Said Gül

Machtkampf am Bosporus


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ließe. Doch die Neugierde ließ Eleftheria nicht los. Sie blickte über die rechten Schulter von Said, der Mersed den Blickwinkel versperrte, erneut zu ihm hinüber, und empfand seine Stielaugen, mit denen er sie anstierte, als grobe Belästigung.

      „Sag mal, hast du Probleme mit deinen Augen?“, stürmte Eleftheria auf Mersed los. Sie heftete ihre geballten Fäuste an ihre Hüfte und sah Mersed herausfordernd an.

      „Was ist los?“, mischte sich Said in die Furore ein.

      „Ach nichts, Said. Dieser Spanner glotzt mich schon die ganze Zeit an“, sagte Eleftheria und deutete mit dem Zeigefinger auf Mersed.

      „Was erlaubst du dir eigentlich, unsere Freundin anzugaffen, du Lümmel?“, rief Hagop zu und bewegte sich zwei Schritte nach vorne, um Mersed Angst einzujagen.

      „Was soll das Spektakel, Kinder?“, schritt Betim in den Zank ein und versuchte die Streiterei beizulegen.

      „Betim, nimm meinen Cousin mit und unterhaltet euch woanders. Das Viertel ist groß genug und reicht für uns alle aus“, versuchte Said die erhitzten Gemüter zu besänftigen.

      Die beiden Radaumacher sausten davon und suchten sich einen ruhigeren Ort, als ob sie nicht für die Unruhe zuständig gewesen wären. Sie schritten die Galata-Turm-Straße hoch und blieben vor der Bäckerei von Emrullah stehen. Der Duft der frischgebackenen Fodlas verführte die beiden. Mersed sog den Geruch auf und schloss dabei seine Augen.

      „Unser Herr hat schon Hunger bekommen“, scherzte Betim. Mersed fand sich wieder, dachte an den Zwischenfall von vorhin und öffnete sich Betim. Obwohl er dessen Herumkommandieren nicht ausstehen konnte, gab es für Mersed niemanden, dem er seine Geheimnisse anvertrauen könnte. Mit wem, wenn nicht mit Betim, sollte er sein Anliegen teilen? Wenn er dieses Gefühl nicht aussprach, kam es ihm vor, als ob es ihm zur Last fiele.

      „Betim, ich muss dir was beichten“, fing er dann an.

      „Ich höre, Mersed“, erwiderte ihm Betim und richtete seine Blicke auf seinem Kumpan. Durch die Angst, von jemandem belauscht zu werden, schlug er Betim vor, hinter den Galata-Turm zu gehen und sich in eine menschenleere Ecke zu verkriechen. Sie kauerten sich auf den Boden, wobei Mersed sich umsah und sich vergewisserte, dass auch niemand in der Nähe war.

      „Betim. Ich muss dir was beichten“, wiederholte er.

      „Na, dann schieß mal los, Junge. Was gibt‘s?“, bohrte Betim nach.

      „Ich glaube, ich bin verliebt“, beichtete Mersed schließlich.

      „Verliebt? In wen denn?“, schrie er inbrünstig.

      „Sei leise, Mann“, warnte ihn Mersed flüsternd und hielt seinen rechten Zeigefinger vor seine Lippen.

      „Ist gut. Ist gut“, wisperte Betim. „Wahnsinn. Unser Herr ist verliebt. Und wer ist die Glückliche?“, fragte er weiter.

      „Eleftheria“, gestand Mersed.

      „Na ob das gut geht? Sie hasst dich wie den letzten Dreck“, kränkte er Mersed.

      „Woher willst du das wissen?“, widersprach ihm Mersed.

      „Na, an ihren Augen. Glaubst du ich merke es nicht, wie sehr sie in Said verliebt ist?“, sagte Betim.

      „In Said? In meinen Cousin?“, staunte Mersed.

      „Natürlich. Das sieht doch eine blinde Kuh“, versicherte ihm Betim.

      „Ich nicht. Denn ich bin weder blind noch eine Kuh“, schimpfte er mit Betim, trat ihm näher und ging ihm an den Kragen. Zum ersten Mal in ihrer Beziehung fühlte sich Mersed überlegen.

      „Was machst du Junge?“, versetzte Betim. Mersed nahm seine Hand wieder von Betims Kragen und nahm wieder Vernunft an.

      „Ist das wahr, Betim?“, fragte er sodann.

      „Natürlich.“

      „Aber ich empfinde eine grenzenlose Liebe zu ihr“, sagte Mersed. Betim sah die Trauer auf Merseds Gesicht und die Tränen, die seine Wangen herunterkullerten.

      Betim, der eine harte Natur besaß und sich von niemandem in Mitleidenschaft ziehen ließ, betrachtete die Gefühle seines Freundes als kindisch und verweigerte seinen Trost. Er begnügte sich sogar mit einem spöttischen Lachen, verließ die Ecke hinter den Galata-Turm und ließ seinen Freund mit seiner Kummer allein. Mersed blickte ihm nur hinterher und wägte seine Beziehung zu Betim nochmal ab. Betim behandelte ihn wie seinen Handlanger. Er plante alles, befahl und verheimlichte sogar einiges, während er, Mersed, nur gehorchte und tat, was er sagte. Seine Beschimpfungen ließ er sogar über sich ergehen und brachte keinen Ton heraus. Auch in dieser Lage dachte Betim nur an sich. Was war mit dem vielen Geld, das sie der Stiftung entwendet hatten? Betim versteckte es oben auf dem Dachboden bei Said, und er, sein Komplize, wusste nicht einmal, wo es war, obwohl das Geld unter ihnen beiden aufgeteilt werden sollte. Das sagte zumindest Betim, aber er ließ seinen Worten keine Taten folgen. Wenigstens die Hälfte müsste doch ihm gehören, weil sie diesen Raub zu zweit durchgezogen hatten. Betim konnte und durfte das Geld nicht für sich beanspruchen und er das Nachsehen haben. Wer braucht schon kein Geld?, dachte er. Der Freitag bot eine gute Gelegenheit, den Konak von Ibrahim zu durchsuchen, um herauszufinden, wo Betims Versteck war. Der Markt und die anschließende Beschäftigung von Afife und Ibrahim in der Stiftung dauerten länger, sodass sie bis in die Abendstunden fort waren. Said und Destegül nutzten den einzigen schulfreien Tag der Woche aus und trödelten auch auf dem Markt herum. Blieb nur noch zu hoffen, dass Halil Agha nicht dort war.

      Am Nachmittag schlich Mersed in den Konak, wo er von seinem Kumpan überrascht wurde. Er hockte alleine zu Hause und langweilte sich. Mersed setzte sich zu Betim und ließ sich von seinem Zorn ihm gegenüber nichts anmerken. Auf Merseds Frage hin, tischte ihm Betim eine Lüge auf, er sei krank und sei deshalb zu Hause geblieben.

      „Na, hast du dich von deinem Kummer wieder erholt, Mersed?“, fragte Betim.

      „Ja, es geht wieder“, log ihn diesmal Mersed an.

      Er hielt kurz inne und wechselte das Thema, um seinem Plan nachzugehen.

      „Sag mal, Betim“, ergriff Mersed das Wort, „ich habe gehört, wie du in der Schule bist. Es heißt, du passt nie auf“. Damit zog er den Zorn Betims auf sich.

      „Wer erzählt denn diesen Mist?“, schimpfte Betim.

      „Na der Hagop. Euer Lehrer, wie er auch immer heißt ...“

      „Pater Varujan“, ging Betim dazwischen.

      „... genau der. Er soll sich über deine Leistungen sehr beschweren und hätte mit Onkel Garbis in der Gemeinde darüber gesprochen.“

      „Unsinn. Onkel Garbis hat mir nichts davon erzählt“, protestierte Betim.

      „Mit meinem Großvater wolle er auch sprechen“, setzte Mersed fort.

      „Soll er doch. Ich werde auch alles erzählen, was in der Schule vorgeht“, sagte Betim.

      „Was meinst du, ob er eher dir oder deinem Lehrer glaubt?“ Mersed ging Betim allmählich auf die Nerven.

      „Junge, guck dich erst einmal selber an. Du bist auch keinen Deut besser als ich“, brauste Betim auf.

      „Wir reden aber gerade von dir, Betim. Nicht von mir“, ließ Mersed den Streit eskalieren.

      „Halt jetzt deinen Schnabel, Mersed. Du gehst mir auf die Nerven“, fing Betim zu schimpfen an und drängte Mersed hinaus. „Ich will dich hier nicht sehen!“

      Merseds Plan ging trotzdem auf. Zu seinem Staunen legte sich Betim nicht hin, sondern ging wutentbrannt aus dem Haus, ließ aber noch die Bemerkung los, Mersed solle auf der Stelle nach Hause gehen.

      Auf der Gasse bog Betim in die Galata-Turm-Straße in Richtung Feuerwehrturm ab und Mersed tat so, als ginge er nach Hause. An der Straßenecke spähte er ihm nach, bis er ihn aus den Augen verlor.

      Er machte auf dem Absatz kehrt und begab sich