Jasmin Schneider

Sag mal, Lara


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spielenden Kindern hinüber.

      »Jonas, bitte schau mich an!«, forderte Lara.

      Er tat es.

      »Was war mit dem Diktat?«

      »Der Andi«, begann er.

      »Dein Freund, der neben dir sitzt?«

      »Ja«, Jonas nickte, »der Andi hat was falsch geschrieben, ich habs gesehen.«

      »Und weiter?«

      Jonas schaute zu Boden als würde er die Steinchen auf dem Gehweg zu zählen. »Ich hab ihm gesagt, dass er es falsch geschrieben hat.« Sein Gesicht wurde dunkel.

      Als Lara nichts erwiderte, fuhr er fort: »Frau Kuhn hat das gemerkt und hat mir mein Heft weggenommen.«

      Laras Augen verengten sich. »Bitte?«

      Jonas nickte.

      Er war in der zweiten Klasse. Sicher hatte doch die Lehrerin Gnade vor Recht walten lassen. »Und dann hat sie es dir aber wieder gegeben?«

      Jonas kaute wieder an seinem Finger. »Ja«, antwortete er, »mit einer sechs drunter.«

      Es verschlug Lara die Sprache. Sie bemerkte den Kellner kaum, der ihr mit einem zickigen »Bitte!«, in seiner unsinnig absichtlichen Art den Eiskaffee auf den Tisch knallte.

      Ohne darüber nachzudenken, sprang sie auf und schrie ihn an. »Sagen Sie mal, haben Sie denn überhaupt keine Manieren?«, was ihr gleich darauf schon wieder leid tat.

      Von den Nachbartischen reckten sich einige Köpfe nach ihnen um, die Studenten nebenan kicherten.

      »Reg Dich ab, Trude Herr«, schnarrte der Schwule zurück und wies auf ihren bebenden Busen, »bei der ganzen Arbeit hier«, er beschrieb lässig einen Kreis um ihre Formen, »macht sonst noch die alte Pumpe schlapp!«

      Gelächter. Nur mit Mühe unterdrückte Lara den Wunsch ihm ins Gesicht zu schlagen. Stattdessen ging sie ruhig um den Tisch zu Jonas, bat ihn aufzustehen und machte Anstalten zu gehen.

      »Macht Sieben Sechzig, Verehrteste!«. Er hielt die Hand auf und sonnte sich in der allgemeinen Aufmerksamkeit.

      Lara nahm ihren Eiskaffee und stellte ihn darauf ab. »Bitte, stimmt so!«, entgegnete sie kalt und ging mit Jonas davon.

      Obwohl Sabine Kaiser wie gewöhnlich auf Knopfdruck lächelte, sprach ihre müde Miene Bände. Die brünetten Locken verlangten nach einer Generalüberholung, der Ansatz war weit raus gewachsen und legte einige wenige graue Haare frei. Vom üblichen Mahagonirot profitierten nur noch die Spitzen. Dazu trug sie einen ihrer vielen bunten Seidenschals, der ganz und gar nicht auf das rot gefleckte Kleid passte. Ebenso wenig die schwarzen Schuhe darunter.

      Sie saß an einem mit Akten übersäten Schreibtisch, der beim Betrachter den Eindruck eines unfruchtbaren Chaos hinterließ. Irgendwo dazwischen stand ein halb voller Kaffeebecher mit dem im Pop-Art-Stil aufbereiteten Bild eines Säuglings und der Aufschrift »I love Mom«. Sabine Kaisers schmale Hände tasteten danach wie die eines Junkies, griffen zu und kippten seinen Inhalt in die dafür vorgesehene Öffnung in ihrem Gesicht. Ein wenig ging daneben, was sie mit einer übertriebenen Reaktion unterstrich. Laut fluchend sprang sie vom Bürostuhl auf und hastete zu dem kleinen Waschbecken in der Ecke des düsteren Büros beim Jugendamt Pankow.

      »Glauben Sie mir, Frau Morgenstern, Kinder zu haben wird häufig überschätzt.« Sie kam mit einem feuchten Schwamm zum Tisch zurück, mit dem sie ungelenk kleine braune Flecke neben den großen roten auf ihrem Kleid betupfte.

      Lara hatte Mühe, ein Grinsen zu verbergen. Sie stand auf, nahm der Kaiser den viel zu nassen Schwamm aus der Hand und tauschte ihn gegen ein Blatt Küchenpapier aus, das sie neben dem Waschbecken entdeckt hatte. Doch gegen die braunen Flecke war auch sie machtlos. »Sie brauchen Schlaf, Frau Kaiser«, stellte Lara fest und setzte sich wieder hin. »Sie sollten einen Tag frei nehmen.«

      Sabine Kaiser war die Situation sichtlich peinlich. Sie seufzte. »Ach, das hat mit der Arbeit wenig zu tun«, dabei tat sie, als suche sie eine bestimmte Akte in den Bergen vor sich. »Es ist der Kleine, er bekommt gerade seine ersten Zähne.«

      »Wegen der Adoption…«, unterbrach Lara. Langsam wurde sie ungeduldig.

      Sabine Kaiser fing sich, setzte sich kerzengerade auf und fand auch das professionelle Lächeln wieder, für das sie bekannt war. »Ja richtig.« Sie blätterte in einer Akte. »Also in Ihrem Fall sieht es inzwischen wirklich sehr gut aus…«.

      Robert Altmann, ein mittelgroßer, breitschultriger Mann Ende Dreißig mit vollem Haar und grünblauen Augen, würde sich verspäten. Es war schlimm mit ihm. Er kam immer zu spät zu seinen Verabredungen mit der Frau neben seiner Frau. Gut, dass seine Geliebte sich heute um den kleinen Jungen dieses Flittchens kümmerte. Robert schien, als rege sie sich dann weniger auf.

      Gegen Acht klingelte er an ihrer Tür. Er besaß zwar Schlüssel für diese, ebenso wie für das äußere Tor und die schwere Metalltür des alten Backsteingebäudes, aber er mochte die Begrüßungszeremonie, die ihn erwartete, wenn er seine Schlüssel nicht benutzte.

      Er war etwas außer Atem, weil er die vierundachtzig Stufen wie jeden Donnerstag viel zu schnell hinauf gehechtet war. Meistens blieb er auf dem letzten Treppenabsatz noch einmal stehen, um Luft zu holen.

      Lara öffnete die Tür wie immer sehr weit, ihr Lächeln breit über das ganze Gesicht verteilt, und wartete. Er schluckte, sog das Bild ihrer korpulenten Schönheit in sich auf, und ging sehr langsam auf sie zu. Wenn sie ihre langweiligen Zweiteiler wie heute durch ein hübsches Kleid eintauschte, sah sie in ihrer üppigen Form einfach umwerfend aus.

      Laras Wangen glühten rosig, ihre Hände zupften abwechselnd an der komplizierten Hochsteckfrisur und dem Bund ihrer festen Strumpfhose. Robert wusste, sie zog ihren Bauch ein, bekam kaum noch Luft. Erst gleich – in seinen Armen – würde sie sich entspannen und ihr schönes weiches Fleisch an seinen Körper schmiegen.

      Sie küssten sich in der noch offenen Tür. Bis auf eine Wohneinheit in der zweiten Etage bestand der Rest des Gebäudes nur aus kleineren und größeren Büros, deren Mieter das Treppenhaus mit dem alten Lastenaufzug auf der anderen Seite benutzten. So konnte niemand ihre Intimität stören.

      Als sie endlich voneinander ablassen konnten, bewunderte Robert Laras Kleid. Es war feuerrot und erlaubte einen tiefen Einblick in ihr üppiges Dekolletee. Er lächelte und streichelte sanft die nussbraune Haut. Das blumige Parfüm, das er ihr zum Geburtstag im Frühling geschenkt hatte, rundete ihre Erscheinung perfekt ab.

      Lara bat um seine Jacke, hängte sie an die Bauhaus Garderobe im Vorraum und schwebte durch den runden Durchgang ins Wohnzimmer. Dort steuerte sie die Hausbar hinter einer der zahllosen Türen des Systemschranks an. Während sie zwei Gläser mit schon bereitstehendem Eis füllte, erkundigte sie sich nach seinem Tag. Robert bemerkte den leisen Vorwurf in ihrer Stimme, und seine Miene verfinsterte sich für einen Augenblick.

      »Es gab wirklich viel zu tun«, erklärte er ausweichend, sah ihr zu, wie sie in eines der Gläser eine Olive, in das andere eine Zitronenscheibe gab, »lass uns von was anderem reden, ja!?«. Er küsste sanft die Rundung, wo ihr Hals ganz weich in die rechte Schulter überging und freute sich über den wohligen Schauer, den er auf ihrer Haut sehen konnte. Sie gab sich jedoch Mühe, keine Reaktion zu zeigen. Enttäuscht sank Robert aufs Sofa.

      Die hellgrünen, durchscheinenden Rollos vor den Panoramafenstern, durch die man die sicherlich 30 Quadratmeter große Terrasse betreten konnte, waren gerade so weit herunter gelassen, dass die Abendsonne ihn nicht blendete. Wieso war alles an dieser Frau so perfekt? Wieso musste er ihr weh tun? Er fühlte sich schuldig. Donnerstag war doch der einzige Tag, an dem seine Frau bis gut 23 Uhr mit dieser therapeutischen Pilates Gruppe beschäftigt war!

      Als Lara sich schließlich zu ihm umdrehte, lächelte sie wieder – wenn auch etwas angespannt. Sie reichte ihm einen trockenen Martini, sich selber schenkte sie die süßere Variante ein.

      »Es tut mir leid«, sagte er kleinlaut und nahm einen großen Schluck.

      Lara