Oliver Uhrig

Mythos Kaschmir


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deutlich auf eine hohe Anzahl entsprechender Gärten, die tatsächlich existiert haben müssen und deren Vorhandensein sich auch durch noch bestehende Ortsnamenspartikel (z.B. Bagh, für persisch Garten) zurückverfolgen lässt.

      shalimar_02a Foto: Verzierungen in der Audienzhalle des Gartens Shalimar Bagh.

      paisley_a Foto: Deckenverzierung in der Audienzhalle des Gartens Shalimar Bagh.

      Etwa 15 Kilometer außerhalb Srinagars liegt der Garten Shalimar Bagh, der auf einer damals bereits vorhandenen älteren Gartenanlage basiert. Errichtet wurde er von Jehangir (Regierungszeit 1605 bis 1627) im Jahr 1619 für dessen Ehefrau Nur Jahan. Einige Jahre später wurde er vom Gouverneur Kaschmirs, Zaffer Khan, erweitert. Das bestimmende Element dieses Gartens besteht in einer zentralen Wasserachse (Shah Nahar), die die Anlage fast in ihrer Gesamtlänge durchschneidet. Die Achse durchläuft dabei drei Ebenen, die durch Pavillons, Audienzhallen, Wasserbassins und -kaskaden markiert und durch Blumenrabatten flankiert werden, die nach hinten ansteigen. Der erste Chaharbagh (einer der grundlegenden Typen des persischen Gartens, der sich durch seine verschachtelte Struktur auszeichnet) liegt auf der untersten Ebene und war für die Allgemeinheit zugänglich. Zentraler Bezugspunkt dieser Ebene war die öffentliche Audienzhalle des Herrschers (Diwan-i-Am), in der er täglich Besucher und Bittsteller empfing. Der nächste Chaharbagh war dem Herrscher sowie wichtigen Beamten und persönlichen Gästen vorbehalten. Auch hier bildete die Audienzhalle (für Privataudienzen) in Verbindung mit Wasserkaskaden den Fokus der Aufmerksamkeit. Die dritte Ebene (zenana) wurde links und rechts der zentralen Wasserachse von jeweils einem kleinen Pavillon flankiert, der zugleich als Abschlusstor zum Privatbereich des Herrschers und seiner Frauen diente. Für Normalsterbliche war diese Ebene absolut tabu. chaharbagh Grafik: Grundriss eines Chaharbagh

      Folgt man der Straße (die zur Mogulzeit noch nicht bestand) weitere vier Kilometer am See entlang, so gelangt man zum Garten Nishat Bagh, der 1633/ 34 von Asaf Khan, dem Bruder von Nur Jahan, errichtet wurde. Heute trennt eine hohe Mauer die Gartenanlage von der Hauptstraße um den See. Im 17. Jahrhundert jedoch reichte der terrassenartig angelegte Park unmittelbar bis an das Seeufer. Ursprünglich verfügte Nishat Bagh über zwölf Terrassen, die vom Ufer des Dal-Sees bis zum nördlichen Ende des Gartens hin anstiegen. Davon sind noch neun zu besichtigen, die durch Treppen miteinander verbunden sind. In der Mitte des Gartens verläuft, ähnlich dem Garten Shalimar Bagh, nur mit sehr viel mehr Gefälle, ein zentraler Wasserkanal, der auf mehreren Ebenen durch Teiche und Wasserspiele unterbrochen ist. Von einer Ebene zur nächsten wird das Wasser über Kaskaden geleitet, die sich in Becken ergießen und die Illusion eines natürlich fließenden Gewässers erzeugen. Das obere und untere Ende des Gartens wird durch jeweils zwei Pavillons markiert, wobei die oberste Terrasse als zenana fungierte und damit dem Herrscher und seinem Harem vorbehalten war. Diese Terrasse ist zusätzlich zu ihrer topologischen Abgrenzung durch eine sechs Meter hohe Mauer vom Rest des Gartens getrennt. Lediglich eine kleine Treppe führt durch die Mauer hindurch und endet auf der obersten Ebene. Wie auch im Shalimar Bagh erzeugen große Platanen, die hauptsächlich beidseitig einer zentralen Achse entlang des Wasserkanals gepflanzt sind, eine monumentale Atmosphäre, die durch zahllose Blumenbeet Pflanzungen unterstrichen wird.

      nishat_001a Foto: Nishat Bagh

      Schließlich gelangt man nach wenigen Kilometern zum Garten Chashma Shahi, der im Jahr 1632 unter Shahjahan errichtet, aber in jüngster Zeit restrukturiert wurde. Unweit des ehemaligen Gartenpalastes Pari Mahal sowie des Maharaja-Palastes, fünf Kilometer außerhalb von Srinagars Dal Gate gelegen, ist Chashma Shahi eine vergleichsweise kleinflächige Gartenanlage, die von einem Berghang aus den Blick auf den Dal-See erlaubt. Der Garten besteht aus drei Terrassen, die einen Höhenunterschied von jeweils gut fünf Metern zueinander aufweisen. Dem Muster persischer Gartenarchitektur folgend, verläuft auch hier eine zentrale Wasserachse von oben nach unten, wobei der Kanal aus einer Quelle am obersten Punkt des Gartens gespeist wird, die „für ihr sauberes, bekömmliches und kaltes Wasser“ (Wakhlu 2005) bekannt ist. Auf jeder der drei Ebenen befindet sich in zentraler Position ein Wasserbassin, durch das der Kanal hindurchführt, bevor er auf die nächsttiefer gelegene Etage hinunter geleitet wird. Keine riesigen Platanen bestimmen das Erscheinungsbild dieses Gartens, vielmehr ist es die schiere Lage hoch über dem See und in gewisser Weise in den Berg integriert, die für eine spektakuläre Szenerie sorgt.

      nishat_002a Foto: Blick von der obersten Terrasse des Nishat Bagh.

      Es existierten zweifelsohne noch eine ganze Reihe so genannter „Mogulgärten“, die im Verlauf dieser Dynastie errichtet wurden; manche von ihnen waren öffentlich zugänglich, andere dem jeweiligen Herrscher oder seinen Ministern vorbehalten. Sie alle dienten mehreren Zwecken, bezeugten jedoch in erster Linie Präsenz und Machtanspruch der Herrscher. Es waren jedoch die oben beschriebenen Gärten, die sich durch ihre aufwendigen Anlagen und teils spektakulären Panorama-Aussichten vom Gros der Gartenanlagen abhoben. So hielten die Herrscher in den Gärten Nishat und Shalimar während ihrer Anwesenheit in Kaschmir regelmäßig Hof, empfingen Untertanen, Abgesandte und Beamte - führten ihre Regierungsgeschäfte. Sie schufen für sich, ihr politisches Amt und in Teilen auch für die Menschen Kaschmirs kleine Paradiese, die von der Perfektion göttlicher Schöpfung und herrschaftlicher Allmacht kündeten.

       Kapitelüberschrift

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       Foto: Gebet auf dem Wasser

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       Foto: Gebet auf dem Idgah

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       Foto: Männer beten auf dem Idgah in Srinagar

      2.1. Sufistische Praxis in Kaschmir

      Gelebte Überzeugung von Nächstenliebe und Gastfreundschaft

      Volksreligiöse Werte und moralische Handlungsnormen im Kaschmir-Tal „Wer einen Menschen tötet, der tötet Gott“, klärt mich Mohammed Sultan Baba kurz und bündig auf, während wir miteinander Tee trinken. Hinter dieser vergleichsweise nüchternen Erkenntnis steht die Überzeugung, dass Gott jetzt und hier in allen Dingen und Lebewesen präsent ist. Mystiker aller Religionen haben diese Überzeugung zur Grundlage ihrer Suche nach dem Sinn des Lebens gemacht, aber in Kaschmir entwickelte sich während des Mittelalters eine religionsübergreifende Form des Mystizismus, bestehend aus islamischen, hinduistischen und buddhistischen Elementen. Deren Hauptprotagonisten - Lal Ded und Skeikh Nooruddin Noorani (ca. 1378 bis 1438) – führen die schier endlose Reihe an Rishis, Babas (heiligen Männern) und Pirs (individuellen geistigen Mentoren) verschiedener Sufi-Tarekhas (Bruderschaften) an, und sie sind auch heute noch maßgebliche Vorbilder einer volksreligiös höchst aktiven Bevölkerung. Ihre grundsätzliche Einstellung besagt: Liebe Gott, respektiere jeden Menschen, begehe keine Gewalt- allen aktuellen Ereignissen in Kaschmir zum Trotz.

      bildchena Foto: Ein Mann verkauft Fotos bekannter Sufi-Heiliger.

      Dabei war es vielleicht kein Zufall, dass sich ausgerechnet im vergleichsweise kleinen Kaschmir der Sufismus zu einer der tragenden Säulen kultureller Identität entwickeln konnte. Schließlich konnte die Region bereits zu Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts auf eine Jahrtausende alte Tradition religiöser Gelehrsamkeit, aber auch der Kämpfe und