Dirk K. Zimmermann

Tod auf Mallorca


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meine Hände auch nur dabei zitterten. Na, ein bisschen vielleicht.

      Am Abreisetag schaute ich nochmals prüfend in den Spiegel, nachdem ich meine Wechselwäsche und die Hygieneartikel in den Trolley geworfen hatte, nicht zu vergessen, das Vortragsmanuskript, die Shorts, die Sandalen, die Poloshirts und die Schwimmbrille. Den Schwimmoverall.

      Ein Typ Anfang fünfzig, noch immer mit Bauchansatz, starrte mich da an. Über die Krise konnte nichts hinwegtäuschen, aber der sandfarbene Cordanzug war okay, das schwarze Shirt darunter auch, die schwarzen Socken ebenso.

      An Mallorca habe ich so gut wie keinerlei Erinnerungen. Im Kindesalter, ich dürfte damals acht Jahre alt gewesen sein, hatte ich den Sommerurlaub mit meinen Eltern dort verbracht. Mein Vater fuhr lieber im Sommer nach Griechenland, meine Mutter wollte eher nach Österreich. Also hatte es uns nur ein einziges Mal auf diese Insel verschlagen, die wohl zweite Heimat der Deutschen, das sogenannte siebzehnte Bundesland. Ballermann, das hatte ich im Heranwachsenden-Alter gekonnt ausgelassen. Später, mit Ellen und den Kindern, bin ich zumeist in die Karibik geflogen oder nach Frankreich gereist. An die Küste. Auch Anita hatte ich für Südfrankreich begeistern können. Sie selbst hatte Sylt favorisiert und so hatten wir die Ferien wechselweise an der Côte d’Azur und auf Sylt verbracht. Niemals ist es uns dabei langweilig geworden.

      Wenn ich also bilanzierte, wenn ich mir vor Augen führte, dass ich als Einundfünfzigjähriger schon einiges hinter mich gebracht hatte (und auch einiges nicht, wie ich beschrieb), so musste ich mir eingestehen, dass ich absonderlich war, ein Mensch im mittleren Alter, ein Mann, der nicht daran dachte, eine Motorradtour durch Australien zu machen, sich eine dreiundzwanzigjährige vollbusige Schönheit anzulachen, einen Weinberg im Badischen zu kaufen oder für den Triathlon auf Hawaii zu trainieren. Ich musste nicht.

      Ich spürte, als ich die Reiseunterlagen in den Händen hielt, dass der Weg nach Mallorca irgendwie ein unerfüllter Wunsch von mir war. Vielleicht verbunden mit einer Sehnsucht nach Geborgenheit. Ein Wunsch, der mir durch den zweitägigen Aufenthalt in Palma einen Anschub dafür lieferte, mich vielleicht eine längere Zeit auf Mallorca aufzuhalten und die Vorzüge dieser Insel fernab des Touristentrubels zu genießen. Also gab ich, bevor ich mich in meinen alten Volvo setzte, die zweiten Hausschlüssel bei meiner Nachbarin Herta ab und bat sie die Post zu sammeln und die Pflanzen zu gießen. Ich wisse noch nicht, wie lange mich Mallorca in seinen Bann ziehen würde, hatte ich ihr zum Abschied gesagt. Herta hatte mich intensiv angeblickt und man sah in ihren Augen die aufglimmende Hoffnung, dass ich mich aufgemacht hatte, ein neues Leben zu beginnen.

      Ich muss gestehen, nicht viel von der Autofahrt mitbekommen zu haben. Frankreich durchquerte ich beinahe wie in Trance. Metz, Nancy, Dijon, Lyon, Montpellier. All das zog an mir vorbei wie im Traum. Die Mautstellen, daran fehlt jegliche Erinnerung. Ich schlief zweimal für jeweils drei Stunden an irgendwelchen Raststätten. Es war einfach ein schmerzlicher, weil zu ähnlicher Weg, blickte man auf unsere Urlaube zurück. Ich hatte große Mühe nicht daran zu denken. Ich lenkte mich ab, dachte über die unterschiedlichsten Formen von Ängsten nach. Achluophobie. Angst vor Dunkelheit. Acrophobie. Die Angst vor Höhe. Aquaphobie. Die Angst vor Wasser. Alektorophobie. Die Angst vor Hühnern. Dann versuchte ich mir die Sehenswürdigkeiten Mallorcas ins Gedächtnis zu rufen. Ich hatte sie einem Reiseführer vor Fahrtbeginn entnommen. Die Kathedrale von Palma. Das Kloster Lluc. Die Gärten Alfabias. Die Halbinsel Cap Formentor. Die enge Schlucht Torrent de Pareis, die nach Sa Calobra führt. Oder das romantisch anmutende Bergdorf Valldemossa, das etwa siebzehn Kilometer von Palma entfernt lag. All das wollte ich mir anschauen, dieser Vorsatz war in mir gereift. Ich wollte hier meine Seele baumeln lassen, in den wenigen Tagen, die ich mir nach diesem Vortrag gönnen würde. Aber in diesen Gedanken, so muss ich gestehen, war ich doch ziemlich überanstrengt. Erst bei Perpignon, nahe der spanischen Grenze, wurde es mir leichter. Girona, dann war Barcelona nicht mehr weit.

      Über tausendzweihundert Kilometer lang hatte mein inzwischen siebzehn Jahre alter Volvo Kombi geschnurrt wie ein Kätzchen, aber nachdem ich Barcelonas City auf der B10 durchfahren hatte und in die Straße zum Terminal – die Ronda del Litoral –, einbog, da begann er plötzlich zu husten, zu röcheln. Er ruckelte ein paar Mal, dann gab der Motor keinen Mucks mehr von sich und ging einfach aus. Kein Anzeichen eines Defekts. Keine Überhitzung. Es war, als wäre mein Volvo einen plötzlichen Herztod gestorben. Dabei hatte ich ihn immer pfleglich behandelt und war maximal mit hundertdreißig Stundenkilometern über die Autobahn gezockelt. Alte Leute jagt man auch nicht die Treppe hoch. Ich schaute frustriert auf den Tachometer, auf dem genau vierhundertzwölftausend Kilometer angezeigt wurden. Dann schaute ich auf die Uhr. Ich hatte mir die Fahrt gut eingeteilt, es war kurz nach einundzwanzig Uhr und die Fähre legte um dreiundzwanzig Uhr ab. Aber, was tun? Den abgeschleppten Volvo mit auf die Fähre nehmen? Auf Mallorca reparieren lassen? Ihn hier auf einem Dauerparkplatz abstellen? Letzteres schien mir die beste Lösung zu sein. Ich suchte also mit Hilfe meines Handys nach einem Abschleppdienst, während eine ganze Reihe von voll beladenen 40-Tonnern und urlaubswütigen Touristen-PKWs an mir vorbeirauschten. Hin und wieder hupend, schimpfend oder beides. Obwohl ich die „Unfallstelle“ ordnungsgemäß mit Warndreieck und eingeschalteter Blinkanlage abgesichert hatte.

      Den Abschleppdienst zu kontaktieren wurde zur nervenaufreibenden Angelegenheit. Es liefen automatische Ansagen, mit – für mich zu schnell gesprochenem – spanischem Kauderwelsch. Nahm mal jemand ab, verstand man mein Englisch nicht, bat Spanisch mit mir zu sprechen und legte angesichts meines Gestammels irgendwann einfach auf. Nach acht erfolglosen Versuchen verließ mich der Mut. Sechshundert Meter vom Terminal entfernt würde ich meinen treuen Gefährten wohl zurücklassen müssen. Wollte ich die Fähre nach Palma nicht verpassen. Ich war schon dabei, den Volvo abzuschließen, meinen Trolley hatte ich bereits aus dem Kofferraum geholt, als ein Truck neben mir hielt, der Fahrer die Scheibe heruntersurren ließ und mich kaugummikauend ansprach.

      „Charly. Aus Aachen. Rollrasen und jede Menge Bier hab ich drauf.“

      Er malmte zweimal kräftig auf seinem Kaugummi.

      „Hat dein Hobel schlapp gemacht? Der alte Schwede ...“

      Ich taxierte ihn. Verschwitztes Gesicht. Langes, dunkles Haar, zum Zopf gebunden. Muskelshirt. Kräftige Oberarme.

      „Ich nehme eigentlich gleich die Fähre nach Palma. Aber ich weiß nicht wohin mit dem Auto.“

      Charly kaute wieder, dann grinste er.

      „Bin spät dran. Du bist spät dran. Passt. Bist du auf der Fortuny?“

      Ich nickte.

      „Ich auch. Also, zieh ich deine Karre bis vorn zum Terminal und dann kannst du mit denen was aushandeln.“

      Es war klar, dass ich ein solches Angebot nicht ablehnen konnte. Charly war schneller als schnell. Er hatte binnen zwei Minuten das Abschleppseil angebracht und fünf Minuten später stand ich mit meinem Volvo am Terminal.

      Es regelte sich tatsächlich alles. Na ja, nahezu alles. Zuerst wollte der Terminalmitarbeiter meinen Volvo kaufen. Aber das kam nicht in Frage. Dann ließ er gegen eine Gebühr von hundertfünfzig Euro meinen Volvo von zwei Einweisern in eine kleine Garage schieben, die neben zwei Blechcontainern stand. Was sie sonst darin lagerten oder parkten war mir nicht klar, denn jetzt stand sie leer. Aber dort würde mein Volvo bleiben, bis ich ihn abholte.

      Dieser Luis, ein Mitarbeiter der Fährgesellschaft, der mit mir die Abmachung traf, fragte abschließend, wann ich den Wagen abholen würde. Da ich ihm keinen genauen Tag nennen konnte, zeigte er mir schelmisch grinsend seine großen gelben Zähne und erklärte, er werde den Volvo für genau vierzehn Tage hier stehen lassen. Danach würde er in eine Parkgarage verbracht. Dann kämen weitere Kosten auf mich zu. Würde ich den Wagen nicht nach drei Monaten auslösen, so ließe er das Fahrzeug kostenpflichtig entsorgen. Das waren gute Bedingungen. Ich dankte ihm sehr, nahm meinen Trolley und machte mich auf, die Fähre Fortuny zu besteigen, die am Pier vertäut lag. Die ersten Vehikel fuhren bereits über eine Rampe in den Schiffsbauch hinein. Ich suchte in der Fahrzeugschlange nach Charlys LKW. Besonders bei ihm wollte ich mich für seine tatkräftige Hilfe bedanken. Nachdem er meinen Wagen am Terminal abgekoppelt hatte, war er eilig weiter zum Ticketschalter gegangen, um seine Papiere abzuholen und ich hatte ihn aus den