserem Stockwerk.

      „Haben Sie Wilma gesehen?“

      Da war er wieder, der alte Herr mit dem wirren Haarkranz - diesmal fürsorglich geführt am Arm eines jüngeren Mannes. Ihr Reisegepäck stand gestapelt auf einem Karren.

      Ich schüttelte den Kopf.

      „Nein, tut mir leid.“

      Was sonst hätte ich sagen sollen.

      Als wir feingemacht die Treppe hinunter in die Halle hasteten, trafen wir auf Sophie. Achtlos zusammengeknüllt klemmte ein Kleidungsstück unter ihrem Arm. Sie blieb stehen, küsste uns rechts und links zur Begrüßung.

      „Geht nur schon runter. Ich bin gleich bei euch!“

      Max hätte lange genug die Knitter in ihrer Leinenjacke kommentiert. Sie sei es leid, sie gehe sich umziehen.

      Sophies ungewohnt verkrampfter Gesichtsausdruck gefiel mir gar nicht. Ich erinnerte mich, dass Max in modischer Hinsicht seine ganz eigene konservative Vorstellung hatte. Kritik tat er mit Vorliebe raumfüllend kund, auch mich hatte sie gelegentlich getroffen.

      „Gottogott,