Kalhana und sein Leben ist wenig Konkretes bekannt, und das Wenige, das uns zugänglich ist, beruht zu einem großen Teil auf späteren Interpretationen und wissenschaftlichen Schlussfolgerungen. Aus dem Rajatarangini selbst erfahren wir, dass Pandit Kalhana der Sohn des „hohen kaschmiri Ministers, des berühmten Herrn Canpaka“ war, der als Kommandant König Harsha ( 1089 bis 1101) diente.Er gehörte der Kaste der Brahmanen an, was auch durch den Stil seiner Chronik belegt wird. Jedes der einzelnen Bücher des Rajatarangini ist mit einer Einführung versehen, in der die Hindugottheit Shiva in ihrer Form des Ardhanarishwar gepriesen wird (Mohamed / Madhavi 1996, S. 78).
Pandit Kalhana zeigt in seiner Chronik eine differenzierte Darstellung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, die wohl nicht zuletzt auf seiner Bildung und Nähe zu den Mächtigen seiner Zeit basiert. Seine eigenen politischen Ambitionen scheinen jedoch unter den wechselhaften Machtverhältnissen gelitten zu haben, weswegen er sich letztlich für den Weg des „Dichters“ und Chronisten entschieden haben könnte (Mohamed / Madhavi (1996, S. 79). Fakt ist, dass er nach der Thronbesteigung Jayasimhas im Jahre 1127 n. Chr. dessen Hofpoet wurde (Wakhlu 2005). Daneben scheint Kalhana auch bis zu einem gewissen Maße am Leben der einfachen Bevölkerung Anteil genommen zu haben. Er lässt uns wissen, dass die Menschen Kaschmirs im 12. Jahrhundert, ermüdet durch ständige Herrscherwechsel und Fehden, „abgestumpft und nur allzu bereit waren, jeden politischen Wechsel Willkommen zu heißen“ (Mohamed / Madhavi 1996, S. 79). Er war also ein höchst gelehrter Mann, der wohl die maßgeblichen literarischen Werke der damaligen Zeit - z.B. das Mahabharata - studiert haben dürfte, aber kein weltfremder „Bücherwurm“. Kalhana widmete sich dem Studium zahlreicher alter Originalquellen, vergaß jedoch dabei nicht die aktuellen Geschehnisse in Kaschmir. Er scheint ein Patriot gewesen zu sein, der voller Stolz auf die vermeintlich ruhmreiche Vergangenheit Kaschmirs zurückblickte. Dazu gehörte für ihn auch, dass Kaschmir zeitweilig ein maßgebliches Zentrum buddhistischer Gelehrsamkeit gewesen war. Immerhin hatte im ersten Jahrhundert v. Chr. ein buddhistisches Konzil nahe der Stadt Srinagar getagt. Sein Bildungsstand sowie sein gesellschafts- und machtpolitisches Interesse in Verbindung mit seinen poetischen Fähigkeiten und seinem kritischen Charakter sorgten für die Entstehung des Meisterwerkes Rajatarangini, das nicht nur die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Kaschmir poetisch widerspiegelt, sondern außerdem noch als chronologischer Beleg für politische Vorgänge im Nordindien der beschriebenen Zeit dient.
Rajatarangini
Das Gesamtwerk Kalhanas besteht aus insgesamt acht Büchern, die grob in drei Kategorien unterteilt werden können (Mohamed / Madhavi 1996, S. 81): Die Bücher eins bis drei beruhen auf oraler und schriftlicher Überlieferung durch Originalquellen. Die Bücher vier bis sechs greifen auf frühere Chroniken zurück, deren Verfasser mutmaßlich Zeitgenossen der beschriebenen Geschehnisse gewesen sein könnten. Die Bücher sieben und acht hingegen beruhen vermutlich auf eigenen Beobachtungen und Erkenntnissen oder Augenzeugenberichten, die er niederschrieb. Pandit Kalhanas Chronik beginnt in etwa zur Zeit der Kuru-Kriege. Diese Kriege werden von verschiedenen Wissenschaftlern auf die Zeit zwischen dem 14. und dem 12. Jahrhundert v. Chr. Datiert. Akribisch listet Kalhana Herrscher, Kriege, politische Ereignisse und gesellschaftliche Verhältnisse auf; zunächst streng chronologisch, später etwas freizügiger und mit stärkerem persönlichem Hintergrundwissen versehen. Als Hofchronist und -poet hatte er wohl Zugang zu den wichtigsten Machtträgern und auch Staatsdokumenten seiner Zeit, was die teils detaillierten Beschreibungen nahe legen (Wakhlu 2005). Der lebendige und anschauliche Stil, in dem das Rajatarangini verfasst ist, lässt den Leser am Alltag der Mächtigen aus über zweieinhalb Jahrtausenden der Geschichte Kaschmirs teilhaben.
Während die meisten der porträtierten Könige und Potentaten schon bald nach ihrer Regentschaft wieder vergessen waren, finden sich in der Chronik jedoch auch Namen, die für die Geschichte Kaschmirs und Nordindiens von maßgeblicher Bedeutung waren und nach wie vor sind. Hierzu gehören unter anderem Gonanda I., der ein Zeitgenosse der Kuru-Krieger’ war, aber auch Kaiser Ashoka, der im dritten Jahrhundert vor Christus den Buddhismus in Kaschmir verbreitete. Parvasena II. lebte um das Jahr 600 n. Chr. und gilt als Gründer der heutigen Stadt Srinagar. Lalitaditya herrschte im achten Jahrhundert n. Chr., und unter seiner Herrschaft wurde Kaschmir zu einem der mächtigsten Königtümer Nordindiens. Der Sonnentempel in Martand erinnert noch heute an diesen Förderer der Kunst. In seiner Zeit wurde dem Ansturm arabischer Eroberer im Punjab Einhalt geboten. Die ehemalige Hauptstadt seines Reiches befindet sich nahe der heutigen Stadt Baramulla im Kaschmir-Tal (vgl. Rogers 2003). König Avantivarman regierte im neunten Jahrhundert n. Chr. Unter seiner Herrschaft entstand der Surya-Tempel in der Stadt Avantipura, die einige Kilometer entfernt von der Hauptstadt Srinagar liegt. Daneben sorgte Avantivarman für eine Bereinigung des Flusses Jhelum, der bis zu jenem Zeitpunkt voller Schlamm und Unrat dahin floss (Wakhlu 2005). Schließlich gelang es dem Herrscher Jayasimha (1127 bis 1155 n. Chr.), eine kurze Zeit des Friedens in Kaschmir zu etablieren, was durch den verstärkten Einsatz diplomatischer Bemühungen möglich wurde. Rajatarangini ist ein Werk voller lebendiger Beschreibungen aus dem Alltag der Könige und Herrscher. Romantische Anekdoten und Schilderungen heimtückischer Intrigen lassen Kalhanas moralische Vorstellungen deutlich werden, die zusammengefasst in seinem legendären Sprichwort gipfeln:
„Kaschmir, gewonnen durch die Kraft der Worte, nicht durch das Schwert.“
1.3. My home is my castle
Die Hausboote in Kaschmir - ein Erbe der Briten
Wenn Abdul Salama Dunoo sich an die gute alte Zeit erinnert, tut er dies mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Heute Besitzer einer stattlichen Hausboot-Gruppe am malerischen Nagin-See, verbrachte er den Großteil seiner Kindheit als „Boy“ auf den Booten seines Vaters. Das war in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, und „echte“ Hausboote existierten in Kaschmir zu jenem Zeitpunkt erst seit wenigen Jahren. Entnervt von der unbarmherzigen Sommerhitze des indischen Subkontinents suchten britische Offiziere und ihre Familien Zuflucht im gemäßigten Klima des Himalajas. Viele von ihnen hatten den Wunsch, Grund und Boden in Kaschmir zu erwerben, aber ein Gesetz verbot den Ausländern genau dies. Hotels gab es zu jener Zeit noch nicht in der Region. Erfindungsreich machten sich daher die ersten „Touristen“ den Umstand zunutze, dass es in Kaschmir eine alte Tradition des Lebens auf Booten gab. Die Nachfrage der Reisenden nach entsprechenden Unterkünften sorgte bald für entsprechende Angebote seitens der Bootsleute. Die Stunde der Hausboote war geboren, und mit ihnen der Beginn einer arbeitsreichen Kindheit für die Sprösslinge mancher Bootseigner wie Abdul Salama. Die Hausboote der ersten Generation besaßen nicht die Geräumigkeit heutiger „Superdeluxe“-Boote. Es waren im Wesentlichen bauliche Weiterentwicklungen der bereits seit Jahrhunderten auf den Flüssen und Kanälen Kaschmirs umherschippernden Frachtkähne. Davon existierten verschiedene Formen und Größen; gemeinsam war und ist ihnen jedoch das Fehlen eines Kiels. so dass diese Boote auch in seichtem Wasser fortbewegt werden können. Bereits in der unter Akbar dem Großen (1542 bis 1605) verfassten Chronik Ain-i-Akbari erfahren wir, dass „die Boote das Zentrum allen Handels“ im Kaschmir-Tal bildeten und dass „in Kaschmir eine Art Schiff konstruiert wurde, über die jedermann staunte, der sie zu Gesicht bekam“ (Lawrence 1998, S. 381). Mit ihnen wurden Getreide, Holz und andere Wirtschaftsgüter, aber auch Passagiere befördert. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts beschreibt der britische Kolonialbeamte Walter Lawrence die verschiedenen damals gebräuchlichen Bootstypen im Kaschmir-Tal.
Da gab es zunächst den vielleicht ursprünglichsten Typus eines Lastenkahns. Dieser verfügte für seine Besatzung lediglich über eine kleine Kabine am Heck des Bootes, in deren zwei Räumen die Bootsleute lebten. Während die größere Variante dieses Bootstyps bahat genannt wurde