Said Gül

Machtkampf am Bosporus


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wenn du mit ihm spielst.“

      Für das Spielen werde ich zu alt, dachte sich Said, aber stimmte ihr dennoch zu, weil er diesen öden Zustand kaum noch ertragen konnte.

      Am Nachmittag saß er auf einem Stein auf der Galata-Turm-Straße gegenüber dem Konak von Eleftheria und schaute sich nach ihr um. Jeden Augenblick sollte sie mit Hagop und Stavros um die Ecke marschieren und ihn grüßen. Sie waren nämlich die einzigen, mit denen die Zeit wie im Flug verging. Sein sehnliches Warten verwandelte sich in eine unbeschreibliche Begeisterung, als er seine Freunde um die Ecke kommen sah.

      „Hallo Said“, grüßte ihn schnell Eleftheria und winkte ihm zu.

      „Hallo Eleftheria“, sagte Said, schaute sie an und hielt einen Moment inne.

      „Was ist mit uns?“, fragte Hagop pikiert.

      „Ach, Hagop. Auf dich habe ich auch die ganze Zeit gewartet“, sagte Said und umarmte seinen Freund, damit er es ihm vergab.

      „Schon gut“, sagte Hagop. Sie legten ihre Taschen ab, setzten sich auf große Steine, die sich am Straßenrand befanden, und unterhielten sich. Eleftheria entwickelte Said gegenüber andere Gefühle als noch vor einem Jahr und merkte, dass sie und Said zu jungen Erwachsenen heranwuchsen. Es war nicht mehr das Freundschaftsgefühl, das in ihr aufflammte, sondern es keimte ein Gefühl auf, das sie anders über Said zu denken verleitete. Sie empfand eine Zuneigung zu ihm, die sie jedoch noch nicht aussprechen konnte. Da sie sich zum ersten Mal in einen Jungen verliebte, wusste sie nicht, ob ihre Gefühle von anderen verstanden wurden oder nicht. Sie ließ es nicht anmerken und tat so, als wären sie die Nachbarskinder, die wie ehedem ihre Spiele auf den Straßen spielten.

      „Hast du in letzter Zeit von deinem Vater gehört?“, fragte Hagop Said.

      „Nein. Das letzte Mal schrieb er vor einem Monat und sagte, es gehe ihm gut in Bosnien. Aber er vermisse uns und sein Viertel sehr“, antwortete Said.

      „Wie sehen die Aussichten für eine Rückkehr aus?“, stellte Eleftheria die nächste Frage.

      „Wenn ich das wüsste, Eleftheria. Ich brauche einfach seine Nähe. Mein Großvater versucht seine Abwesenheit vergessen zu machen, indem er mit mir einfach alles unternimmt, aber ein Großvater ist kein Vater“, schluchzte Said.

      „Kann ich verstehen“, bestätigte Hagop.

      „Wie das? Dein Vater ist doch bei dir, Hagop“, sagte Eleftheria.

      „So hat er es doch nicht gemeint“, korrigierte Said sie.

      Eleftheria verspürte den Missmut, den sie bei Said erzeugt hatte, und entschuldigte sich. Sie wollte ihm nie wehtun und ihm auch nie widersprechen. So sehr mochte sie ihn.

      „Schon gut“, ergriff Said wieder das Wort und lenkte das Gespräch in eine andere Bahn: „Wie sieht es mit deiner Zukunft aus Hagop? Bist du immer noch entschlossen, das Geschäft von deinem Vater zu übernehmen, wenn du die Schule abgeschlossen hast? Oder hat sich an deinen Plänen etwas geändert?“

      „Die Geschäfte meines Vaters blühen auf. Es wäre schade, wenn ich ihn im Stich lassen und unseren Familienbetrieb nicht ausweiten würde. Außerdem ist mein Vater lokal beschränkt und bei der Lieferung der Stoffballen auf bestimmte Händler angewiesen. Ich werde bei der Anschaffung der Stoffe über die Grenzen fahren und neue Zusteller finden, die die gleichen Waren preisgünstiger anbieten. Er bezieht seine Ballen von holländischen Kaufleuten, deren Schiffe unten am Hafen anlegen. Als ich einmal meinen Vater zum Hafen begleitete, hörte ich Händler untereinander reden, chinesische und indische Stoffe wären noch strapazierfähiger und langlebiger“, berichtete Hagop.

      „Na, du hast dich ja schon in das Geschäft eingearbeitet, mein Freund“, sagte Said und wandte sich an Eleftheria und stellte ihr die gleiche Frage.

      „Ob ich meinem Vater in seinem Pelzgeschäft aushelfe oder meinen eigenen Weg gehe, weiß ich noch nicht“, sagte sie und dachte an die gemeinsame Zukunft mit Said. Ihn als Mann zu haben und mit ihm glücklich sein. Das waren eigentlich ihre Wünsche, aber wie sollte sie das äußern? Sie wusste es nicht und schwieg.

      „Vielleicht tun sich unsere Väter zusammen und die Geschäfte expandieren dann. Wer weiß?“, sagte Hagop und schaute Eleftheria an.

      „Vielleicht“, sagte sie nur knapp und hob ihre Schultern hoch.

      „Egal, was wir auch später sein mögen, eins steht fest: Wir bleiben immer die besten Freunde. In guten wie in schlechten Zeiten“, brachte es Said auf den Punkt. Hagop und Eleftheria stimmten ihm zu.

      „Will denn keiner fragen, was ich sein möchte?“, fiel ihnen belustigt Stavros ins Wort. Der inzwischen elfjährige Sohn des Griechen Lisias erfand immer frohsinnige Sprüche und brachte die anderen zum Lachen.

      „Na dann schieß mal los, mein Kleiner“, forderte ihn Said auf.

      „Also, ich möchte Priester sein, so wie Vater Krikor. Er wird von jedem in der Gemeinde geachtet. Er kümmert sich um seine Schüler und sorgt für die armen Menschen, die an seine Tür klopfen. Er ist für mich der Repräsentant unseres Herren Jesus Christus in unserer Umgebung. Wenn ich ihn mir ansehe, denke ich an unseren Herren“, teilte Stavros seine Wünsche mit.

      „Das wird eine tolle Gemeinschaft. Der eine wird Geschäftsmann und denkt wirtschaftlich. Der andere geht in die Armee und denkt militärisch. Der letztere geht in die Mutter Kirche und denkt geistlich“, fasste Said zusammen und überlegte, was er Eleftheria zuschreiben sollte. Er hörte in letzter Zeit viel von den musikalischen Bemühungen seiner Freundin und setzte fort:

      „Und du Eleftheria, wenn du deines Vaters Geschäfte nicht übernehmen solltest, dann sei du unsere Künstlerin. Deine Begabung beim Spielen auf der Harfe ist in aller Munde. Du sorgst dann immer für eine gute Stimmung, wenn es uns nicht heiter zumute ist.“

      Sie alle lachten.

      Diese Heiterkeit schwand dahin, als Betim um die Ecke kam und nach ihnen rief. Ihn konnten mittlerweile auch Hagop und Eleftheria nicht mehr leiden, weil er jeden Spaß verdarb und immer wieder mit überflüssigen Bemerkungen stichelte.

      „Na Kinder, was macht ihr hier?“, fragte Betim.

      „Nichts“, erwiderte ihm Said.

      „Ich kam soeben aus der Schule und habe dich im Konak nicht gefunden, Said. Ich dachte mir, dass du wieder mit deinen kleinen Freunden zusammen bist“, spöttelte er.

      „Sag mal. Wie wäre es, wenn du deinen Kumpel Mersed suchst und mit ihm die Zeit verbringst, anstatt uns zu belästigen?“, zürnte Eleftheria.

      „Meine Anwesenheit ist also nicht erwünscht“, bemerkte Betim.

      „So viel Intelligenz in deinem Alter ist anerkennenswert“, verhöhnte ihn Hagop.

      Said trat Betim nicht zu nah. Obwohl er ihn innerlich hasste, teilte er seit Jahren denselben Haushalt mit ihm. Gleichgültig was er tat – er war seiner Familie anvertraut. Er würde bald von alleine das Viertel verlassen, wenn er zur Rekrutenschule aufgerufen würde.

      „Komm Betim, du bist hier nicht willkommen, also mach dich jetzt vom Acker“, sagte Said.

      Betim ließ diese Sprüche nicht länger über sich ergehen und begab sich zurück in den Konak.

      Von der Gasse aus sah er Mersed aus dem Fenster ihres Konaks auf die Straße schauen und winkte ihm zu.

      „Kommst du runter?“, fragte Betim.

      „Ja. Warte. Ich wollte sowieso gleich zu dir kommen“, erwiderte Mersed und eilte auf die Gasse. Auf Wunsch Merseds trotteten sie gemeinsam zu Said und die anderen, nicht um sich mit ihnen zu unterhalten, sondern um sie aus der Nähe zu belauschen und sie zu piesacken. Hagop sah die beiden Quengler, die sich in Hörweite auf Steine hockten und in ihre Richtung blickten.

      „Einer reicht wohl nicht, um unseren Spaß zu verderben“, sagte Hagop.

      „Lass dich doch nicht aus der Fassung bringen. Das ist das, was die wollen“,