Dirk K. Zimmermann

Tod auf Mallorca


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Welt zweifelsfrei nicht gewonnen werden.

      Zurück zu meiner körperlichen Verfassung: Wie kam es dazu, dass ich die Tabletten absetzte? Einer, der eher der Paranoia entgegendriftete – wohlgemerkt ein Psychologieprofessor –, statt sich wieder in geordneten Lebensbahnen zu bewegen. Ich hatte in der Auseinandersetzung mit meinen Ängsten einen kleinen wissenschaftlichen Aufsatz verfasst, der in der Mai-Ausgabe einer Psychologiezeitschrift veröffentlicht worden war. Daraufhin hatte sich überraschender Weise eine Pharmaagentur, Global Sensual Maxx, bei mir gemeldet. Ihre Referentin für Unternehmenskommunikation, Mandy Conchita Williams (man beachte diesen Nachnamen angesichts meiner Notizbucheinträge) lud mich zu einem Gastvortrag für den Ende Juni erstmals auf Mallorca stattfindenden Angor-Kongress ein. Sie erklärte mir am Telefon in ihrem gebrochenen Deutsch mit spanisch-amerikanischem Akzent, ich müsse unbedingt teilnehmen. Sie hatte versucht mir zu schmeicheln; sie hatte mir Komplimente gemacht und mir ihr großes Bedauern darüber mitgeteilt, dass ich die Forschungsarbeit nicht weiter vorantrieb. Sie hatte ihre Worte verlacht, um der Aussage die Schwere zu nehmen, nachdem ich nichts darauf geantwortet hatte und dann hatte sie dazu übergeleitet, dass dieses Unglück ja ein Glück sei, denn sonst hätte ich nicht diesen vortrefflichen Artikel zur Angor-Thematik veröffentlicht.

      Ehrlich gesagt, fühlte ich mich keineswegs gebauchpinselt, sondern eher überrascht. Warum lädt man einen Neuling auf diesem Fachgebiet ein? Sicher, ich war nicht der einzige Redner in einem vollgepackten Tagesprogramm, aber ein einziger kleiner – und meines Erachtens recht unbedeutender –, Artikel hatte ausgereicht, um mich zu verpflichten. Es musste mehr dahinterstecken.

      Ich hatte darüber nachgedacht, während Mandy Conchita mir am Telefon mit attraktiven Programmpunkten das Kommen schmackhaft machte. Keine Reisekosten, Aufenthalt in einem Luxushotel, ein Ausflug auf einer Jacht, Cocktails und Fischen inklusive, und ein Gala-Dinner vom Feinsten. Hinzu kam ein Redner-Honorar von fünftausend Euro. – Das Angebot war zu gut, um es nicht anzunehmen. Also tat ich es. Ein wenig verunsichert war ich jedoch. Es war fraglich, inwieweit dieses Symposium den Pharmamarkt beeinflussen sollte. Ich kannte das aus Erfahrungsberichten einiger Professoren-Kollegen. Man traf sich mit Pharmareferenten, Vertretern der Wissenschaft und von Arzneimittelbehörden, mit namhaften Medizinern, Psychologen, Journalisten, um gemeinsam neue Marktbewegungen und Trends zu besprechen. Mir war in diesem Zusammenhang die Behandlung von Depressionen in Erinnerung geblieben. Beispielsweise das seit 1998 auftauchende Sissi-Syndrom, eine spezielle Form der Depression, an der besonders aktive Menschen leiden sollten. Rastlosigkeit bis hin zur körperlichen Hyperaktivität. Wiederkehrende Hungerkuren, massive Selbstwertprobleme und viele gescheiterte Behandlungsversuche sollten zum Krankheitsbild gehören. Bis 2003 rätselte die Fachwelt über das Sissi-Syndrom, das die Gesellschaft zu packen schien, häufig Frauen befiel, bis ein unabhängiges Forscherteam die sich wie ein Lauffeuer ausbreitende unheilvolle Nachricht prüfte, vermeintlich Erkrankte testete und dann zu dem Schluss kam, dass es sich um keine eigenständige Erkrankung im wissenschaftlichen Sinne handelte. Es gab damals einige Journalisten, die von einer erfundenen Krankheit sprachen.

      Angst ist sicher keine Erfindung. Eigentlich hat sie eine Schutzfunktion, um die Menschen den lauernden Gefahren der Welt gerüstet entgegentreten zu lassen. Ängste gehören zu unserem Leben dazu. Auch die Auswüchse ihrer bis hin zu krankhaften Erscheinungen wie Psychosen, Phobien, Zwängen sind nicht wegzudiskutieren. Jeder Siebte, so wusste ich, entwickelt eine krankhafte Angst. Ich hatte es vor kurzem in einem Fachmagazin gelesen. So belegen es auch neueste Studien, wie ich nachgeschlagen hatte. (Belegen sie es wirklich?) Dennoch – für die Pharmaindustrie hatte das Gefühl der Angst in den Sechziger- und Siebzigerjahren eine große Bedeutung gehabt. Wiederholte sich auch hier alles? (Wie das Leid in meinem Leben.) Wurde ich mit meinem Auftritt beim Angor-Kongress vor einen Karren gespannt, den ich gar nicht ziehen wollte? Albert Wallmann, Psychologe, ehemaliger Leiter des Lehrstuhls für Psychologie einer angesehenen Universität, degeneriert zum Grüß-August von Global Sensual Maxx? Was hieß hier degeneriert? – In meinem eigenen ethischen Verständnis vielleicht oder dem einer imaginären Ethik-Kommission?

      Allerdings gab es da ein Problem mit meinem Vortrag, welches für Mandy Conchita gar keins war. Ich hatte – wie erwähnt –, noch am Telefon zugesagt. Und sie hatte erklärt, dass sie den Hin- und Rückflug Düsseldorf - Palma gleich buchen würde, mir die Flugdaten per E-Mail zustellen wolle, sobald sie bestätigt waren. Aber ich musste intervenieren. Dass ich (bereits seit über zehn Jahren) große Flugangst hatte, kam mir nur schwer über die Lippen (man bedenke, welche Reisestrapazen auf mich zukamen, wenn ich nach Vancouver reisen wollte, um mit Mia mal einen Urlaub in Kanada zu verbringen). Es war mir einfach peinlich. Aber Mandy Conchita flötete alle Probleme aus meinen zaghaften Geständnisversuchen einfach weg.

      „Machen wir keine große Sache daraus, Herr Wallmann. Nehmen Sie doch die Fähre! Aber ich darf Sie beruhigen, statistisch betrachtet, ist ein Flug eine sehr sichere Sache. Was aber nicht heißt, dass Sie sich bei einer Fährenüberfahrt sorgen müssten. Wenn Sie von Barcelona aus die acht Stündchen auf dem Schiff verbringen, wird es Ihnen wie ein kleiner Urlaub vorkommen. Diese Mallorca-Fähren sind ja nicht die Titanic, die Lamma IV, die SanktThomas von Aquin, die Sewol, die Estonia oder die Costa Concordia, nicht wahr!“

      Sie kicherte über ihren makabren Witz. „Entschuldigen Sie“, säuselte Mandy Conchita, „es ist nur so, Ihre Angst – das wissen Sie vielleicht auch –, ist völlig unbegründet. Wenn man neben den Passagier- und Frachtmaschinen auch die Segelflieger und Sportflugzeuge hinzunimmt, dann kommt man im Jahr auf fünfhundertfünfzig Millionen Flüge weltweit. Pro Jahr fallen aber nur vier Flugzeuge vom Himmel. Das bedeutet, die Wahrscheinlichkeit mit einem Flugzeug abzustürzen, liegt bei Null Komma Null irgendwas.“

      Sie verwirrte mich. Diese Frau Williams.

      „Gestatten Sie mir die etwas persönliche Frage“, druckste ich herum, „sind Sie zufällig mit einem gewissen Hugh Williams verwandt?“

      Rauschen in der Leitung, dann lachte Mandy Conchita wieder. Glucksend. „Nicht, dass ich wüsste. Aber sind wir alle nicht irgendwie miteinander verwandt, ob man Williams heißt oder Wallmann?“

      Ich beließ es dabei. Sie fragte nach, ob ich allein reisen werde, ob ich das Auto mitnehmen wolle. Ich bejahte beides. Daraufhin buchte sie mir eine komfortable Vier-Bett-Kabine mit Bad und den PKW-Transfer auf der Fortuny. – Ich hoffte, der Name des Fährschiffes war Programm.

      Mandy Conchita bat mich noch, das Manuskript meines Vortrags zu übersenden, meine Vita, ein Porträtfoto, die üblichen Dinge halt, und erklärte, meine Kontaktperson in allen Angelegenheiten zu sein. Vierzig Minuten nachdem wir das Telefongespräch beendet hatten, erhielt ich bereits die Reiseunterlagen. Fürs Erste war alles erledigt gewesen. Aber damit stand ich unter Druck. Erheblichem Druck.

      Ich, der Fünfziger mit Problemzone Bauch, vollgepumpt mit Tabletten und Whisky. Die Haut weiß wie Eimer voll Kalk. Das Haar lang, hing strähnig herab. Der Bart reichte mir bis fast zur Halsbeuge. Ich musste etwas tun, denn so konnte ich nicht aufs Podium treten. Ich ließ mir also beim Friseur den Bart stutzen und die Haarspitzen abschneiden. Das Haar ließ ich sogar kastanienbraun färben, um das stellenweise silbrige Grau zu überdecken. Als ich mich im Spiegel ansah, hatte ich ziemlich viel von einem amerikanischen Dude, einem Lebowski-Verschnitt. Nur die lange Strickjacke fehlte mir zur täuschend ähnlichen Kopie der Filmfigur.

      Ich spülte (mein Therapeut Walter, der übrigens mal mein Doktorvater gewesen war, wusste natürlich nichts davon) das komplette Päckchen Tabletten die Toilette hinunter und zog für die nächsten drei Wochen mein tägliches Sportprogramm durch. Eineinhalb Stunden Jogging im Stadtpark, hundertfünfzig Liegestütze, hundertfünfzig Situps, hundertfünfzig Crunches, zwanzig Minuten Seilspringen, dreißig Minuten Radfahren. Auf dem Speiseplan standen Salate, Rindersteak, Magerquark. Traumhaft. Dazu Wasser. Orangensaft. Karottensaft. Sauerkrautsaft. Großartig. Ich spürte wie Suchtgedanken mich einzukreisen versuchten, wie Versagensängste aufstiegen, die ich mit aller Kraft zurückzudrängen versuchte. Es gelang. Der Körper entgiftete, ich hatte Halluzinationen, Schüttelfrost, Schmerzen. Von allem nicht gerade wenig. Ich lag im Bett. Schrie und weinte. Manchmal taumelte ich mehr durch den Stadtgarten als denn ich lief. Und dann, am einundzwanzigsten Tag war es so gut wie überstanden. Ich fühlte mich