Dirk K. Zimmermann

Tod auf Mallorca


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stand ein Einweiser der Fährgesellschaft. Er ließ sich von dem Trucker überhaupt nicht beeindrucken, schaute nur auf sein Klemmbrett und wippte sachte mit seinen Füßen von den Fersen zu den Zehenspitzen.

      Ich ging zu Charly hin, unterbrach ihn in seinem Redeschwall und wollte wissen was los ist.

      Charly konnte sich gar nicht beruhigen.

      „Die sind doch verrückt! Ich hab so gerade noch einen Platz gekriegt, obwohl einer fest gebucht war von unserer Disposition. Aber die haben keine Kabine mehr für mich. Alles belegt. Angeblich.“

      „Und jetzt?“

      „Jetzt kann ich auf einem Stuhl im Fährenrestaurant pennen. Im Führerhaus darf man ja nicht. Die Bandscheibe wird sich freuen.“

      Es war ein Reflex, selbstverständlich. Ich schaute ihn an, er war gepflegt, hatte Manieren und einen guten Kern. Er hatte geholfen, obwohl er unter Druck stand. Ich war von seiner Anständigkeit überzeugt und so sagte ich ihm, dass er, wenn es ihm nichts ausmache, in meiner Kabine übernachten könne. Ich hätte eine Vierer-Kabine bekommen, reise aber allein, sodass genügend Platz vorhanden sei.

      Charly schaute mich zwei Sekunden lang an und ich sah in seinen Augen was er dachte. Dann nickte er.

      „Okay“, quetschte er hervor, „vielleicht komm ich drauf zurück.“

      Ich sagte ihm meine Kabinennummer, dann ließ ich ihn stehen. Er schien besänftigt, ich hörte noch, wie er ein wenig in sich hinein grummelte, den Einweiser davonziehen ließ, wieder in seinen Truck stieg und kurz darauf ein Stück weiter Richtung Auffahrrampe fuhr. Dann war er aus meinem Blickfeld verschwunden.

      Ich hatte im Bordrestaurant fürstlich gespeist. So kam es mir jedenfalls nach Wochen der Askese vor. Ich nahm als Vorspeise eine Zarzuela, für meinen Geschmack war die Fischsuppe allerdings ein bisschen zu stark mit Chili gewürzt. Dann, als Hauptgericht, entschied ich mich für Kotelett vom Iberico-Schwein mit Kartoffel-Oliven-Stampf und zum Dessert wählte ich vom Buffett eine Crème brûlée. Köstlich. Ich gönnte mir ein kaltes Bier und genoss. Es war laut im Restaurant. Deutsche, Franzosen, Engländer, Spanier und andere Nationalitäten hielten ihre Tischgespräche. Manche fotografierten sich selbst, die Tischnachbarn und das Essen, wohl um den weltbewegenden Moment gleich mit anderen via Internet zu teilen.

      Mich störte all das nicht. Der Trubel zeigte mir vielmehr, in welcher Abgeschiedenheit ich doch die letzten Monate verbracht hatte.

      An der Reling des Oberdecks lehnte ich. Der kräftige Abendwind blies mir ins Gesicht. Ich kniff die Augen zu schmalen Schlitzen und sah, wie die glitzernden Lichter von Barcelona langsam am Horizont verschwanden. Sah, wie die starken Motoren des Schiffs das Wasser unter mir aufwühlten und es brodeln ließen. Mein Blick glitt über das schwarze Wasser, das nur vom beinahe vollen Mond beschienen wurde und dessen sanften Wogen hin und wieder aufblitzten.

      Was würde mir diese Reise bringen? Ich sah mich im Geiste schon auf einem Mountain-Bike strampelnd die Insel erkunden. Einen kleinen Rucksack mit Wasser und Proviant auf den Rücken geschnallt. Ich musste bei diesem Gedanken unwillkürlich lächeln. Von der Schnapsdrossel zur Sportskanone.

      Eine Weile hatte ich sinniert, hatte die verliebten Paare beobachtet, die miteinander turtelten, die aufgekratzten Familien, die ebenso an Deck gekommen waren, um sich vor der Bettruhe ein wenig die Beine zu vertreten.

      Die Geschäftsleute telefonierten noch. Einige von ihnen versuchten zu rauchen. Kurz dachte ich noch darüber nach, ob jemand von den Kongress-Besuchern wohl ebenfalls mit einer Fähre nach Palma unterwegs war, als Charly neben mich trat. Er hatte sich eine Fleece-Jacke übergezogen und trug eine grüne Wollmütze auf dem Kopf. Er nickte mir zu.

      „Kriege leicht Mittelohrentzündung.“

      Ich schaute ihn verständnislos an.

      „Ich mein, wegen der Mütze.“

      Ich nickte. „Kenne ich. Meine jüngste Tochter, die war auch so empfindlich an den Ohren.“

      Charly schaute mich an. Er wollte etwas sagen, blieb aber dann doch stumm.

      Er brauchte eine Weile.

      „Ist schon komisch, was, lange Fahrt, man ist hundemüde, aber man kommt nicht runter.“

      „Vielleicht tut es ein Absacker“, sagte ich.

      Wir tranken jeder zwei Ramazotti, zwei Fernet Branca und zwei Dosen Corona Bier. Danach war ich ziemlich geschafft. Charly nahm seinen Rucksack und folgte mir in die Kabine. Ich bot ihm an zu duschen, aber er legte sich in voller Montur aufs Bett und starrte zur Decke.

      Ich aber wollte auf eine Dusche nicht verzichten. Sie war eine Wohltat. Als ich mich dann im Doppelstockbett, das seinem gegenüber lag, verkrochen hatte, kam endlich ein richtiges Gespräch zustande. Charly erzählte von seiner Frau, von der er getrennt lebte, nachdem er sie mit einem Liebhaber erwischt hatte. Von seiner Schwäche für dunkelhaarige Frauen, besonders, wenn sie gelbe Shirts tragen. Die er sich aber niemals traut anzusprechen. Seinem Hobby Hochseefischen, bei dem er mal einen dreieinhalb Meter langen Hai zur Strecke gebracht hatte. Davon, deutschen Finca-Besitzern kiloweise Sauerkraut mit Eisbein zu liefern und seinen LKW immer auf einem Parkplatz nahe des Aquariums in Palma abzustellen, wenn er rastet. Er berichtete, er fahre die Mallorca-Touren schon seit sechs Jahren und betonte, es sei eine besonders gute Arbeit. Dieser Mallorca-Trip. Für einen Fernfahrer. Er wollte wissen, warum ich auf die Insel ginge, ich sähe nicht aus wie ein typischer Tourist. Ich klärte ihn mit wenigen Worten auf.

      Ein Kongress? Er wurde neugierig und fragte, ob ich ein Unternehmer oder Ingenieur sei. „Golfen, Saufen, Rumhuren“, sagte er. „Und das Ganze auf Firmenkosten.“

      „Ich bin Psychologe. Es ist ein Seminar zum Thema Angst. Ich halte dort einen kleinen Vortrag.“

      Charly lachte dröhnend. „Sachen gibt’s“, sagte er. „Ich kann dir auch ne ganze Menge über Angst erzählen. Zum Beispiel, als ich nachts mal in meinem LKW überfallen worden bin. Die Kerle haben einfach die Fahrertür aufgehebelt und mich mit einem Messer bedroht.“

      „Und dann?“

      Charly grinste. „Haben sie nicht damit gerechnet, dass ich immer mit einer Walther unterm Kopfkissen schlafe. Die waren schneller wieder weg als ich gucken konnte.“

      Ich sah ihn zweifelnd an. Ich mochte auf den ersten Blick wie ein Lebowski wirken, aber Charly machte keineswegs den Eindruck ein Rambo zu sein. Oder hatte ich mich so sehr in ihm getäuscht?

      Charly legte nach. „Ich hab ein paar Jahre im Knast gesessen. Wegen schwerer Körperverletzung. Ich dachte, ich wär ein harter Bursche, aber da konnte man mal so ein paar richtige Granitbrocken kennenlernen. In der Dusche hast du Angst gekriegt, die Seife fallen zu lassen. Hat einer mal versucht, mich anzufassen, aber dem hab ich ganz schön eins zwischen die Rippen gegeben. Dabei hatte ich eine Scheißangst, dass ich mir fast in die Hosen gemacht hätte. Also, ich meine, wenn ich denn welche angehabt hätte.“

      Ich sog scharf die Luft ein.

      „Es soll darum gehen, wie man Ängste therapiert und ich finde es eine gute Sache, wenn man das Problem offen angeht.“

      Charly schmatzte auf seinem Kaugummi herum.

      „Hat meine Susi auch gemacht. Ich meine, als sie noch meine Susi war. Sie hatte Angst vor Spinnen. Sie hat das ganze Haus zusammengeschrien. Unglaublich. Gut, dass ich so selten zu Hause war. Ein klitzekleiner Schneider, weißt du, das Viech mit den ganz dünnen Beinchen und sie war gleich dem Herztod nahe. Ich musste die Tierchen immer töten, man durfte sie nie am Bein fassen und dann raustragen. Das reichte ihr nicht. Sie mussten tot sein.“

      „Hast du es nicht mal versucht, ihr zu zeigen, dass man vor Spinnen keine Angst haben muss?“

      Charly schüttelte sich.

      „Du wirst es nicht glauben, aber ich habe wirklich eine Desensibilisierung versucht. So nennt man das doch. Ich bin in eine Zoohandlung. Hab mal was für die transportiert, da kannte ich den Händler. Ich habe eine wunderschöne Vogelspinne