Hans-Otto Kaufmann

Flug nach Johannesburg


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lag, eingebettet in das Tal des seit langem kanalisierten Braamfonteinspruit und umzingelt von den Höhen und Tiefen Parktowns, Westcliffs, Parkviews, Melvilles und Richmonds.

      Auf den angrenzenden Straßen herrschte auch um diese Zeit noch lebhafter Verkehr.

      Das Dauerrauschen im Hintergrund ebbte immer nur für Sekunden ab.

      Er schritt wieder den Abhang hinunter, ließ die Dose in einem Plastikkübel verschwinden, passierte den Medienraum gegenüber der Sporthalle und wandte sich den Hockey- und Volleyballfeldern zu. Hier im gedämpften Rotlichtbezirk konnte er in Ruhe seinen Glimmstängel entfachen und sich seinen Gedanken hingeben.

      Das fünfte Jahr seines ADLK-Daseins neigte sich dem Ende zu.

      Er erinnerte sich mit Wehmut, mit welch großem Enthusiasmus er seinen Dienst hier angetreten, wie er dann Nackenschlag um Nackenschlag eingesteckt hatte und nun als ausgebrannter Dienst-nach-Vorschrift-Beamter enden würde.

      Beim Gedanken an die in der nächsten Woche beginnenden Sommerferien heiterte sich seine Stimmung zwar ein wenig auf. Dennoch befürchtete er, dass er wieder sehr lange brauchen würde, um den Kopf von seinen beruflichen Alltagserlebnissen freizubekommen.

      Nur ein müdes Lächeln umspielte seine Züge, als ihm auch einige trickreich eingefädelte Erfolgserlebnisse in den Sinn kamen. Als anfänglich engagierter Lehrer der Naturwissenschaften war es ihm nach zähen Verhandlungen und etlichen nachmittäglichen Überstunden endlich gelungen, die Physiksammlung wieder benutzbar zu machen. Außerdem hatte er es, wenn auch spät, vermocht, kein Klassenvater mehr zu sein, für die Organisation des Berufspraktikums, die Neufassung eines Mathebuches und die Weiterentwicklung der Anstalts-Website geeignetere Kollegen zu empfehlen, den Physik-HOD-Posten und den Job als Computernetzwerkverwalter in jüngere Hände abzugeben.

      Nur die leidige Medienbetreuung war an ihm hängen geblieben.

      Aber auch da würde ihm sicher noch etwas einfallen.

      Im Gegenzug und um nicht in den Ruf des Lay-Back-Kollegen zu kommen, zeigte er sich gelegentlich auf großzügige Weise erkenntlich, indem er zum Beispiel, wie heute Abend, als Kassenwart die Musen unterstützte und dabei von vielen Leuten anerkennend gesehen wurde.

      Gerade wollte er das Sportfeld Richtung Turnhalle überqueren, als er vor den Werk- und Kunsträumen ein Auto um die Ecke und den Weg hinunterfahren sah.

      Bevor es vor dem Chemieraum bremsen musste, hatte es bereits die Scheinwerfer ausgeschaltet.

      Er wunderte sich über den späten Besucher an diesem ungewöhnlichen Ort und machte einige Schritte zurück auf die Baumreihe zu.

      ‘Hatte man sich verfahren?’

      Doch das Fahrzeug machte keine Anstalten, sich zurückzubewegen.

      Gespannt stellte er seine Lauscher auf und vernahm, wie die Autotüren dezent geschlossen wurden.

      In der Dunkelheit konnte er nicht erkennen, wie viele Personen dem Fahrzeug entstiegen und in welche Richtung sie gegangen waren.

      Zu den Werkräumen? Den Klassentrakten?

      Nach einigen Sekunden sah er, wie hinter den unteren Toilettenfenstern am Treppenhaus eine Taschenlampe aufblitzte.

      ‘Musste da einer sein Bedürfnis verrichten? Aber die Toiletten für die Konzertbesucher lagen doch neben der Aula! Und warum fährt er mit dem Auto vor? Manchmal übertreiben es aber die Südafrikaner mit der Bequemlichkeit. Warum schaltet er nicht das Licht an? Kann er den Schalter nicht finden?

      An dieser Anstalt ist alles möglich’, dachte er.

      Auch in den Toiletten des 1. und des 2. Stockes flammte nacheinander die Taschenlampe auf. Er sah, wie der Lichtstrahl an der Eingangstür des Musikraumes im Obergeschoss vorbei auf die Fensterfront gerichtet wurde und sofort erlosch.

      Nun war ihm alles klar.

      Ein schmaler, kleiner Schatten balancierte auf dem Betonsturz vor den Fenstern, dann hörte er ein helles Klirren und ein quietschendes Geräusch.

      Er zwang sich zu Ruhe und Besonnenheit.

      ‘Erst einmal die Lage peilen und nicht unüberlegt handeln.’

      Im Schatten der Bäume schlich er näher auf das Auto zu und duckte sich hinter eine Minitribüne.

      Näher wagte er sich nicht heran. Er war sich nicht sicher, ob nicht doch einer Schmiere stand oder im Fahrzeug sitzen geblieben war.

      Sein Blick wanderte hoch zum Musikraum. Dort konnte er nur kurz die Spur eines Lichtkegels sehen.

      Dann war alles dunkel.

      Ihm blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten.

      Außer dem Verkehr auf der Barry Hertzog und dem Westcliff Drive drang kein Laut an seine Ohren.

      ‘Da müssen Profis am Werk sein, die sich genau auskennen.’

      Er schaute wieder hinauf zum zweiten Stock.

      Nach wenigen Sekunden blitzte es kurz am Fenster auf.

      Zwei finstere Gestalten erschienen auf dem Sturz.

      Dann leuchtete es im Treppenhaus.

      Schritt für Schritt bewegte er sich an den Tribünenbänken entlang wenige Meter vor, so dass er das Auto im Blick hatte.

      Es war ein Landrover.

      Eine Figur tauchte auf und sprang um das Fahrzeug herum.

      Erneut blitzte die Taschenlampe auf.

      Dann sah er, wie die Heckklappe geöffnet wurde und zwei Dunkelmänner Gegenstände im Kofferraum verschwinden ließen.

      Geräuschlos wurde die Klappe geschlossen.

      Vorsichtig beugte er sich vor, trat aus dem Schutz der Tribüne.

      Da erwischte ihn der Lichtstrahl, der einen überraschenden Schwenk über das Gelände gemacht hatte.

      Geblendet zuckte er zurück und warf sich neben die Bank.

      Flach atmend lag er am Boden, den Lichtkegel knapp neben sich.

      Hatten sie ihn bemerkt?

      Er spürte, wie sein Blut hinter den Schläfen pulsierte.

      Langsam wanderte der weiße Fleck die Bänke hoch.

      Ihm trat der Schweiß auf die Stirn.

      Regungslos blieb er liegen.

      ‘Jetzt nur nicht bewegen’, schoss es ihm durch den Kopf.

      Aus dem Augenwinkel verfolgte er den Schweinwerfer, der langsam die Bäume umkreiste.

      ‘Hoffentlich kommt er nicht zurück, sonst bin ich geliefert’.

      Der Lichtstrahl schwenkte kurz auf die andere Seite des Autos und erhellte dort die Szenerie.

      Dann lag alles wieder im Dunkeln.

      Erleichtert atmete er auf.

      Leise wurden die Fahrzeugtüren geschlossen, der Motor gestartet.

      Der Geländewagen setzte zurück, schlich langsam die Straße hoch und verschwand vom Gelände.

      Erst nach einigen Schrecksekunden erhob er sich hinter der Bank, klopfte sich den Dreck von den Kleidern und überlegte, was er tun sollte.

      Er entschloss sich, nach Hause zu fahren und alles in Ruhe zu ventilieren.

      Seine Pflicht als Kassierer hatte er erfüllt, den zweiten Teil des Weihnachtskonzertes konnte er sich somit sparen.

      Als er am Gate ankam, trat er in das Wärterhäuschen. Den Radio hörenden Securitymann kannte er nicht, denn das Personal für die Nachtschichten wechselte häufiger. Er fragte ihn nach dem Landrover, der vor wenigen Minuten das Gelände verlassen haben musste. Der Guard erinnerte sich an den Wagen, war aber nicht in der Lage, die Insassen zu beschreiben. Er konnte sich nur daran erinnern, dass