Anita Jurow-Janßen

Toxicus


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an Tiefkühlkost gewöhnt. Er wusste von einigen Freaks, dass deren Schlangen nur Lebendfleisch fraßen.

      Als er das erste Terrarium öffnete, hörte er ein hölzernes Knacken von draußen. Er sah zum Fenster und lauschte. Aber es war schon wieder mucksmäuschenstill. Ich glaube, ich leide unter Verfolgungswahn.

      Er verdrängte seine Befürchtungen und unterhielt sich mit seinen Schlangen. Das hatte ihn schon immer beruhigt. „Was meint ihr, meine Lieben? Soll ich bei dem Wettbewerb mitmachen?“ Die Schlangen interessierten sich ausschließlich für ihr Futter. Gierig verschlangen sie die Mäuse, die Lukas ihnen auf der Stange zureichte. „Ich sehe schon, ihr wollt euch nicht mit mir unterhalten. Ich muss wieder ganz allein eine Entscheidung treffen. Also ich denke, ich wäre verrückt, wenn ich diese Chance nicht nutzen würde. Auch wenn ihr dazu schweigt. Ganz gleich, was Christian Linley wirklich von mir will.“

       ***

      Sobald Lukas die Tür hinter sich geschlossen hatte, stand Chris Linley schnell auf und nahm seine Jacke mit den Autoschlüsseln aus dem Schrank. Er wollte endlich das wahr machen, was er schon lange vorgehabt hatte. Er würde Lukas verfolgen, um herauszubekommen, wo er sein Labor hatte. Mit dem Labor allein war Lukas’ Wissen nicht zu erklären. Es ging ja nicht nur um das Gift. Lukas’ enorme Kenntnis betraf Schlangen im Allgemeinen und überhaupt alles, was damit zusammenhing. Er vermutete, dass er eine Schlange besaß. Vielleicht sogar mehrere. Genau das wollte er jetzt herausbekommen. Aber während er Lukas hinterlief, fragte er sich einmal mehr, warum der aus einer Schlange so ein Geheimnis machte.

      Es war nicht schwierig, Lukas zu folgen, der sich nur langsam mit seinem kleinen Polo der Stadtgrenze näherte. Linley wunderte sich, dass Lukas’ Labor so weit außerhalb der Stadt lag, aber das würde ja seine Schlangentheorie nur bestätigen. Als Lukas in eine Einfahrt einbog, parkte Linley sein Auto an der Straße und verfolgte ihn zu Fuß. Es fing schon an zu dämmern und es würde nicht mehr lange dauern, bis es ganz dunkel wäre. Die Wolken hingen tief und es konnte jeden Moment anfangen zu regnen. Chris fröstelte. Er zog seine Schultern hoch und schlang die Arme um seinen Körper. Hoffentlich bleibt es trocken. Hätte ich doch wenigstens meine Regenjacke angezogen. Er sah sich die Häuser an, die düster die Straße säumten. Nur vereinzelt sah er Licht hinter den Fenstern. Wenn hier überhaupt jemand wohnte, handelte es sich sicherlich nicht um wohlhabende Leute. Von Weitem sah er einen hohen Schornstein. Er rätselte, was für eine Fabrik hier mal gestanden haben könnte. Hier war er noch nie gewesen. Überhaupt kannte er sich nicht gut in Oldenburg aus. Eigentlich hielt er sich immer nur am Uni-Campus oder in der Innenstadt auf. Einige Lokale und Discos waren ihm bekannt. Aber wenn er dort hinging war es immer schon dunkel und er ging auch selten allein. Meistens war Sybille an seiner Seite und er kümmerte sich nicht um den Weg.

      Jetzt war größte Vorsicht geboten, damit Lukas ihn nicht bemerkte. Außer ihnen war hier niemand unterwegs. Lukas hatte sein Fahrzeug verlassen und ging auf eine Baracke aus grauen Betonsteinen zu. Linley hielt großen Abstand. Lukas schien ihn nicht zu bemerken. Er schlich schnell und so leise wie möglich hinter ihm her und konnte sehen, wie Lukas über die Dachrinne der Baracke griff. Danach schloss er ein Vorhängeschloss auf.

      Super, jetzt weiß ich sogar, wo der Schlüssel liegt, freute sich Chris.

      Nachdem Lukas im Inneren der Baracke verschwunden war, lugte Chris durch das Fenster neben der Tür, konnte aber nur ein paar Sessel und ein Sofa erkennen. Dazwischen stand wahrscheinlich ein kleiner Tisch, der verdeckt wurde. Lukas legte seine Tasche auf einen Sessel und verschwand hinter einer Tür.

      Ich muss mir wohl ein anderes Fenster suchen. Chris ging um die Baracke herum und sah, dass ein Fenster erleuchtet war. Langsam ging er darauf zu, konnte aber nicht verhindern, dass das Gebüsch unter ihm knackte. „Autsch!“ Jetzt war er auch noch mit der Socke hängengeblieben. Dornen hatten sich in seinen Fuß gebohrt. Das tat verdammt weh. Er versuchte, mit der Hand die Dornen zu lösen, aber dabei verletzte er sich auch noch an der Hand. Er fluchte leise. Hoffentlich hatte Lukas ihn nicht gehört. Als er durch das Fenster blickte, stockte ihm der Atem. Das gibt es doch nicht. Was ist das denn? Das müssen ja mindestens zehn Terrarien sein. Lukas war im Nebenraum verschwunden und kam mit einem Eimer zurück. Offensichtlich wollte er die Schlangen füttern. Bevor er das erste Terrarium öffnete, sah er zum Fenster. Erschrocken duckte Linley sich. Sein Herz pochte laut vor Anspannung. Hatte Lukas ihn entdeckt? Dann konnte er niemals unerkannt von hier verschwinden. Er wartete eine Weile, die ihm unendlich erschien. Seine Beine schmerzten von der geduckten Haltung. Vorsichtig erhob er sich und lugte erneut ins Fenster. Lukas war mittlerweile beim dritten Terrarium angekommen. Er sprach mit den Schlangen, als wären es seine Freundinnen. So leise wie möglich schlich Linley sich davon. Als er in seinem Auto saß, bemerkte er, dass seine Hand blutete. Er sah sich auch den Fuß an. Auch in der Socke hatte sich ein kleiner Blutfleck gebildet. Zu Hause angekommen versorgte er sich mit Pflastern, nachdem er die Wunden ausgespült hatte. Es war verdammt spät geworden. Sybille würde sauer sein.

       ***

      Sybille Modrow saß vor dem Fernseher, war aber in Gedanken nicht bei dem Film, der seit fast einer Stunde lief. Sie ärgerte sich so über Christian, dass ihr böse Vorwürfe durch den Kopf gingen. Wo blieb er nur? Aber nicht nur der Ärger des heutigen Abends spukte durch ihren Kopf. Seit Weihnachten war sie sich ihrer Sache nicht mehr sicher. Christian hatte sich verändert. Genau genommen hatte sie es schon vorher bemerkt, aber Weihnachten war es offensichtlich geworden. Er wollte sie nicht mit nach London zu seinen Eltern nehmen und erfand fadenscheinige Ausreden. Das hatte eine schwere Krise bei ihr ausgelöst, die sie seitdem zu bekämpfen versuchte. Aber es wollte nicht so recht gelingen. In London war alles sehr harmonisch gewesen. Christians Eltern hatten sie sehr herzlich aufgenommen und ihr zu verstehen gegeben, dass sie sich sehr über einen Enkel freuen würden. Christian hatte nur laut gelacht, als sei es der abwegigste Gedanke überhaupt für ihn gewesen. Er hatte sie natürlich beruhigt, als sie ihn darauf angesprochen hatte, und sich alle Mühe gegeben, das wiedergutzumachen. Aber sie ließ sich nicht täuschen. Irgendetwas stimmte nicht. Sie war sogar schon so weit gegangen, ihn zu beschatten. War eine andere Frau im Spiel? Nachdem sie weit und breit keine andere entdecken konnte, gab sie das aber wieder auf. Es musste etwas anderes sein.

      Sie hörte die Eingangstür der Wohnung klappern. Christian hatte einen Schlüssel, sodass sie nicht aufzustehen brauchte. Er kam direkt auf sie zu und gab ihr einen herzlichen Kuss.

      „Tut mir leid, dass es so spät geworden ist, aber ich hatte noch in der Uni zu tun. Du weißt doch, das neue Projekt. Ich musste noch mit Lukas sprechen. Ich denke, er wird dabei sein. Vom Prof habe ich grünes Licht bekommen. Der war ganz begeistert. Ist ja klar. Das kommt der Uni schließlich zugute.“

      Sybille sah ihn prüfend an. Wenn er wenigstens nicht so gut aussehen würde.

      Sein schlanker Körper steckte stets in schicker Kleidung. Sein dunkles, welliges Haar war immer friseurgepflegt und es kam nie vor, dass er sich ungestylt vor ihr zeigte. Am meisten liebte sie seine dunkelbraunen Augen. Lange Wimpern, um die sie ihn immer wieder beneidete, umrahmten seinen sanften Blick.

      „Und dein Handy hattest du vergessen?“

      „Nein, aber ich dachte, es würde nicht so lange dauern. Und jetzt bin ich ja da.“

      Er hatte sich zu ihr aufs Sofa gesetzt und ihren Kopf auf seinen Schoß gezogen. Zärtlich küsste er ihr die Stirn. Sie spürte, dass er in Gedanken nicht bei ihr war.

       ***

      Sanne und Gilda machten sich zu Fuß auf den Weg zum Metro, das nur zehn Minuten von ihrer Wohnung entfernt war. Es war Samstag und sie wollten sich mal wieder so richtig austoben. Da war Techno genau das Richtige. Ben war auf einem Seminar in Süddeutschland und würde erst Sonntagabend zurückkommen. Obwohl Sanne Ben aufrichtig liebte, fand sie nichts dabei, sich ab und zu auch mal ohne ihn zu amüsieren. Ben mochte Techno überhaupt nicht und war nicht böse, wenn Sanne sich ab und zu mit Gilda im Metro vergnügte. Gilda liebte diese Musik über alles und war gleich Feuer und Flamme, als Sanne ihr eröffnete, dass sie mitkommen würde. Sie plapperte seitdem unaufhörlich von den verschiedenen DJs, die sie kannte, und Sanne hörte halbherzig zu,