Hans-Otto Kaufmann

Flug nach Johannesburg


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stritten.

      Eher schlechter. Die attraktiven Kreuzungen waren längst vergeben, in festen Händen.

      Auch als Parkplatzwächter hatte er sich beworben. Keine Chance. Alles ausgebucht.

      Länger als zwei Stunden hielt er es in der Nachmittagshitze nicht aus. Seine Beine wurden schwerer und schwerer, schienen in den Asphalt einzusinken.

      Während einer Rotphase schlich er zum Straßenrand in den Schatten der Bäume, holte einen Apfel aus der Tasche, legte sich hin, schaute in den Himmel, auf die elektronisch gesteuerte Werbewand an der gegenüberliegenden Straßenseite - Firestone For Life, NOT JUST TYRE LIFE BUT HUMAN LIFE, BY ANY TWO SELECTED TYRES AND GET A RADIO FREE - oder beobachtete den dicklichen Fahrer des AA-Wagens, der einige Meter entfernt von ihm auf den nächsten Einsatz wartete.

      ‘F.... South Africa.

      Firestone! Tyres! Human life!

      Nicht einmal ein Auto kann ich mir leisten.

      Seitdem die Schwarzen das Sagen haben, geht alles den Bach runter.

      “In olden times”, noch vor zehn Jahren, gab es wenigstens genügend Jobs für Weiße wie mich. Heute hat sich alles geändert.

      Black Empowerment. Wenn ich das schon höre! Bullshit! In die Betriebe werden erst einmal Schwarze gestopft, ob sie dafür geeignet sind oder nicht. Und wir Weißen, die den Laden mal geschmissen haben, und das gar nicht schlecht, werden gefeuert.

      Was soll man da machen?

      Auswandern? Kann ich mir nicht leisten.

      Wohin soll ich auch gehen? Ich kenne niemanden in den ANC-Ländern Australien, Neuseeland, Canada. Und in Europa und Amerika schon gar keinen.

      Ein paar Leute aus der Nachbarschaft haben es riskiert. Die kannte ich aber nur von Ferne, hatte keine engeren Kontakte zu ihnen. Einer wohnt jetzt in Sydney. Hab’ nie mehr was von ihm gehört.

      Nein. Ich muss hierbleiben. Mir bleibt keine andere Wahl, so bitter es ist.

      Was soll ich auch da? Ich bin zu alt, um noch mal ganz von vorne anzufangen.

      Ich bin soviel wert wie shit on a stick.

      Das bisschen, was ich als Unterstützung bekomme, geht an meine Ex und die Kinder. Das hat das Gericht so entschieden. Ich muss selber sehen, wie ich über die Runden komme, nehme jeden Job, der mir angeboten wird.

      Morgen werde ich noch einmal Wilbur fragen. Vielleicht gibt’s doch noch was für mich in seiner Kneipe zu tun. Schläfrige Leute nachts mit Alkohol abfüllen, das ist für mich kein Problem. Und sei es nur für ‘ne Nachtschicht oder am Wochenende.

      Ich will kein Millionär mehr werden.

      Lotto kommt für mich nicht in Frage.

      Den Jackpot knacke ich nie.

      Nichts mit “need for greed”.

      Ag kak.

      Bin froh, dass ich bei Wilbur im Hinterhof wohnen kann. Meine Wohnung ist mir gekündigt worden. Konnte die Miete nicht mehr ziehen.

      So Ross, altes Haus, an die Arbeit. Noch höchstens anderthalb Stunden, dann ist Feierabend.’

      Langsam bewegte er sich zurück zur Kreuzung, schob sich ein Bonbon in den trockenen Mund, nahm wieder seinen Platz in den Abgasen ein.

      Allmählich wurde es kühler und windiger.

      Er schätzte, dass er heute um die vierzig Rand erbettelt hatte.

      Zu wenig zum Leben, zuviel zum Sterben.

      Ein hoher, dunkelblauer Geländewagen bremste neben ihm.

      “Hello, Guy!”

      Ross fühlte sich nicht angesprochen, starrte unbeeindruckt geradeaus.

      “Hey, Guy!”

      Er blieb standfest wie das Voortrekkerdenkmal.

      “Heute Abend schon was vor?”

      Langsam drehte er den Kopf zum Wagenfenster, das knapp neben ihm halb offen stand.

      Ein Schwarzer mit Sonnenbrille und weißem Strohhut blickte ihn Kaugummi kauend an.

      “Na, was ist? Hast’e heute Abend was vor?”

      Die Sache stank.

      Im Hintergrund hörte er rockige Streichermusik. Nicht gerade sein Geschmack.

      ‘Jetzt muss man sich schon von Schwarzen anquatschen lassen.’

      “Hey, Guy, schwer von Kapee?”

      Er zuckte mit den Achseln.

      “Kannst’e Autofahren?”

      Ross zögerte.

      Sollte er reagieren?

      “Kann ich.”

      “Is’ nur ‘ne kleine Nummer.”

      “Wie viel?”

      “Wie viel? Hundert!”

      “Zweihundert”, konterte Ross.

      “Ey! Gar nicht schlecht. O.K. Kriegst zweihundert Bucks, wenn du’s machst.”

      Hinter den verdunkelten Scheiben vermutete Ross noch andere Insassen, da er dunkles Lachen hörte.

      “Überlegs dir. Wir kommen in ‘ner Stunde wieder vorbei.”

      “Wann krieg´ ich das Geld?”

      “Wenn du einsteigst. Also, überlegs dir.”

      Ross blieb skeptisch.

      ´Man weiß bei diesen Kerlen nie. `

      “Irgendwas mit Waffen?”

      “Brauchst keinen Schiss zu haben, Guy. Keine Ballernummer. Dauert zwanzig Minuten, dann hast du’s hinter dir, wenn du keinen Fehler machst.”

      Der Fahrer trat aufs Gaspedal und brauste vor.

      Einige Sekunden verfolgte Ross den Landrover, der scharf bremsen und den Gegenverkehr durchlassen musste. Er konnte kein Nummernschild erkennen. Dann schaute er wieder in die andere Richtung, sein Bonbon lutschend.

      Autos, Autos, Autos. Ein endloser, selten abreißender Strom von Fahrzeugen.

       3. LICHTKEGEL

      Er stand neben den beiden Stahlträgern, die die Hochspannungsleitung über den rückwärtigen Teil des Geländes führten, und genoss die letzten Züge seiner Zigarette. Als er nur noch den Filter in der Hand hielt, warf er den Stummel in den feuchten Rasen und trat ihn aus.

      Entspannt schaute er in die Runde. Der rötliche Halbkreis, den die kräftige Halogenlampe vom Block – D – Dach auf den Platz warf, endete genau vor seinen Füßen. Schon im Dunkeln lagen rechts von ihm die vom eisernen Drehtor zu den Klassentrakten verlaufende Baumreihe und links vor ihm die beiden Volleyballnetze.

      Die Hände in den Hosentaschen, schlenderte Günter Talheim gemächlich an den Kareebome entlang.

      An diesem lauschigen Sommerabend hatte er seit halb sieben an einem Holztisch im Foyer gesessen, um die Zuhörer, die zum Weihnachtskonzert strömten, charmant abzukassieren.

      Nun war Pause.

      Nachdem er sich eine Cooldrinkdose besorgt und die Kasse sicher verschlossen hatte, verspürte er das Bedürfnis, sich ein wenig die Beine zu vertreten. Dem Rummel auf den Fluren rund um die Aula wollte er ausweichen, so war er am Tuckshop vorbei die Anhöhe hinauf zu den Tennisplätzen gegangen.

      Von dort hatte man einen schönen Blick auf die Lichtersilhouette der umliegenden Hochhäuser und die Spitze des Glühbirnenweihnachtsbaums am SABC-Gebäude.