erfreuen.
Mittlerweile verlassen an den Schreinen die Menschen friedlich die Orte des Gebets, und auch der Mirwaiz macht sich mit seinen Leibwächtern fertig, um durch den Hinterausgang der Freitagsmoschee zu seinem Auto zu gelangen. Zahlreiche Jugendliche begleiten das religiöse Oberhaupt noch ein paar Meter auf seiner Runde um die Moschee, bevor sich ein Zug formiert, der beginnt, anti-indische und radikal-religiöse Parolen zu skandieren. Während der Mirwaiz abfährt, beginnen weitere Gruppen von Jugendlichen, sich mit Steinen zu bewaffnen. Dies alles geschieht auf der den Sicherheitskräften abgewandten Seite der großen Moschee, und Armee und Polizeikräfte müssen aufmerksam sein, um nicht von den gegnerischen Akteuren ausmanövriert zu werden. Unglücklicherweise sind sie es heute nicht, was sich später dramatisch auswirken wird. Während sie nämlich auf einer Seite der Hauptstraße, die an der Freitagsmoschee vorbeiführt, versammelt sind, betritt eine Gruppe von etwa 100 Demonstranten in ungefähr 200 Metern Entfernung die gleiche Straße und formiert sich auf breiter Front. Zur gleichen Zeit umgehen weitere Grüppchen von jeweils zehn bis fünfzehn Leuten den Ort des Geschehens und verschwinden in den Gassen der umliegenden Altstadt.
Es kommt zum Showdown. Die Hauptgruppe der Demonstranten beginnt, die Sicherheitskräfte mit einem Hagel von Steinen einzudecken, der nur mühsam mit Hilfe von Schutzschilden oder dem Aufsuchen einer sicheren Deckung abgewehrt werden kann. Abwechselnd werfen jeweils fünf bis sechs Jugendliche eine Salve Steine, während sich die Übrigen nach weiterem verfügbarem Material umsehen. Man steht sich in einer offenen Schlacht gegenüber, und erst nach geraumer Zeit gelingt es den Sicherheitskräften, einen Gegenangriff zu starten. Während drei Schützen mit Granatwerfern ihre Tränengas- und Gummigeschosse in die Reihen der sich nähernden Angreifer feuern, stürmen die übrigen mit Hurrageschrei auf die Jugendlichen zu. Diese weichen geschickt einige Meter zurück und lassen den Gegenangriff ins Leere laufen, um sofort wieder selbst die Initiative zu ergreifen. Vor dem Haupteingang der Moschee stehen derweil zahlreiche Männer und betrachten das Spektakel ihrer Söhne, Enkel und Neffen.
Nach ungefähr vier Stunden wechselseitigen Angreifens und Zurückweichens machen sich Taktik und Ortskenntnis der Demonstranten bezahlt. Wieder einmal sind die Soldaten vorgeprescht, als sie plötzlich von zwei Seiten aus den Seitengassen heraus angegriffen werden. Unbemerkt haben mehrere kleine Gruppen die Sicherheitskräfte umgangen, und die befinden sich nun in der Zange. Deckung ist rar, und schon verlassen die ersten Verletzten das Schlachtfeld. Eilig wird Verstärkung herbeigerufen, aber deren Eintreffen zieht sich hin. Ganze Salven von Tränengasgranaten werden den Angreifern entgegen geschickt, aber die werfen sie einfach zurück. Der Ort des Geschehens versinkt in einer Wolke aus reizendem Qualm, der Freund und Feind gleichermaßen die Sicht nimmt.
Das langsame Herabsinken einer gnädigen Dämmerung bewahrt die Sicherheitskräfte an diesem Tag vor Schlimmerem. Ob es das nahende Abendessen ist oder ein sich anbahnender Mangel an Wurfgeschossen, der für eine Auflösung der jugendlichen Kohorten sorgt, bleibt bis zuletzt unklar. Die Wehrhaftigkeit der Armee ist es auf keinen Fall. So plötzlich der Angriff in den frühen Nachmittagsstunden begann, so abrupt endet er. Beim nächsten Gegenangriff der Sicherheitskräfte lösen sich die Reihen der Jugendlichen einfach in Wohlgefallen auf, und die Protagonisten verschwinden im Gassengewirr der nun dunklen Altstadt. Ihre Aufgabe haben sie für heute erfüllt. Jeder konnte sehen, dass man dem indischen Staat die Stirn geboten hat und man seinen militärischen Vertretern in Kaschmir deutlich überlegen ist. Auch die Sicherheitskräfte sind nicht an weiteren Kampfhandlungen interessiert. Für heute gab es genug Verletzte, die Blamage sitzt tief, und so begnügt man sich damit, einigen Anwohnern ihre Haustüren einzutreten. Dann rücken auch die Soldaten ab.Bis zum nächsten Mal wird die Freitagsmoschee wieder das sein, wofür sie eigentlich gedacht ist: ein stiller Ort des Gebets und der religiösen Andacht.
2.4. Starb Jesus in Kaschmir?
Fakten und Meinungen zur These vom Tode Jesu Christi in Srinagar
Stellen Sie sich vor, Jesus Christus sei nicht am Kreuz auf dem Hügel Golgatha in Jerusalem gestorben. Vielmehr sei er auf dem Landweg nach Kaschmir gewandert, wo er geheiratet habe und schließlich in hohem Alter eines natürlichen Todes gestorben sei. Unmöglich? Genau das glauben aber nicht wenige Menschen, und das wird in verschiedenen Publikationen und Pamphleten mehr oder weniger sachlich begründet vertreten. Es gibt auch einen geografischen Ort, an dem sich diese These festmachen lässt. Die kaschmiri Muslime nennen ihn Rozabal. Das ist ein kleiner Schrein am Rande der Altstadt von Srinagar, im Stadtteil Khanyar gelegen.
Immer wieder stößt man in Publikationen auf die These, dass Christus seine letzten Tage im lieblichen Kaschmir-Tal verbracht habe. Selbst renommierte deutsche Magazine wie der Stern und die Bunte widmeten sich diesem Thema bereits. Auch das ZDF und 3Sat mochten da nicht zurück-stehen und griffen die Fragestellung in der Sendung „Terra X“ auf. Derzeitiger Hauptprotagonist der These vom Leben Jesu in Kaschmir ist ein indischer „Historiker“ namens Fida Hassnain. Ausgangspunkt seiner zweifelhaften Ausführungen ist der Text einer alten Sanskrit-Schrift aus dem 2. Jahrhundert, die freilich nur mehr als Kopie existiert und daher nicht als Primärquelle für eine derartige Behauptung herhalten kann.
Bereits vor über hundert Jahren verfasste Mirza Ghulam Ahmad, der Gründer der Ahmadiyya-Gemeinschaft, die von vielen Muslimen nicht als „wahre“ Muslime angesehen wird, ein Pamphlet mit dem Titel ,Jesus starb in Indien“ (Ahmad 1998). Ahmad kann in gewisser Weise als „Vater“ dieser noch heute anzutreffenden These gelten, wenngleich seine Ausführungen und „Beweise“ fernab jeder wissenschaftlichen Fundierung liegen. In seine Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts fallen auch einige Reiseberichte, deren Autoren bestrebt waren, die Anwesenheit Jesus in Nordindien nachzuweisen. Die meisten der aufgestellten Behauptungen und Verweise können mittlerweile wohl als widerlegt betrachtet werden (vgl. Grönbold 1985), aber nach wie vor hält sich hartnäckig das Gerücht, Christus sei in Srinagar begraben.
Die Argumente der Verfechter dieser These
Mirza Ghulam Ahmad begründet in seinem Pamphlet die These vom Leben und Sterben Jesu Christi in Kaschmir auf zwei Ebenen - religiös und historisch. Auch Fida Hassnain stützt sich in seiner Argumentation primär auf vermeintliche geschichtliche Originalquellen. Schließlich bemühen zahlreiche Autoren den Reisebericht eines gewissen Kosaken-Offiziers Notowitsch, der bereits im Jahr 1894 seine Ergebnisse einer staunenden Öffentlichkeit präsentierte. Folgt man den Ausführungen Mirza Ghulam Ahmads, so hatte Jesus Christus den göttlichen Auftrag, die „verlorenen Stämme Israels“ zu finden, die er im Gebiet zwischen Afghanistan und dem Punjab lokalisierte. Er beruft sich dabei auf „Beweise“ im Koran und macht sich die Tatsache zunutze, dass der Islam davon ausgeht, Christus sei eben nicht am Kreuz gestorben. Fragwürdige Kausalitätsketten gipfeln in der Aussage, dass „Kaschmir Scham (Syrien und das darumliegende Land - d. Autor.) ähnelt.“ und er daher geradezu verdammt war, „seinen Wohnsitz in diesem Land“ zu nehmen. Aus der Sicht Ahmads avanciert Jesus Christus quasi zu einer Art Proto-Tourist mit göttlicher Beauftragung. Immerhin sollte er nicht nur die „verlorenen Stämme“ ausfindig machen und ihnen die christliche Botschaft übermitteln, sondern er verband das Nützliche mit dem Angenehmen, denn Jesus, so Ahmad, „kam in den Punjab, wobei er letztlich