Emilia Meyer

Endlich sechzehn


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richtig unselbstbewusst. Das mit Vanja setzt mich unter Druck.“

      Mia ließ sich seufzend neben Julie auf die Couch fallen und vergrub ihr Gesicht theatralisch unter ihren Händen.

      „Lass dich da doch nicht so stressen. Was willst du denn jetzt überhaupt? Stehst du jetzt so richtig auf ihn?“

      „Ich glaub schon.“

      „Sicher, dass du dir das nicht nur einredest? Weil du dir schon so lange einen festen Freund wünschst. Und vielleicht, weil du viel zu viele Serien suchtest.“

      „Nein, ich glaub, ich mein das wirklich ernst. Ich konnte den ganzen Tag an nichts anderes denken.“

      „Hm. Okay.“

      „Du findest, wir passen nicht zusammen.“

      „Ja. Ach, keine Ahnung. Ich hab dich irgendwie immer mit jemand anderem gesehen. Mit jemandem, der dich wirklich in- und auswendig kennt und schätzt. Und der romantisch ist.“

      „Du glaubst, er steht nicht auf mich.“

      „Das hab ich überhaupt nicht gesagt, Mia! Hör auf, immer irgendwo so nen Bullshit rein zu interpretieren.“

      „Ich glaub, er steht nicht auf mich. Manchmal hab ich das Gefühl, er findet Valeska immer noch süß.“

      Julie fing an zu lachen.

      „Also, das glaub ich nun wirklich nicht. Als wir uns alle kennengelernt haben, ja, okay, als er sie das erste Mal gesehen hat. Da fand er sie vielleicht äußerlich ganz ansprechend. Aber jetzt kennt er sie und er kennt dich und es ist doch klar, wen er da vorzieht.“

      „Nein, das ist gar nicht so klar. Und sowieso. Dass er sie heiß findet…“

      „Fand.“

      „Das weißt du doch gar nicht. Dass sie voll sein Typ ist, find ich nicht so cool.“

      Julie schwieg für ein paar Sekunden. So lange, bis Mia ihre Hände einen Spalt öffnete und aus ihrem Versteck hervorlugte, um Julie einen überzogen verzweifelten Blick zuzuwerfen.

      „Na, das fängt ja schon super an“, spöttelte Julie mit einem sarkastischen Grinsen. Mia musste unwillkürlich zurückgrinsen. Sie wusste ja selber, dass sie ein Rad ab hatte.

      Eine Stunde später war die erste Etage von Mias Haus, oder besser gesagt von dem Haus ihrer Eltern, rappelvoll. Ein paar Grüppchen hatten sich schon auf die anderen Etagen verteilt. Die Älteren hatten hartes Zeug mitgebracht. Mia wusste nicht so recht. Aber sie blieb cool und bedankte sich höflich. Es waren sogar Leute gekommen, die Mia gar nicht eingeladen hatte. Sie hoffte, dass sich auch ein paar Pärchen auf die privaten Zimmer zurückziehen würden. Sie hatte eindeutig zu oft American Pie gesehen. Alle waren gekommen. Fast ihre ganze Stufe war da und auch viele aus Vanjas Stufe. Nur Vanja selbst war immer noch nicht aufgekreuzt. Mia merkte, wie sie von Minute zu Minute nervöser wurde. Sie hatte ihr iPhone möglichst unauffällig aus der Schublade des Fernsehschranks hervor geholt und sich in eine ruhigere Ecke verkrochen. „Wo bist du??“, tippte sie. Sie musste einfach wissen, ob er noch kommen würde. Sie wollte die What’s-App-Nachricht gerade abschicken, da schaltete sich Valeskas näselnde Stimme ein:

      „Mia, tu’s besser nicht. Sowas nervt Vanja total.“

      Valeska trug tiefroten Lippenstift, den sie mit einem bräunlichen Lipliner umrandet hatte. Ihre Augenbrauen hatte sie nach Mias Geschmack zu deutlich nachgezogen. Darüber hinaus trug sie ein hautenges, tief ausgeschnittenes Top im Leoparden-Muster. Valeskas E-Körbchen war nun mal ihr Markenzeichen. So, so, du musst es ja wissen, dachte sich Mia. Sie wollte gar nicht wissen, was Valeska noch zu sagen hatte. Am liebsten wäre sie einfach weggegangen und hätte sich ein V+ geholt. Jetzt war eindeutig der richtige Zeitpunkt für ihr erstes Mischbier. Doch anstatt ihr den Rücken zuzukehren, starrte Mia Valeska erwartungsvoll an. Valeska legte genüsslich eine lange Sprechpause ein.

      „Er hat mir grad noch geschrieben. Er ist gleich da, Mia. Bleib mal cool“, fügte Valeska schließlich hinzu.

      Mia wollte unwillkürlich in eine von Valeskas dicken Brüsten boxen. Die waren bestimmt unheimlich empfindlich, weil sie noch immer am Wachsen waren. Pah, dafür würde sie irgendwann vor lauter Rückenschmerzen nicht mehr schlafen können.

      Mia boxte Valeska nicht in ihre überdurchschnittlich große Titten – sie setzte ihr schlechtestes gekünsteltes Lächeln auf und entfernte sich von ihr. Das hätte sie eigentlich schon tun sollen, bevor Valeska überhaupt angefangen hatte zu sprechen. Er hat mir grad noch geschrieben. Valeska würde jetzt die ganze Nacht in Mias Kopf rumnäseln. Was, verdammte scheiße, hatte er ihr geschrieben? Und wieso hatte er ihr überhaupt geschrieben? Warum nicht ihr? Sie war doch diejenige, die die Party schmiss. Sie war doch diejenige, die er süß fand. Angeblich. So direkt gesagt hatte er das ja nie. Aber seine Andeutungen… Oder schrieb er genauso mit Valeska? Schickte er ihr auch immer zwei Kusssmileys vor dem Schlafengehen? Die ganzen Fragen machten Mia ganz bekloppt. Sie hatte das Gefühl, dass sie von einem eigenartigen Nebel umgeben war. Die Welt um sie herum verschwamm, als hätte sie bereits ein Mischbier geext. Die Ungewissheit verursachte ihr Bauchkribbeln. Aber unangenehmes. So ähnlich wie beim Free Fall. Kurz bevor es losgeht. Kurz bevor du mit tausend Sachen in die Tiefe, ins Nichts, fällst. Mia wankte in die Küche. Ein paar Leute grinsten oder sprachen sie an, aber Mia ignorierte jeden. Konnten die nicht sehen, dass sie mit ernsthaften Problemen zu kämpfen hatte? Sie brauchte ein Bier. Ihr erstes Bier. Sie hatte nie das Bedürfnis danach gehabt, sich zu betrinken. Doch in diesem Moment schien es ihr auf einmal einleuchtend. Mit einem Mal war sie anfällig für alle Gerüchte und Sagen, die sie je über Alkohol gehört hatte. Zum aller ersten Mal setzte Mia all ihre Hoffnungen in den Alkohol. Stellte ihn mit Medizin gleich, ja, sprach ihn fast schon heilig. Ohne noch irgendetwas um sie herum wahrzunehmen, öffnete sie ein V+ Curuba mit dem Holz-Flaschenöffner ihres Vaters und nahm zügig mehrere große Schlucke. Es schmeckte scheußlich. Am liebsten hätte sie alles wieder ausgespuckt. Sie hustete. Wie furchtbar peinlich. Hoffentlich war es niemandem aufgefallen. Mia spürte eine Hand auf ihrer Schulter. Ihr Herz rutschte aus ihrem Push-Up-BH, weil ihr sofort klar war, um wessen Hand es sich handelte. Es konnte ja auch gar nicht anders sein. Sie stellte die Flasche behutsam wieder auf dem Esstisch ab und drehte sich in Slow-Motion zu Vanja um. Sie hoffte, die Konfrontation so noch eine halbe Ewigkeit hinauszögern zu können. Doch da stand er nun. Auf gleicher Höhe. Vanja. Dunkel gefärbte Pony-Frisur, vereinzelte, aber markante Pickel auf der Stirn, schmale, undurchdringbare, graue Augen. Eine kleine Knollnase. Ein leichter Flaum auf der Oberlippe. Und die dicken Schmolllippen, sein Wiedererkennungszeichen, das rein gar nicht zu dem Rest seines Gesichtes passte. Jahre später würde sich Mia noch darüber den Kopf zerbrechen, warum sie sich in diesen Justin-Bieber-Abklatsch verguckt hatte. Aber in diesem Moment – sie meinte bereits eine positive Wirkung des Alkohols zu spüren – fand sie ihn einfach nur toll.

      „Hi.“

      Eigentlich hatte sie sich eben noch – bevor sie das Bier angeext und bevor er ihr in den Weg getreten war – vorgenommen, ihn den ganzen Abend nicht zu beachten. Sich stattdessen nach einer Alternative umzusehen. Eine Alternative, die 1. sie ablenken und 2. ihn eifersüchtig machen würde.

      „Heeey. Voll schön, dass du gekommen bist! Kannst dir alles nehmen, was du willst.“

      Aaach, du scheiße, dachte Mia. Ich habe ja gar keine Selbstachtung. Du kannst alles von mir haben. Für immer. Du brauchst gar nichts dafür tun.

      „Eh, danke. Ich wollt nur ‚Hi‘ sagen. Ich geh dann mal zu den anderen.“

      Ich geh dann mal zu den anderen??? Okay, er war eindeutig nicht ihretwegen hier. Sondern nur, weil sie eine coole Party schmiss, auf der alle eingeladen waren. Aber war ja klar. Warum war sie denn schon wieder so naiv gewesen? Aber er war ja doch nett gewesen. War extra zu ihr gekommen, um ihr ‚Hallo‘ zu sagen. Das war doch nett. Das machte er bestimmt nicht bei jedem. (Bei jedem Mädchen aber ganz sicher. Jedem gutaussehenden.) Mia fühlte sich elend. Sie wünschte, sie hätte das enge Pailletten-Kleid nicht angezogen. Es war der visuelle Beweis dafür, wie sehr sie sich für Vanja zum Affen machte. Mit ihren nackten Schimpansen-Beinen. Und überhaupt. Es