Sophie Lamé

Ein Gedicht zum Todestag


Скачать книгу

mpty-line/>

      Sophie Lamé

      Ein Gedicht zum Todestag

      Paris-Krimi

       Kommissarin de Belforts erster Fall

      Imprint

      Ein Gedicht zum Todestag

       Sophie Lamé

       published by: epubli GmbH, Berlin

       www.epubli.de Copyright: © 2014 Sophie Lamé Umschlaggestaltung: Erik Kinting - www.buchlektorat.net Titelbild: © Sandro Götze - Fotolia.com All rights reserved ISBN 978-3-7375-1985-4

      Zum Buch

      So hat sich der Stadtstreicher Faruk seine ersten Tage in Paris nicht vorgestellt. Eigentlich ist er aus Marseille gekommen, um mehr Ruhe und Sicherheit zu finden. Und nun ist ausgerechnet er es, der unweit des Eiffelturms eine Leiche entdeckt. Kommissarin Victoire de Belfort und ihre Leute nehmen die Ermittlungen auf. Es handelt sich um einen Giftmord, da ist sich der liebenswert schrullige Gerichtsmediziner Docteur Dupin sicher. Doch was hat das rätselhafte Gedicht zu bedeuten, das bei dem Toten gefunden wird? Noch während das Team der Brigade Criminelle den ersten Hinweisen nachgeht, wird im Büroviertel La Défense erneut eine Leiche gefunden. Und wieder ein Gedicht! Verbindet die Toten ein Geheimnis? Und wird es noch weitere Opfer geben? Eine erste Spur führt in die Pariser Unterwelt. Doch dann entdeckt Inspektor Perrec eine sonderbare Website …

      Die Autorin,

      die unter dem Pseudonym Sophie Lamé schreibt, ist in der Nähe von Frankfurt aufgewachsen. Nach Stationen in Paris und Süddeutschland lebt sie dort auch heute wieder. Die Stadt Paris ist für sie zweite Heimat wie auch unerschöpfliche Quelle der Inspiration. Und wenn auch Handlungen und Personen frei erfunden sind – die Orte des Geschehens existieren wirklich.

      Zuletzt erschienen ist ihr Paris-Roman Frühling im Oktober

      Donnerstag

      Pont Neuf, 1. Arrondissement

      Von Notre Dame schlug es zwölf Mal. Mitternacht. Faruk Ghoul hob den Kopf zum nachtschwarzen Himmel und betrachtete die schmale Sichel des Mondes. Je länger er schaute, desto mehr Sterne sah er aus dem samtigen Dunkel aufblitzen. Als hätte ich sie mit meinem Blick aus der Tiefe des Universums geangelt, dachte Faruk und lächelte. Der Gedanke gefiel ihm, doch er würde ihn schön für sich behalten. Er wusste was passierte, wenn er ihn mit den anderen teilte. Lachen würden sie und ihn einen Möchtegern-Poeten oder gar einen Spinner nennen. Heute Abend jedoch hätte er ihn sogar laut hinausschreien können, denn er war allein. Nicht, dass ihm die Einsamkeit etwas ausmachte. Er freute sich, dass er einen gemütlichen Platz gefunden hatte, an dem er ungestört und ganz für sich war. Faruk streckte seine Glieder und sog genießerisch Luft ein. Die Nacht war angenehm mild und die Wärme des Sommertages auch jetzt, da die Sonne längst untergegangen war, noch deutlich zu spüren. So, als spiele sie noch mit dem lauen Wind zwischen den Häusern der Stadt. Wie ein Kind, das man am Abend eines langen, heißen Junitages vergebens nach drinnen ruft. Faruk liebte es, sich solche Vergleiche auszudenken. Was sollte man auch sonst den ganzen Tag tun?

      Die gewaltigen und noch warmen Steine der Pont Neuf fühlten sich an seinem Rücken wunderbar an, und er schloss für einen Moment die Augen. Es war richtig gewesen, nach Paris zu kommen. Zum Glück hatte er nicht auf seine Kollegen gehört. Jean, Fabio, ja sogar sein bester Freund Djamal – sie alle hatten ihm abgeraten, aus Marseille wegzugehen.

      „Was soll das?“, hatte Djamal ihn gefragt, als er ihm von seinem Vorhaben erzählt hatte. „Geht es dir nicht gut hier? Die Stadt ist bunt und lebendig, es ist warm und wir haben das Meer. Einen besseren Platz gibt es nirgends.“

      Doch davon hatte Faruk nichts wissen wollen. Lange genug hatte er seinen Plan im Kopf hin und her geschoben und Vorteile gegen Nachteile abgewogen. Nein, in Marseille wollte er nicht alt werden und auch nicht sterben. Für seinen Geschmack starben in dieser Stadt am Mittelmeer zu viele Menschen. Und zwar ohne, dass sie die Chance gehabt hatten, alt zu werden.

      „Mein Entschluss steht fest“, hatte er seinem Freund an einem verregneten Abend im April mitgeteilt.

      „Das ist nicht dein Ernst! Komm schon, Kumpel, nur weil EINMAL schlechtes Wetter ist …"

      „Nein, Djamal“, lachte Faruk, „das hat mit dem Regen nun wirklich nichts zu tun. Ich werde diese Stadt verlassen. Warte“, er hob beschwichtigend beide Hände als er sah, dass die Augen seines Freundes groß wurden und er zu einer seiner endlosen Reden anheben wollte. „Ich werde dir erklären, warum ich gehe. Ich bin nicht mehr der Jüngste und eines Tages werde ich ein alter Mann sein. Und Marseille und das Alter, das passt nicht zusammen. Es gibt zuviel Gewalt auf den Straßen und in all den Jahren, die ich nun schon hier lebe, ist es immer schlimmer geworden.“

      Djamal schüttelte energisch den Kopf. „Das bildest du dir ein, glaub mir. Jede Stadt hat ihre Gefahren.“ Er schaute Faruk an und sah den Zweifel in dessen Augen.

      „Also gut, ich gebe zu, dass es hier nicht gerade paradiesisch ist.“ Geräuschvoll zog er die Nase hoch. „Ich hatte ja selbst schon einmal ein Messer im Bauch“, er grinste schief, „war halb so schlimm.“

      Faruk legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter. „Früher waren es Messer und heute muss man sich davor fürchten, in den Lauf einer Kalaschnikow zu blicken. Nein, Djamal, ich bleibe dabei. Ich gehe nach Paris.“

      Bereits einige Tage später hatte Faruk sein Hab und Gut gepackt, sein Gespartes gezählt und sich ein Zugticket gekauft. In der städtischen Notunterkunft, die er sonst nur im Winter aufsuchte, hatte er eine ausgiebige Dusche genommen und seine wenigen Klamotten in die Waschmaschine gestopft. Nachdem er Justine – eine der freiwilligen Helferinnen – von seinem Plan erzählt hatte, hatte sie ihn kurzerhand auf einen wackeligen Küchenstuhl gesetzt und ihm Kopfhaar und Bart gestutzt. „Damit du schön bist für Paris“, hatte sie gesagt und gelacht.

      Und nun saß er also hier in einer gemütlichen Nische auf einer der schönsten Brücken der Stadt und schaute sich den Mond an. Plötzlich nahm er einen hellen Lichtstreif wahr, der sich wie ein Suchscheinwerfer über den Himmel bewegte. Wie der Strahl des Leuchtturms am Hafen von Marseille, dachte Faruk und stand auf, um besser sehen zu können. Ah, jetzt konnte er die Quelle des Lichts erkennen. Er ging die wenigen Schritte zur gegenüberliegenden Brüstung und legte beide Hände auf die warmen Steine. Der Eiffelturm! Wie wunderschön und stolz er dort stand. Seit Faruk aus dem Süden hierher gekommen war, hatte er das Wahrzeichen der Stadt immer nur aus der Ferne betrachtet.

      „Am besten mache ich mich gleich auf den Weg“, sagte er laut und nickte entschlossen mit dem Kopf. Er konnte ohnehin nicht schlafen und nichts liebte er mehr, als nachts spazieren zu gehen. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen, wie er die anderen Obdachlosen oft nannte, trug er nur wenige Dinge bei sich. Ich reise gerne mit kleinem Gepäck, pflegte er zu sagen, wenn sie sich lautstark wunderten, dass er nichts als einen gefüllten Rucksack besaß. So hatte er es schon immer gehalten. Faruk hatte Prinzipien und, neben sauberer Kleidung und einem gepflegten Aussehen, war ihm die Ordnung in dem alten Wanderrucksack das Wichtigste. In ihn stopfte er nun also seine dünne Wolldecke, die Baguettereste vom Abendessen und eine angebrochene Flasche Wein mit Drehverschluss. Zu guter Letzt schnallte er seine rosafarbene Isomatte fest. Allah wusste, wie oft er dafür schon ausgelacht worden war. Aber sie war bequem, und als Obdachloser durfte man schließlich nicht wählerisch sein. Sollten sich die anderen ruhig darüber amüsieren, das hielt er aus. Als algerischer Einwanderer, der 1964 im Alter von acht Jahren nach Marseille gekommen war, hatte er wahrlich Schlimmeres erlebt, als wegen einer rosa Matte ausgelacht zu werden. Faruk schulterte seinen Rucksack und marschierte, den Eiffelturm vor Augen, entschlossen los. Er orientierte sich am Lauf der Seine und prägte sich all die herrlichen Gebäude ein, die ihm auf seinem Marsch begegneten. Die goldene Kuppel des Institut de France, das Musée d‘Orsay mit seiner riesigen Bahnhofsuhr und das langgestreckte Gebäude des Louvre auf der anderen Seite des Flusses. Seine Füße begannen schon zu schmerzen,