Dirk K. Zimmermann

Tod auf Mallorca


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die Spinne mal berührt, dass sie das Tier auf die Hand nimmt, dass sie sich ins Bett legt und die Spinne über die Decke krabbeln lässt. Aber was macht Susi? Sie rennt schreiend aus dem Haus und lässt von Nachbarn den Kämmerer holen.“

      Ich schaute ihn mitleidig an. „Vielleicht war es gar nicht die Angst vor der Gefahr, vielleicht war es ein Ekelgefühl...“

      Charly wälzte sich auf dem Bett hin und her. „Die hatte einfach einen Lattenschuss. Das fing mit den Spinnen an und ging dann immer weiter. Sie hatte später Angst vor Mäusen, Ratten, Schlangen, Katzen, Hunden. Sogar vor Vögeln. Dabei hatte ich alles Wochen zuvor verkauft. Die Terrarien und auch die Volieren. Alles ihr zuliebe.“

      Ich antwortete, dass es mir leid für ihn täte. Dann schwiegen wir eine Weile. Bevor wir einschliefen, sagte Charly noch, dass er es super finde, dass er hier nächtigen dürfe und dass ich davon ausgehen könne, dass er seine Walther wieder unter dem Kopfkissen hätte. Und dann bin ich in einen unruhigen Schlaf verfallen, in dem ich von meinem Volvo träumte. Ich war auf der Flucht vor jemandem, sprang in meinen Volvo hinein und drehte den Zündschlüssel. Er sprang beim dritten Startversuch an und ich entkam. Als ich am nächsten Morgen erwachte, es war kurz nach sechs, da war Charly bereits verschwunden. Ich fand auf seinem Kopfkissen einen Zettel. Danke. Viel Erfolg. Wenig Angst.

      2

      Ich war von einem Taxifahrer in Empfang genommen worden. Er hieß Miguel Cordoba, wie ich später an seiner Lizenzkarte im Auto feststellte. Als ich ihm begegnete, hielt er am Pier einen Karton mit der Aufschrift Global Sensual Maxx empor, begrüsste mich freundlich in fließendem Deutsch und hofierte mich nach allen Regeln der Kunst, bis ich neben ihm auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. Mit seinem salzverkrusteten, cremefarbenen Van kutschierte er mich zielsicher aus Palma heraus. Er sprach wenig mit mir, erklärte aber kurz nach Fahrtbeginn, dass er den Auftrag habe, wie ich sicher wisse, mich zunächst zum Hotel zu bringen. Nach dem Einchecken werde sich Mandy um mich kümmern.

      Nach Peguera waren es gute vierundzwanzig Kilometer von Palma. Und ich hatte bereits im Internet über das Luxushotel Five White Stripes Deluxe gelesen. Nur hundertfünfzig Meter vom Strand entfernt gelegen. Ein Wellnesstempel. High Class. Eine Oase der Ruhe und Reinheit.

      Da wir die nächsten zehn Minuten keinen Smalltalk miteinander hielten, konnte ich ungefiltert die ersten Eindrücke dieser Insel in mich aufsaugen. Ohne Vorbehalte, ein äußerst angenehm wirkender Ort, Palma.

      Das, was mich am meisten inspirierte, als wir in zügigem Tempo über die Stadtautobahn MA-1 Richtung Südwesten fuhren, war eine riesige Werbetafel mit der Aufschrift: El Mallorca, que todos queremos! – Das Mallorca, das wir alle wollen.

      Aber, was wollten denn alle? Vor allem die Insulaner? Ich fühlte mich zu ein wenig mehr Konversation berufen und erkundigte mich danach, was Mallorca momentan prägt und bewegt.

      Der Taxifahrer setzte sich seine Sonnenbrille auf und überlegte einen Moment. „Wir warten auf die ‚Königin der Nacht’.“

      Ich dachte, es handele sich um eine berühmte Schauspielerin, Tänzerin oder Sängerin, die den Weg nach Mallorca finden und das Jetset-Leben bereichern würde.

      „Bin nicht so der Tänzer“, sagte ich, „und mit Prominenten kenne ich mich erst recht nicht so aus. Wer ist das?“

      Der Fahrer grinste breit.

      „Die Königin der Nacht, das ist eine Kaktusart, die nur eine Nacht im Jahr blüht. Und im Juni ist es soweit. Das Highlight der Saison ist das.“

      Er lachte aufgesetzt angesichts der Banalität dieser pflanzlichen Attraktion und wurde dann schnell wieder ernst.

      „Was geht so ... nicht viel. Wenig Arbeit. Kann ja nicht jeder im Tourismus beschäftigt sein. Ein Denkmal soll abgerissen werden, wegen Kriegsverherrlichung. Es geht um den Untergang eines Kriegsschiffs. Die Stadtobersten streiten sich drum. Aber ein anderes wurde dafür aufgebaut. Ein Gedenkstein über den Bruderkrieg von 1522.“

      Ich schaute ihn neugierig an. Er spürte wohl mein Interesse und feuerte voller Überzeugung eine schnelle Wortsalve ab.

      „Die verarmte Inselbevölkerung hat sich gegen die mächtigen Adligen, reichen Landbesitzer und Kaufleute aufgelehnt. Dabei starben tausend Bruderschaftler auf dem Feld von Son Fornari. Sie haben für die Rechte des Volkes und das Allgemeinwohl der Mallorquiner gekämpft.“

      Ich erwiderte nichts darauf, aber meine Gedanken kreisten. Warum erzählte er mir von Tod und Gewalt? Wo er doch wusste, dass ich einen Kongress besuchte, der Ängste thematisierte. Er schien wohl meine Gedanken zu ahnen, denn er schob rasch einen Satz nach.

      „Die einen fürchten um ihr Ansehen, die anderen haben Angst davor, dass man die Gräueltaten vergessen könnte.“

      Wir schwiegen, bis wir das Hotel erreichten. Ich stieg aus, dankte ihm, gab ihm ein Trinkgeld und er reichte mir meinen Trolley. Dann schob er die Sonnenbrille hoch. Seine braunen Augen blitzten. „Wird schon schiefgehen“, sagte er, tippte sich zum Gruß an die Stirn. „Denken Sie immer daran, Gott ist mit Ihnen.“ Als ich die Eingangshalle des Hotels passierte und meinen Namen an der Rezeption nannte, war Miguel Cordoba bereits verschwunden.

      Ich nahm das Zimmer in Augenschein. Stilvoll, keine zu Tierfiguren gefalteten Handtücher auf dem Bett. Mediterran und gleichzeitig von geschmackvoller Zurückhaltung. Vielleicht einen Hauch zu steril, zu glatt, zu sauber.

      Ich hatte den Trolley gar nicht ausgepackt, war schnell wieder nach unten gegangen und hatte einen von diesen grünen Fruchtcocktails in der Lounge getrunken. Er schmeckte nach Mango, Guave, Limette und Kiwi, trug aber einen eigentümlichen, beinahe medizinisch anmutenden, leicht bitteren Nachgeschmack mit sich. Mandy Conchita Williams entpuppte sich als dunkelhaarige Schönheit, gekleidet in ein zitronengelbes Partykleid. Sie war einfach zuckersüß, perfekt geschminkt und sah aus, als sei sie soeben einer Model-Sedcard entsprungen. Die Lady roch bezaubernd und verströmte ihre Aura mit jedem Schritt im ganzen Raum. Sie hob ein Glas Sekt und sprach ein paar Worte zur Begrüßung an die vielleicht ein Dutzend Anwesenden. Sie wies mit ihren leuchtend rot lackierten langen Nägeln auf die Flipchart, wo in großen Lettern der Slogan der Veranstaltung stand: Gegen die Angst.

      „Um die Berührungsängste abzubauen“, sagte sie, „das Eis zu brechen, an einem Ort, der voller Wärme und natürlicher Schönheit ist, wie Sie bereits sicher feststellen durften, möchte ich Sie nun bitten, sich einander nur mit Ihren Vornamen vorzustellen. Ich denke, in dieser erlesenen überschaubaren Gruppe sollte dies kein Problem darstellen. Wir befinden uns an einem Ort, wo häufig das Gefühl aufkommt, als Deutscher unter Deutschen zu sein. Und da wir ja eine große Familie sind, so ist es doch selbstverständlich sich zu duzen.“

      Manche blieben ernst, andere lächelten, als ob es sich um ein naives Spielchen handelte, aber alle Anwesenden folgten Mandys Aufforderung. Sogar die Gesundheitsministerin, die dem Kongress ihre Aufwartung machte, schüttelte brav den übrigen Gästen die Hand und stellte sich mit „Angenehm, Helga“, ziemlich spröde vor.

      Mit Helga wurde ich unerwartet schnell warm. Sie sprach von eisernen Banden und der Etikette, die sie gefangen halte, während sie mein langes Haar betrachtete und selbst mit den Fingerspitzen an ihrer grauen Kurzhaarfrisur herumzupfte. Als ich ihr von meiner Flugangst erzählte, beichtete sie mir, dass sie sich bereits seit einigen Jahren in psychotherapeutischer Behandlung befände. Parasitophobie. „Ich habe unheimliche Angst vor Zecken“, gestand sie. „Diese elenden Blutsauger. Das sind Biester. Die Viecher werden immer mehr, sie sind hartnäckig und unheimlich zäh.“ Helga rollte mit den Augen und ich war froh, dass sie in meiner Gegenwart nicht gleich zu hyperventilieren begann.

      Ich versuchte die Zeckengefahr herunterzuspielen, wies auf die gut erforschten und bekannten Behandlungsmethoden hin und die sehr guten Heilungschancen, falls man einmal tatsächlich an Borreliose erkrankte. Aber sie hörte mir gar nicht zu. Sie öffnete ihr Handtäschchen, griff hinein und zeigte mir ihre Zeckenzange und das mitgeführte Antibiotikum. „Ich überlasse nichts dem Zufall“, flüsterte sie mir ins Ohr. „Ich habe in allen Krisengebieten Zeckenwarnschilder aufstellen lassen. Die Lyme ist schrecklich. Sie befällt alle Organe.