Hans-Otto Kaufmann

Flug nach Johannesburg


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der Beamten blätterte mechanisch in einem Ordner.

      “Mit Dr. Damel?”

      Erleichtert nickte Arndt.

      “Gleich links durch die Tür”, kam gelangweilt die Antwort.

      “Sie können jetzt durch die Sperre gehen.”

      Die Eheleute folgten brav dem Hinweis und standen wie bestellt und nicht abgeholt in einem großen Kantinensaal, in dem sich kaum jemand aufhielt. Nur in der Tiefe des Raumes saßen sich zwei Männer, ins Gespräch vertieft, gegenüber. Hinter dem langen Tresen war man mit Saubermachen beschäftigt.

      Lütje-Kappenbergs schauten sich um, nahmen an einem der vorderen Tische Platz und harrten der Dinge, die da kommen sollten.

      “Glaubst du, dass es einer von den beiden ist, Arndt?”

      “Gut möglich. Ist ja sonst niemand hier.”

      “Wenn der Direktor extra nach Deutschland fliegt, um sich neue Lehrer anzuschauen, wird er heute sicher einige Gesprächstermine haben.”

      “Klar. Er lässt natürlich alle nacheinander antanzen. Hoffentlich müssen wir nicht zu lange warten.”

      Seine Finger trommelten nervös auf der Tischplatte.

      “Arndt, versuch` bloß nicht den Eindruck zu erwecken, dass du es eilig hast. Dann kann der Schuss nach hinten losgehen. So unwichtig ist die Sache nun auch wieder nicht.”

      “Ich weiß, ich weiß.”

      Er fühlte sich in der Zwickmühle. Einerseits wollte er locker, entspannt und total spontan wirken, andererseits hatte er sich einige vorteilhafte Formulierungen überlegt, um sich in ein positives Licht zu setzen.

      “Schleimpunkte sammeln”, wie die Schüler sagen.

      Das konnte nie schaden.

      Nach wenigen Minuten erhoben sich die beiden anderen Gäste, schüttelten sich die Hände. Während einer dem Ausgang zuschritt, hielt der andere, ein kurzbeiniger, graumelierter, elegant gekleideter Herr mit aparter Nickelbrille, an ihrem Tisch.

      Sie erhoben sich höflich.

      “Frau und Herr Lütje-Kappenberg, I presume?”

      Arndt bejahte amüsiert die afrikanische Anspielung.

      “Darf ich Ihnen meine Frau Irene vorstellen?”

      “Sehr angenehm.”

      Artig gaben sie Pfötchen.

      “Meine Name ist Dr. Damel. Ich bin der Direktor. Es freut mich, Sie persönlich kennen zu lernen. Bitte nehmen Sie doch Platz. Wie war die Reise nach Köln?”

      “Problemlos. Nur ein kleiner Stau auf der A1.”

      “Tja, damit muss man leider immer rechnen.”

      Aus einem flachen Aktenköfferchen fischte er einige Prospekte und Papiere und breitete sie auf dem Tisch aus.

      “Ich schlage vor, wir gehen gleich in medias res, Herr Lütje-Kappenberg. Sie haben sich neben zwei anderen Kollegen auf die Stelle an meiner Bildungsanstalt beworben. Dieses Gespräch soll Ihnen Gelegenheit geben, sich einmal zu Ihren bisherigen beruflichen Schwerpunkten zu äußern, damit ich mir ein genaueres Bild von Ihnen machen kann. Anschließend erzähle ich Ihnen etwas über die Besonderheiten meines Hauses und beantworte Ihre Fragen. Was halten Sie davon?”

      Arndt fielen keine gravierenden Einwände ein.

      “In Ordnung. Womit soll ich anfangen?”

      “Sie vertreten, wenn ich richtig informiert bin, die Fächer Geschichte und Sport. Beginnen wir doch einmal mit dem, was Sie im Fach Geschichte bisher für Erfahrungen gesammelt haben.”

      Erneut nestelte Arndt an seinem Schlips und legte los.

      “Also, da müsste man wohl zunächst erwähnen, dass ich in den letzten vier Jahren Fachvorsitzender war.”

       (“Sie haben sicherlich nichts dagegen, dass wir Ihnen die ehrenvolle Aufgabe des HOD-Geschichte übertragen haben. Wenn Sie bitte umgehend mit der Aktualisierung des Fachcurriculums beginnen wollen!”)

      “In dieser Funktion konnte ich einige neue Impulse geben, zum Beispiel habe ich Museumsbesuche und Exkursionen organisiert. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass die Schüler Geschichte immer hautnah, sozusagen zum Anfassen erleben sollten.”

       (“Bist du verrückt, den Zulu-Speer zu klauen, Heinrich? Der gehört doch zur Museumssammlung! Stell` ihn sofort zurück!”)

      “Darüber hinaus ist es mir immer wieder gelungen, Zeitzeugen oder bekannte Historiker zu Gesprächen oder Buchvorstellungen einzuladen.”

       (“Herr Lütje-Kappenberg, müssen wir uns den Vortrag über die Apartheids-Zeit weiter anhören? Schauen Sie mal nach hinten. Die Schüler der letzten Reihe sind bereits eingeschlafen.”)

      “Großen Wert lege ich auf einen handlungsorientierten Unterricht. So haben wir in einem Projekt beispielsweise eine mittelalterliche Klosteranlage aus Papier und Pappe maßstabgetreu nachgebaut.”

       (“Wenn du noch einmal den Gluestick durch die Klasse wirfst, gibt es Detention. Ist das klar?”)

      “Schülerorientiertes Arbeiten versteht sich wohl von selbst.”

       (“Wir haben heute keinen Bock auf Napoleon. Können wir für den Mathetest lernen?”)

      “Betonen möchte ich, dass die Schüler im Sinne eigenverantwortlichen Arbeitens ihr Zeitdeputat selber organisieren müssen.”

       (“Beeilt euch mal ein bisschen! Ihr habt noch dreißig Minuten bis zum Klingeln, dann müsst ihr die Gruppen gebildet haben!”)

      “Wichtig ist es natürlich auch, dass den Schülern immer ein spielerischer Zugang zur Geschichte eröffnet wird, damit das Ganze nicht nur trockenes Pauken nach dem Lehrbuch wird, denn davon halte ich gar nichts.”

       (“Schluss mit dem Kreuzworträtsel! Zettel einsammeln! Schlagt sofort das Buch auf! Seite 105!”)

      “An einem freundlichen, aber an der Sache orientierten Unterrichtsklima ist mir sehr gelegen.”

      (“Lies lauter, Chris! Und ihr beiden dahinten hört sofort auf zu quatschen und mit den Papierkugeln zu werfen, sonst schmeiße ich euch raus!”)

      “In unserer Fachschaft haben wir auch interessante Testverfahren entwickelt, die das kreative Schreiben über geschichtliche Fragen fördern sollen.”

       (Open-Book-Test Nr. 4:

       Der Anglo-Boer-War dauerte von 1899 bis 1902.

       Lies den Satz viermal leise für dich durch.

       Beantworte die folgende Frage:

       Wann endete der Anglo-Boer-War?

       Antworte im ganzen Satz und unterstreiche die Zahl 1902. -15%-)

      “Das hört sich interessant an, Herr Lütje-Kappenberg. Gibt es Wichtiges zum Fach Sport zu sagen?”

      “Ja, was das Fach Sport angeht, so war ich vor zehn Jahren für drei Jahre Fachvorsitzender. Danach habe ich unsere Volleyball-Schulmannschaft übernommen und zu acht Turniersiegen in Folge geführt. Ein bis dahin beispielloser Triumph in der Geschichte unseres Gymnasiums, wie ich bescheiden unterstreichen möchte. Ansonsten unterrichte ich in allen Jahrgangsstufen und habe in Abiturprüfungen häufig den Vorsitz geführt. Im Sportunterricht kommt es natürlich vor allem darauf an, dass Spiel und Spaß miteinander verbunden und die Schüler in ihrem Leistungswillen und Selbstbewusstsein gestärkt werden.”