Emilia Meyer

Endlich sechzehn


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nicht rot an. Das wäre die Krönung. Was wollte Vanja von ihr? Und wieso redete er auf einmal mit so einem liebenswürdigen Unterton? Fast schon schüchtern. Seine Hände hatte er in der Tasche seines Hoodies versteckt. Er schaute sich um. Wurden sie beobachtet? War es ihm peinlich, mit ihr zu reden? Wollte er nicht mit ihr gesehen werden?

      „Du hast ja gleich Geburtstag…“

      „Ja, genau. Deswegen diese Party.“

      Ihre Stimme war ungewollt schnippisch. Plötzlich hatte sie Angst, sie könnte ihn verschrecken. Dabei wollte sie nichts mehr als dass er bei ihr blieb. Ganz nah.

      „Ja… Also. Würde es dir etwas ausmachen, um zwölf nicht bei den anderen zu sein? Also, wenn du das möchtest, ist das natürlich auch kein Problem… Aber ehrlich gesagt… Also, ich hatte gehofft… Dass wir vielleicht um zwölf kurz für uns sein könnten. Damit ich dir dein Geschenk geben kann. Aber wie du magst.“

      Mia war geschockt. Ernsthaft geschockt. Was war jetzt los? Vanja war ein Rätsel für sie. Sie versuchte, die Hoffnung, die in ihr aufstieg, zu unterdrücken. Sie wollte cool wirken. Sie wollte, dass er dachte, das mit ihnen wäre ihr gleichgültig.

      „Ja. Bitte. Lass uns weg von hier“, krächzte Mia.

      Bitte? Hatte sie ihn gerade tatsächlich angefleht? Jetzt würde er es sich anders überlegen, dachte Mia. Fliehen, bevor es zu spät war. Fliehen wie Katerina Petrova vor Klaus. Aber sein schüchternes Grinsen wurde breiter. Selbstsicherer. Er nahm ihre Hand und zog sie durch die Menge und die Treppe hinauf. Als würde er hier wohnen und nicht sie. Als sie in der zweiten Etage angekommen waren, drehte er sich zu ihr um und fragte:

      „In welches Zimmer?“

      Schlafzimmer, schoss es Mia durch den Kopf.

      „In das Zimmer da drüben. Das rechte.“

      Sie betraten das Arbeitszimmer ihres Vaters. Mia dachte über ihre Hände nach. Wie verschwitzt sie waren. Und ob er sich wohl ekelte. Vanja ließ ihre Hand los und setzte sich auf den Schreibtisch. Sie setzte sich gegenüber von ihm. Auf den Bürostuhl. Man hörte die Musik von unten. Und dennoch war es schrecklich still. Unangenehm. Mia räusperte sich. Das zerfetzende Gefühl in ihrem Unterbauch. Die verschwitzten Hände. Sie traute sich nicht, Vanja in die Augen zu schauen. Sie starrte auf den Justin-Bieber-Pony. Hoffentlich zuckte nicht irgendeiner ihrer Gesichtsmuskel.

      „Hier, das ist für dich.“

      Vanja holte ein schlecht verpacktes Geschenk aus seinem viel zu großen Kapuzenpulli hervor. Bei der Übergabe berührten sich ihre Finger flüchtig. Ihr Herz pochte. Sie hatte Angst, er könnte es hören. Mit zitternden Händen packte sie das Geschenk aus. Es war ein Hörbuch. P.S. Ich liebe dich. Hinten war noch der Preis dran. Superangebot. Vier Euro und neunundneunzig Cent. Mia musste schlucken. P.S. Ich liebe dich? Was sollte das heißen? War das ernst gemeint? Das wäre doch viel zu früh. Völlig unpassend. Aber sie war auch gerührt. Irgendwie angetan. Verwirrt. Wieso musste Vanja sie so verwirren? Unten begannen die Leute mit dem Countdown. Zehn. Julie und Valeska suchten bestimmt gerade nach ihr. Oder suchte Valeska Vanja? Aber Vanja war mit ihr hier. Um Mitternacht. Neun.

      „Das richtige Geschenk kommt eigentlich jetzt erst“, flüsterte Vanja mit brechender Stimme. Er war nervös. Ganz offensichtlich war er schrecklich nervös. Er zögerte. Acht. Sieben. Sechs. Er sprang vom Schreibtisch und beugte sich zu ihr. Er kam immer näher. Fünf. Vier. Drei.

      „Alles Liebe zum Geburtstag, Mia.“

      Noch näher. Zwei. Eins. Vanja drückte seine dicken Lippen auf ihre. Es war nur ein ganz kurzer Moment. Eigentlich ein Kindergartenkuss. Aber Mia war überwältigt. Das war das beste Geschenk aller Zeiten. Der beste Geburtstag aller Zeiten. So fühlt es sich also an, sechzehn zu werden. Wenige Sekunden später hatte Vanja ohne ein Wort den Raum verlassen. Dieser Kerl würde sie noch in den Wahnsinn treiben.

      Das Nachspiel

      schneckenhaus

      zuhause ist für mich

      der ruf meines namens

      er hallt durchs ganze haus

      denk an deinen schlüssel

      denk an deinen pass

      denk an deine jacke

      es ist kalt draußen

      zieh dir was wärmeres an

      hast du geld

      denk an geld

      denk an

      zuhause ist für mich

      das summen des fernsehers

      es vibriert durchs ganze haus

      guck mal wie die aussieht

      guck mal

      guck mal schnell

      jetzt guck doch mal

      guck mal schnell

      das ist interessant

      es geht um

      M.S.

      „MIA! Steh sofort auf! Das ist jawohl nicht dein Ernst! Was war hier los?! Wieso sieht es hier aus wie im Schweinestall?! Wir hatten dir doch verboten eine Party zu schmeißen! MIA! Beweg deinen Arsch aus deinem Bett! Oder muss ich dich da rausholen? Die Tür eintreten? Was glaubst du eigentlich… Du machst das jetzt sofort alles sauber! Bis es hier blitzblank ist… Wer glaubst du eigentlich bin ich? Papa hier, Papa da… Eine Unverschämtheit! Sauerei! MIIIIIIIIIIIIAAAAAAAAAA! Jetzt steh auf oder ich RASTE aus!“

      Mias Vater trommelte gegen die Kellertür. Wie ein Strauß vergrub Mia ihren Kopf unter dem Kissen. Fuck. Sie war einfach eingeschlafen. Sie wollte, dass es aufhörte. Dieses Brüllen. Diese Kopfschmerzen. Sie wollte wieder schlafen, in ihre Träume flüchten, zurück auf die Bühne ihres Unterbewusstseins. Wie hatte sie einfach einschlafen können? Wenn sie gestern wirklich nicht mehr aufgeräumt hatte, dann… Fuck. Es musste katastrophal aussehen. Sie wollte, sollte, musste in ihrem Zimmer bleiben. Ihr Vater machte ihr manchmal richtig Angst. Aber sie verdiente seine Wut ja, denn sie hatte das Vertrauen ihrer Eltern rücksichtlos ausgenutzt. Zu einem guten Zweck. Die Erinnerung an Vanjas Kuss verdrängte für einen vorübergehenden Moment ihr schlechtes Gewissen. Egal, was sie oben erwarten würde – abgesehen davon, dass sie nicht aufgeräumt hatte, bereute sie nichts.

      Mia kroch auf allen Vieren aus dem Bett. Als sie sich aufrichtete, dröhnte ihr Kopf, als wäre ein Sandsack auf ihren Hinterkopf geknallt. Ein Kater nach zwei Mischbier? Das konnte eigentlich nicht sein. Andererseits war ihr Körper den Alkohol auch nicht gewöhnt. Wahrscheinlicher war allerdings, dass sie einen ‚Kater‘ vom Spät-ins-Bett-gehen hatte. Das war sie nämlich auch nicht gewöhnt. Sie musste kichern. Pussy. Augenblicklich verstummte sie wieder, denn ihr Vater durfte sie auf keinen Fall lachen hören. Mia stellte sich vor den großen Wandspiegel und versuchte eine möglichst authentische Unschuldsmiene aufzusetzen. Sie trug noch immer das Paillettenkleid vom gestrigen Abend – deswegen hatte sie wahrscheinlich so schlecht geschlafen. Ihr Make-Up war verschmiert. Ihre Haare waren zerzaust. Ihre Augen rot. Wahrscheinlich würden ihre Eltern ihr unterstellen, dass sie harte Drogen genommen hätte. Ihre Eltern waren immer so schrecklich melodramatisch. Sie fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und strich mit der Spitze ihres Zeigefingers über ihre Augenringe, sodass sich das Schwarze gleichmäßig verteilte. Viel brachte die Aktion natürlich nicht. Resigniert schleppte sich Mia aus dem Zimmer.

      Ihr Vater stand vor dem Kühlschrank, an dem er sich mit beiden Händen festhielt. Ein winziger, schmaler Strich hatte seine Lippen ersetzt. Seine Augenbrauen waren auf eine groteske Weise verzogen. Mia traute sich nicht, ihm direkt in die Augen zu schauen, doch sie war sich sicher, dass sie glühten. Er konnte sich kaum noch beherrschen. Mias Mutter, die ihr Gesicht hinter ihren Händen versteckt hatte, saß am Küchentisch. Sie schluchzte. Mia erschrak. Sie wusste, dass sie gerade