Gerhard Freitag

Die Positiven


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auch komplexeste Sicherheitsstufe darstellt. Es ist unmöglich, diese Frequenz technisch zu imitieren, daher ist der Zugang wirklich nur den sechs erlaubten Personen möglich.“

      „Wunderbar“, versetzte Wu En Mai auf Netebene. „Die Erfindung ist natürlich von NANO und ich erlaube mir daher, anzufragen, ob es da keine Hintertüren gibt?“

      Steve Jefferson zeigte ein angespanntes Gesicht. „Sie glauben doch nicht, dass wir sechs zum ersten Mal zusammentreffen und ich würde spionieren?“, fragte er.

      „Immerhin erfahren wir von dem Wunderwerk der Technik soeben jetzt und nicht mit einer Vorbereitungszeit von Wochen“, bemerkte Robert Seidner.

      Akira Samakito versuchte einzulenken: „Sehr geehrte Herren. Ich denke, dass ein Chat-Room, der es uns die Möglichkeit bietet, einen Gedankenaustausch abzuhalten, von dem absolut nichts an die Öffentlichkeit dringen kann, für uns alle von großer Bedeutung ist. Mr. Jefferson, ich danke Ihnen für die Vorstellung dieser Erfindung.“

      Steve Jefferson war besänftigt. „Gehen Sie bitte alle davon aus, dass wirklich niemand unseren Gesprächen folgen kann. Es ist absolut unmöglich.“

      Joao Barbarez wies darauf hin, dass man die mitgekommenen Delegationen über die Erfindung informieren müsse, da diese ja von ihren Gesprächen nichts mitbekommen würden. Damit waren alle einverstanden.

      Die Konferenz konnte also beginnen. Was konnte mit dieser ersten Zusammenkunft geschafft werden? Der Hauptvorteil war wohl, dass diese überhaupt stattfinden würde. Nigel Manston war sicher, dass der Jahreswechsel und die damit verbunden Feststimmung eine einmalige Bühne für diese Einladung gewesen war. Er glaubte nicht, dass das tiefe Misstrauen zwischen den Staaten und Konzernen deswegen auszuräumen sei. Es war wohl mehr ein Schritt in die richtige Richtung.

      Die Konzerne würden weiterhin im Geldverdienen das einzig probate Mittel zur Lösung aller Probleme sehen. Die Politiker der drei großen Erdblöcke würden nach wie vor versucht sein, ihren Einfluss auszudehnen und dafür so manches Mittel einzusetzen. Auch wenn es an die Grenzen der Legalität streifte.

      Nigel Manston begann:

      „Ich wiederhole also unsere informell erhobene Tageordnung:

       Künftiger politischer Einfluss der Konzerne

       Bewaffnung im Weltraum

       Bau eines überlichtschnellen Raumschiffes

      Sind alle einverstanden, dass wir diese Themen im Chat-Room besprechen?“

      Nachdem sein ABC fünf zustimmende Impulse erhalten hatte schlug er vor, zuerst eine Erfrischung einzunehmen und dann mit der Konferenz zu beginnen. Er erhob sich, um zu dem Sideboard zu gehen, wo Speisen und Getränke auf die Gäste warteten.

      Er teilte den Delegationsmitgliedern mit, dass die eigentliche Konferenz auf Ebene des ABC in einem besonders abgeschirmten, virtuellen Chat-Room stattfinden würde, der für die Begleitung der Präsidenten und Konzernchefs nicht zugänglich war. Man würde sie aber natürlich laufend informieren.

      Sofort erhob sich ein Gemurmel und wurden Diskussionen über so eine Art der Konferenz geführt. Man war sehr neugierig, wie sich so etwas praktisch abspielte.

      Die 3 Politiker und Konzernchefs mussten sich kurz unter eine Maschine setzen, bekamen für weniger als 1 Minute eine Art Metallhaube aufgesetzt, die ihre spezifischen Hirnwellenmuster speicherte.

      Nachdem sich die meisten Teilnehmer am Sideboard bedient und dann wieder Platz genommen hatten, senkte sich langsam Stille über den festlich geschmückten Speisesaal.

      Nur das leise Raunen der Delegationsmitglieder war in Saal zu hören, als Nigel Manstons ABC seine Gedanken in den Net-Chatroom stellte:

      „Meine Herren! Die politischen Führer der Erde haben in letzter Zeit immer wieder vernommen, dass die Konzerne mit der Politik nicht einverstanden wären.“

      Steve Jefferson replizierte als erster: „Die Konzerne liefern Steuern an die Staaten ab und tragen damit zu mehr als 70% zur Finanzierung bei. Unser Einfluss auf die politischen Entscheidungen beträgt aber weit weniger als 70%.“

      „Worüber man trefflich streiten könnte“, war der Beitrag Wu En Mais. „Ihr Einfluss ist vielleicht 80%, ihr Steueraufkommen aber nur 40%.“

      Nigel Manston warf ein: „Ich denke nicht, dass man einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Steuerzahlung und politischen Einfluss herstellen sollte.“

      Akira Samakito ließ das nicht gelten: „Uns geht es darum, dass wir nicht wirklich mitbestimmen können, was die Erde – als Ganzes gesehen – zu tun gedenkt. Bedenken Sie bitte, dass es vor vielen Jahren politische Entscheidungen waren, die zur Gründung von Behörden führten, deren Aufgabe z.B. die Erforschung des Weltraumes war. Dafür erhielten sie Steuergelder. Heute ist das jedoch ganz anders. HONDA, NANO und EE finanzieren Raumschiffe, außerirdische Stationen und Forschungsprojekte. Gleichzeitig sollen sie sich aber vorschreiben lassen, wie man sich außerhalb der Erdatmosphäre zu verhalten hätte?“

      Robert Seidner ergänzte: „Dazu kommt noch, dass ja Konflikte zwischen den Konzernen und zwischen den Staatsblöcken denkbar sind. Die Menschheit hat zwar früher viele Kriege geführt, in den letzten Jahren aber doch etwas daraus gelernt. Die Zahl der bewaffneten Konflikte tendiert praktisch gegen Null. Wissen wir aber, ob das so bleibt?“

      Wu En Mai fügte hinzu: „Der zweite Punkt auf der Tagesordnung hat nach dieser Wortmeldung unmittelbar mit dem ersten Punkt zu tun. Sollen künftig zu bauende Raumschiffe bewaffnet sein?“

      Steve Jefferson kam zu seinem ursprünglichen Anliegen zurück: „Ich denke, wir brauchen eine Art Kontrollgremium. Ein Organ, dass die Regeln für das Verhalten außerhalb der Erde festlegt.“

      „Wir könnten ja das geltende Völkerrecht als für außerhalb der Erde bindend regeln“, meinte Nigel Manston.“

      „Da sehe ich aber jede Menge formale Ungereimtheiten“, antwortete Wu En Mai. „Das mit dem Kontrollgremium würde mir besser gefallen. Allerdings wäre dieses Gremium einerseits ungeheuer mächtig, andererseits nicht demokratisch gewählt. Woher sollte es also seinen Anspruch ableiten, über die Geschicke der Menschen und Ressourcen außerhalb der Erde bestimmen zu wollen?“

      Steve Jefferson wiederholte: „Das auch. Aber zusätzlich ist ja die Frage noch nicht beantwortet, warum die Konzerne zahlen und die Politiker bestimmen sollten.“

      Joao Barbarez konterte: „Weil die Politiker eben dazu gewählt worden sind. Oder sollen die Politiker zahlen und die Konzernchefs bestimmen?“

      „Vermutlich kann man das gar nicht wirklich trennen. Wie wollen Sie den im Fall eines Konflikts den Menschen erklären, warum sie so, und nicht anders entschieden haben?“, fragte Akira Samakito.

      Steve Jefferson stimmte teilweise zu: „Der Vorteil eines Kontrollgremiums wäre eben, dass die Politik und die Konzerne vertreten sein sollen. Damit könnten wir nach außen klar machen, dass über Angelegenheiten außerhalb der Erde, dieses Gremium bestimmt, oder zumindest mitbestimmt.“

      In dieser und ähnlicher Weise ging es weiter und weiter.

      Im Saal herrschte eine gespenstische Atmosphäre, die man in dieser Form noch niemals erlebt hatte. Die drei Staatsführer und die drei Konzernführer saßen an ihren Plätzen und schwiegen. Aus ihrem Mienenspiel war nicht viel abzulesen, außer der Tatsache, dass sie scheinbar intensiv miteinander kommunizierten. Die Sicherheitsleute aller Beteiligten versuchten natürlich den Chat-Room zu finden, was gar nicht so einfach war, da Net selber sich weigerte, bei der Suche zu helfen. Auch dem mit Heimvorteilen ausgestatteten Secret Service gelang es zuerst nicht, die virtuelle Adresse dieses Raumes zu entdecken. Als es schließlich gelang, wurde schnell klar, dass man die Gehirnwellenmuster der sechs Berechtigten technisch nicht simulieren konnte. Ein Eindringen und Lauschen war absolut unmöglich.

      Die Diskutanten informierten dazwischen ihre Berater, schickten Net-Avatare aus, um zusätzliche Hintergrundinformationen einzuholen, hinterfragten