Hans-Otto Kaufmann

Flug nach Johannesburg


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du kannst beruhigt sein, im Gästezimmer ist alles vorbereitet, sogar die Betten sind gemacht.”

      “Gut, dass wir dich haben, den ruhenden Pol der Familie.”

      “Was heißt hier ‘ruhenden Pol’? Ich habe genug um die Ohren, Arndt.”

      Sie wollte gar nicht erst berichten, dass sie heute schon in mehreren Zimmer geputzt, gesaugt und die Waschmaschine zweimal angeworfen hatte.

      “Du kriegst davon auch nicht viel mit, denn bei dir dreht sich ja alles nur um die Schule.”

      “Ja, ja, ich weiß. Aber nächste Woche gibt es Ferien. Dann können wir an anderes denken.”

      “Da glaub’ ich noch nicht dran.”

      Die Tafel wurde aufgehoben.

      Nach dem Mittagessen entspannten sich die Eltern auf der Veranda, blätterten in Zeitschriften, dösten und lauschten dem Eiswagen, dessen einprägsame Melodie, glöckchenhaft klingend, weit zu hören war.

      Wenn man sie zehnmal gehört hatte, wirkte sie entnervend. ‘Wie konnten Fahrer und Verkäufer das tage- und wochenlang aushalten’, fragte sich Arndt.

      Die Türklingel riss ihn aus seinen Gedanken.

      Shaka reagierte prompt.

      “Kannst du mal gehen?”, bat er seine Frau.

      Die hievte sich aus der Hängematte und ging los.

      “Bye, bye, Papa”, hörte er kurz danach seine Tochter rufen.

      Nach einer Weile erschien Irene, griff zu ihrem südafrikanischen Kriminalroman “Hijack City” und ließ sich in der Hängematte nieder.

      “Es war Carmens Mutter. Sie hat Friederike abgeholt.”

      “Ach ja”, erinnerte sich Arndt, der die Lektüre der ‘YOU’ unterbrochen hatte.

      Nachdem die Tagestemperaturen ihren Höhepunkt überschritten und ein zwangloses Kaffeetrinken stattgefunden hatte, konnte an weitere körperliche Arbeit gedacht werden.

      Georg musste, ob er wollte oder nicht, den Rasenmäher anwerfen, Irene nahm eine Gartenschere zur Hand und fiel über Sträucher und Rasenkanten her.

      Arndt fiel ein, dass er noch einen Artikel für die Website der Anstalt schreiben musste. Schröder 3 hatte ihn gestern daran erinnert, dass er auf eine kurze Darstellung des Faches Geschichte warte.

      Ein günstiger Zeitpunkt für diese schriftstellerische Herausforderung schien ihm nach 17 Uhr gekommen zu sein, dann saß Georg vor der Glotze und guckte Wrestling.

      Bis dahin schwamm er zur Erfrischung und Ertüchtigung einige Bahnen im Pool. Während er sich abtrocknete, wanderte sein Blick sorgenvoll zum Himmel. Dunkle Wolken hatten sich über Greenside zusammengezogen. Ein typisches Sommergewitter braute sich zusammen, das manchmal out of the blue mit “Monkey`s Wedding” begann.

      Er beeilte sich mit dem Ankleiden, dann ging er in sein Arbeitszimmer, wo der Computer noch brummte.

      ‘Mal nachschauen, was die anderen Kollegen über ihre Fächer geschrieben haben.’

      Schnell hatte er die Internetverbindung hergestellt, seinen Browser geöffnet und den Namen der Website eingegeben. Er wartete einige Sekunden, dann rieb er sich erstaunt die Augen. Eine kleine Pacman-Figur fing an, die obere Zeile des bereits geladenen Textes aufzuessen. Gegen solch ein gefräßiges Verhalten war Arndt machtlos, denn er hatte keinen Zugriff mehr auf die Website. Er konnte nur zuschauen, wie alle Informationen im Magen des Pacmans verschwanden und ein neuer Hintergrund erschien, auf dem ein gigantisches HÄHÄ zu lesen war.

      Arndt war verwirrt.

      ‘Was war da passiert?’

      Er konnte es sich nur so erklären, dass irgendjemand an der Website herumgefummelt haben musste, der das Passwort kannte. Ihm erschien es sinnlos, die Website noch einmal neu zu laden, weil sich dieser Vorgang voraussichtlich immer wiederholen würde.

      Er nahm sich vor, am Montag Schröder 3 zu fragen, was das zu bedeuten habe.

      Trotzdem entwarf er einen Geschichtswerbetext, der auf die unabdingbare Notwendigkeit dieses Faches für jeden gebildeten Menschen hinwies, auch wenn es für das südafrikanische Matrik nicht unbedingt erforderlich war.

      Dann checkte er E-Mails. Erstes Donnergrollen drang von draußen an sein Ohr.

      Weder von seiner Verwandtschaft, noch von seinem zu betreuenden neuen Kollegen aus Deutschland war etwas gekommen.

      Schnell stellte er den Computer aus, zog den Stecker raus, ging ins Wohnzimmer und unterbrach auch dort die Stromversorgung von Hi-Fi-Anlage und Fernseher.

      Schluss mit Wrestling.

      Gelangweilt Biltong kauend, schob Georg ab.

      Blieb ihm noch der Gameboy.

       5. HIGHWAY

      SONNTAG (2. ADVENT)

      “Da ist er.”

      Knut Steele drehte sich zu seiner Frau um, die hinter ihm im großen Pulk der Reisenden in die Ankunftshalle gespült wurde.

      “Das ist er, der lange Kerl dahinten.”

      Er ließ den Griff des Trolleys los und zeigte auf einen hageren Mann in den Endvierzigern, der einen breitkrempigen Sonnenhut schwenkte.

      ‘Lange nicht gesehen, aber sofort wiedererkannt’, dachte Knut Steele und war richtig stolz auf sich.

      Dann löste er den Bremsgriff und manövrierte die Gepäckstücke an den Schranken vorbei auf die Menge der Wartenden und den Sonnenhut zu.

      “Mensch, Arndt, da sind...”

      Der Satz blieb unvollendet, denn sein Gegenüber nahm ihn sich mit sehnigen Armen zur Brust. Er kam sich vor wie eine Zitrone, die ausgepresst wurde.

      “Willkommen im sonnigen Südafrika.”

      Eine Mischung aus Achselschweiß und Deo umzingelte ihn. Knut Steele konnte sich mit Mühe aus der kraftvollen Umarmung befreien, einmal kurz durchatmen und seine Frau vorstellen.

      “Das ist Gertrud.”

      Sie wurde nicht ganz so heftig abgedrückt, bekam dafür aber einige Busserl rechts und links auf die geröteten Wangen.

      “Da seid ihr ja endlich”, brach es begeistert aus Arndt hervor, "toll, dass es so schnell geklappt hat.”

      “Tja, kurz entschlossen ergibt einen Urlaub in Südafrika,” entgegnete Knut Steele erschöpft.

      Er blickte sich verwirrt im Gewühl der Familienangehörigen, Empfangsdelegationen und Schilderträger um – The Grace/Rosebank -, stellte fest, dass er anderen im Wege stand und bugsierte den Gepäckkarren seitlich vor eine Art Reisebüro, wo er sich und seiner Frau eine Verschnaufpause gönnte.

      “Wie war euer Flug?”

      Gertrud Steeles Blutdruck hatte sich normalisiert, so dass sie sprechen konnte.

      “Anstrengend, sehr anstrengend.”

      “Kein Wunder, ihr seid Langstreckenflüge nicht gewohnt”, bemerkte Arndt, schob Knut Steele sanft beiseite und den Trolley in Richtung Ausgangstüren.

      “Lasst uns mal zum Parkhaus gehen, hier ist viel zu viel los. Um diese Zeit kommen alle Nachtflieger from overseas. Da sind die hier sehr busy.”

      Das Ehepaar folgte ihm willig durch die Glastüren nach draußen. Taxen und Kleinbusse standen an der Bordsteinkante und warteten auf Kundschaft. Von einem Schwall heißer Luft überrascht, wollte Gertrud die Jacke ausziehen, umklammerte aber hastig ihre Handtasche, denn sie wurde plötzlich von zwei Seiten angesprochen.