Hans-Otto Kaufmann

Flug nach Johannesburg


Скачать книгу

Runde um den Platz bewegen?”)

      “Herr Lütje-Kappenberg, das klingt alles recht aufschlussreich und vielversprechend, was Sie mir da erzählen, obwohl ich Ihnen nicht viel versprechen kann und darf. Ich zeige Ihnen einmal einen Prospekt meiner Erziehungseinrichtung, so dass Sie sich mit den Verhältnissen besser vertraut machen können. Schauen Sie ihn sich in Ruhe an. Die Broschüre dürfen Sie behalten. Für Fragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung."

      Er legte den Eheleuten einen Hochglanzdruck vor die Nasen, auf dem eine Luftaufnahme des Geländes und in Nahaufnahme viele fröhlich lächelnde Kinder aller Altersgruppen abgebildet waren. Sogar einige dunkelhäutige Dötze waren dabei.

      Dr. Damel erläuterte die Gebäudeansammlung und die Arndt besonders interessierenden Sportanlagen. Dann schaute er kurz hoch, denn die nächsten Gesprächskandidaten, ein Ehepaar mit Kind, hatten die Kantine betreten.

      “Nun zu Ihnen, Frau Lütje-Kappenberg. Sind Sie berufstätig?”

      “Ich arbeite halbtags als Bibliothekarin.”

      “Und Sie können sich vorstellen, für einige Zeit einmal nicht berufstätig zu sein?”

      “Das dürfte kein Problem sein. Vielleicht genieße ich es sogar.”

      “Das ist schön zu hören. Ihre Familie wird es Ihnen danken, wenn Sie sich ganz um sie kümmern können. Tja, Herr Lütje-Kappenberg, wenn Sie keine weiteren Fragen mehr haben, werden Sie von mir zu gegebener Zeit telefonisch darüber informiert, wie sich der Vorstand entschieden hat.

      Ihnen und Ihrer Frau wünsche ich eine gute Heimfahrt.”

      Sehr geehrter Herr Lütje-Kappenberg,

      es ist mir eine Freude, Ihnen mitteilen zu können, dass Vorstand und Leitung Ihnen ein Vertragsangebot unterbreiten.

      Ich bitte Sie um schnelle Zu- oder Absage, damit die Planung weiterlaufen kann.

      Mit freundlichem Gruß

      Dr. Damel

      Sehr geehrter Herr Lütje-Kappenberg, lieber Kollege,

      ich möchte Sie und Ihre Familie auf diesem Wege überaus herzlich im Namen aller Mitarbeiter willkommen heißen und Sie zu Ihrer Wahl für unsere Bildungsanstalt beglückwünschen.

      Sie werden an eine umwerfend lebendige Institution kommen und in einem Land leben, das einen gewaltigen Wandel durchmacht. Dass diese Turbulenzen in der Gesellschaft nicht ohne Probleme ablaufen, dürfte Ihnen bekannt sein, auch dass es manchmal Schwierigkeiten macht, sich auf das Leben in weniger gesicherten und etwas raueren Verhältnissen einzustellen, sollte von Anfang an nicht verschwiegen werden. Es wird von unserer Seite aus alles unternommen, dies sei Ihnen zur Beruhigung bereits mitgeteilt, damit Sie sich konzentriert dem erzieherischen Geschäft widmen können.

      Ein hochmotiviertes Kollegium von ca. 60 lokalen und ca. 20 aus Deutschland angeworbenen Lehrkräften erwartet Sie sehnlichst, das mit enthusiastischem und professionellem Approach (wie man hier sagt) den hohen Anspruch eines überragenden internationalen Begegnungszentrums unter deutscher Flagge, man darf wohl sagen, mit außerordentlichem Erfolg, einlöst.

      Vor allem die vermittelten Lehrer gehen mit einem Beispiel voran, das den Begriff der Belastungsgrenze lächerlich erscheinen lässt. Reihen Sie sich würdig in das vielfältige, aber nicht repräsentative Spektrum der ADLK- Mitarbeiter ein.

      Im Augenblick freuen sich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen:

      Der große Klare von der Waterkant,

      der Klimaflüchtling von der Elb-Chaussee,

      der C-Dur-Akrobat aus Schleswig-Holstein (In Des-Dur würde er zu viele Schwarze unterdrücken),

      der Niedersachse mit dem neckischen EvA-Emsland-Blick,

      die Begegnungsenthusiastin aus dem Hannoverschen,

      der Kugelblitz aus dem Münsterland,

      der sportliche Dauerschulterklopfer aus Berlin,

      der gelehrige Schüler Porten Leves,

      die ästhetisch durchgeglühte Literatin vom Naturpark ‘Die Haard’,

      der Aktienspezi aus dem Wesertal,

      der Große Bruder aus dem Bergischen Land,

      der hessische Randbote,

      die württembergischen Safarilehrer (z. T. mit Jacht am Bodensee),

      die nörgelnden, aber fidelen Drillprofis aus Bayern.

      (Aber das wird sich bald ändern!)

      Sie können sich unschwer vorstellen, dass eine solche Phalanx erfahrener Pädagogen Ihnen bald ein Gefühl berstender Einsatzbereitschaft und Vertrautheit, ja Heimat, geben wird.

      Wir haben Ihnen einen Betreuungslehrer zugewiesen, an den sich Ihre Frau vertrauensvoll mit allen die Übersiedlung, aber auch den Alltag in Johannesburg betreffenden Fragen wenden kann.

      Für unser leutseliges und akribisch ediertes Jahrbuch möchte ich Sie um ein Foto nebst einem kurzen Artikel bitten, in dem Sie Ihren Werdegang darlegen und sich persönlich der durchaus neugierigen Lesegemeinschaft vorstellen.

      Mit freundlichem Gruß

      gez. F. Rust

      (Chefredakteur und Oberster-Ablauf-Koordinator)

      Mein Name ist Arndt Dirk Lütje-Kappenberg.

      Aufgewachsen und zur Schule gegangen bin ich in einer Kleinstadt in der Nähe Hamburgs. Nach dem Abitur schloss sich, in Norddeutschland nicht unüblich, eine erlebnisreiche Zeit bei der Marine an. Zwei Jahre bin ich zur See gefahren und habe dabei auch Küstenstädte Südafrikas kennen gelernt. In Kiel und Hamburg studierte ich die Fächer Sport und Geschichte für das Höhere Lehramt. Nach dem Referendariat trat ich meine erste Stelle an einem Gymnasium in Buxtehude an. Die Entscheidung, mich an eine möglichst weit im Süden gelegene deutsche Auslandsschule zu bewerben, fiel, nachdem es in Buxtehude zehn Wochen ununterbrochen geregnet hatte.

      Zusammen mit meiner Frau Irene und unseren Kindern Georg und Friederike freue ich mich auf eine neue schulische Herausforderung und besseres Wetter.

      Wir hoffen, dass wir uns in der großstädtischen Umgebung bald wohlfühlen werden.

       2. BONBON

      Freitag

      Seit zwei Wochen ‘arbeitete’ er an der Kreuzung St. Andrews - Jan Smuts.

      Ross Gallagher: Weiß-rötlicher Haut-, aber grauer Haarfarbe, fast fünfzig Jahre alt, von seiner Firma gekündigt, seitdem ohne Arbeit, alkoholanfällig, geschieden, zwei Kinder, die bei seiner Ex-Frau lebten.

      Vor, neben und hinter ihm:

      Autos, Autos, Autos.

      Ein endloser, selten abreißender Strom von Fahrzeugen, den er nur als anonyme, in der Sonne gleißende Blechkarawane wahrnahm.

      Zwischen den beiden Rechtsabbiegespuren hielt er allen Fahrern sein handgeschriebenes Pappplakat entgegen:

      

       DESTITUTE

       NO JOB

       NO FOOD

       PLEASE HELP

      Manchmal sah er, wie ein Fenster heruntergekurbelt wurde, zwei Finger erschienen und ihm eine Münze, etwas Obst oder ein Bonbon reichten. Dann bewegte er sich einige Meter vor, öffnete seine Hand, murmelte kopfnickend ein Dankeschön. Sonst blieb er wie eine Statue ungerührt und mit stoischem Blick stehen.

      Viel konnte er hier nicht verdienen. Es reichte, um den