Jasmin Schneider

Sag mal, Lara


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arbeitete mehr als zwei Stunden, als es plötzlich klingelte. Zerzaust und selbst einem ihrer Gemälde ähnelnd, lief sie aus dem Atelier und durch das Wohnzimmer zur Wechselsprechanlage. Unten meldete sich niemand, dafür klopfte jemand an die Tür.

      Es war Robert – im Trainingsanzug. »Überraschung!«, jubelte er, küsste sie flüchtig und zog sie ins Schlafzimmer. »Wir müssen uns beeilen, sie glaubt, ich jogge.«

      Lara hasste solche Besuche. Sie trugen nur dazu bei, dass er sich hinterher besser, sie sich dafür aber noch einsamer fühlte.

      Bei einem seiner letzten Besuche dieser Art – es war an einem Wochentag vor etwa zwei Monaten – hatte er außerdem etwas getan, was Lara nachhaltig erschreckte. Nach vollbrachter Mission eröffnete er pfeifend, er habe den dritten Hinterhof von den Fahrrädern befreit, die sonst immer den Eingang zu Laras Aufgang blockierten.

      Lara erinnerte sich, wie ihr unter der Dusche schwarz vor Augen wurde. Sie wollte gar nicht so genau wissen, was Robert getan hatte, fragte aber dennoch, wie genau er das angestellt hatte.

      Robert legte ihr fürsorglich ein großes Badetuch um die Schultern, nachdem sie das Wasser in der Dusche abgestellt hatte. Erst dann lachte er unangenehm auf, schnippte mit den Fingern und meinte: »Na einfach so halt«, und ließ seinen rechten Arm durch die Luft segeln.

      Durch zehn Minuten Zärtlichkeiten hatte sie sich danach noch quälen müssen, bis er endlich gegangen war und sie sich hinunter in den Hof schleichen konnte. Darauf bedacht, nicht gesehen zu werden, glitt sie leise an der Wand vorbei und spähte mit angehaltenem Atem in die Hofeinfahrt. Es war tatsächlich kein Fahrrad mehr zu sehen. Sie pirschte weiter und schaute um die nächste Ecke. Und da lagen sie. Zu einem Berg gestapelt. Die Tat eines Wahnsinnigen!

      Laras Herz war kurz vor einen Stillstand. Schuld an dieser niederträchtigen Rache war doch sie allein! Hatte sie sich nicht bei ihm darüber beschwert, dass Nachbarn und vor allem die Angestellten aus den Büros ihre Fahrräder ohne Sinn und Verstand vor ihrem Eingang abstellten? Ganz so als sei sie überhaupt nicht da? Hatte sie sich nicht darüber so aufgeregt, dass sie schließlich geweint hat?

      Mehr mit dieser Erinnerung als mit Robert beschäftigt, brachte sie den Akt hinter sich, den sie heute trotz allem besonders befriedigend empfand. Hinterher schämte sie sich dafür, aber das war nichts Neues. Sie musste bloß noch mal kurz in die Wanne und alles wäre wieder in bester Ordnung.

      »Woran denkst du?«. Den nackten Oberkörper auf einen Ellenbogen gestützt, sah Robert sie zärtlich an.

      »An nichts«, log sie und wollte aufstehen.

      Er hielt sie am Arm fest und zog sie wieder zu sich. »Du hast abgenommen, weißt du das?«

      Lara lächelte. »Findest du?«

      »Finde ich. Seit der Sache mit den Fahrrädern.«

      Konnte er Gedanken lesen? Sie wurde rot.

      Er küsste sie sanft. »Leider muss ich jetzt wieder los.«

      Sie nickte, schaute geduldig zu, wie er sich anzog.

      »Hat dich eigentlich mal jemand auf die Sache angesprochen?«

      »Die Sache mit den Rädern? Nein.« Endlich fand sie Gelegenheit, aus dem Bett zu kriechen und ins Bad zu schlüpfen. »Soweit ich weiß, verdächtigen sie den Journalisten aus dem zweiten Stock«, informierte sie ihn auf dem Weg.

      »Den Alki?«, Robert lachte gehässig – und verschwand.

      Ein Telefon klingelte. Nein, eigentlich war es kein Klingeln, es glich mehr einem Jaulen. Es war als dränge die scharfe Klinge eines Messers in einen Klumpen Watte ein. Und wieder… und wieder… und wieder. In ihrem Kopf klopfte es, die Funken in den geschlossenen Augen tanzten. Ihr war schlecht, der Geschmack im Mund wenig verheißungsvoll. Carla Morgenstern hoffte nur, ihr Kopf möge nicht zerplatzen.

      Langsam erhob sie sich, das Gesicht verzerrt wie nach einem schrecklichen Unfall. Hatte sie vergessen, den Anrufbeantworter einzuschalten? Ihr schwindelte und Speichel schoss in ihren trockenen Mund. Wenn sie diese Pfütze hinunterschluckte, musste sie kotzen.

      Carla war nackt. Ihr ausgemergelter Körper hing grau und faltig an ihrem Hals, kaum die Kraft wert, sich aufzurichten. Sie tastete nach dem Glas auf ihrem Nachttisch und spie den abgestandenen Speichel hinein. Angewidert beobachtete sie, wie er sich mit dem Rotweinrest vermischte.

      Wo war dieser beschissene Hörer? Sie schaute sich blinzelnd um. Ein paar Meter vom Bett entfernt, lag er auf der Erde. Ihr war wirklich hundeelend. Das Karussell in ihrem Magen erreichte gleich seinen Höhepunkt. Wenn es nur nicht aus ihr herausbrach, dann war alles gut. Man musste nur die ersten zehn Minuten des Tages überstehen, den Rest schaffte man dann irgendwie.

      Sie glitt vorsichtig zu Boden, wo sie auf allen vieren in die Richtung des Telefonterrors kroch. Ihre knochige rechte Hand mit den langen, gepflegten Fingernägeln, ergriff das Mobilteil. Carla ließ sich seitlich fallen.

      »Morgenstern«, raunte sie unfreundlich.

      »Hallo Mama«, antwortete es kaum hörbar. Räuspern. Noch ein Räuspern.

      »Lara«, stellte Carla fest und verfluchte ihre Stimme. Sie klang wie ein Reibeisen. Die Stimme einer alternden Bardame. Und so kalt, dass es sie selbst fröstelte.

      »Ja.«

      Stille.

      Carla Morgenstern erhob sich langsam vom Boden. Sie wollte sich aufsetzen, aber ihr wurde schwarz vor Augen und sie fiel wieder zurück. Dabei knallte ihr Kopf auf etwas, das am Boden lag. Sie fluchte laut in Italienisch, ihrer Muttersprache.

      »Was ist passiert?«

      Carla war nicht nach Antworten, sie rollte auf den Bauch und kam mithilfe ihres freien Arms zum sitzen. Sie musste mal.

      »Hallo?«

      »Ja doch!«, schon wieder so unfreundlich.

      Mühsam kam sie auf die Füße. Nur nicht auf den rebellierenden Kreislauf achten, das Vakuum im Kopf ignorieren, den Schmerz unter ihren Zehen… einfach nur aufstellen und tief atmen.

      »Mama?«

      »Jaja«, sagte Carla nun ein wenig milder, wie sie fand.

      Sie versuchte sogar zu lächeln, was aber nicht gelang, als sie einen Blick auf ihren nackten Körper im Spiegel gegenüber erhaschte. Carla hasste Spiegel.

      »Mama, was ist nun?«

      »Ich habe mir Geld vom Geschäftskonto überwiesen«, antwortete Carla auf dem Weg ins Badezimmer, »mein Auto.« Drüben roch es sauer. Offenbar war sie schon einmal hier gewesen.

      »Tatsächlich…«, Laras Stimme klang nicht im geringsten vorwurfsvoll, trotzdem ärgerte sich Carla.

      »Es ist auch mein Geld«, schnappte sie gereizt. Wenn sie sich ärgerte, hörte man auch heute noch ihren italienischen Akzent. Sie mochte das.

      Dann setzte sie ihren nackten Körper auf die Toilette, wo sie in aller Ruhe ihre Blase entleerte. Ja, das hasste ihre Tochter! Und Carla grinste verschlagen.

      »Mama«, Lara sprach nicht weiter. Man konnte ihre Scham aus dem Hörer kriechen sehen.

      Ganz das Verhalten der Morgensterns, dachte Carla verächtlich und sah ihre Schwiegermutter Lieselotte vor sich. Groß, hager, fast burschikos, lange schmale Finger, honigfarbenes, wassergewelltes Haar, blaue Augen – eine typische Preußin, penibel zurecht gemacht und von allem Menschlichen peinlich berührt. Lara mochte etwa vier mal Lottes Umfang haben, aber diese Art der Morgensterns, die konnte sie nicht wegessen.

      »Ja bitte?«, näselte Carla theatralisch und zog den Abzug, »wie meinen?«, dann lachte sie scharf, doch als sie daran war, den Hörer an den Nachlauf zu halten, tat es ihr plötzlich leid so schäbig zu sein.

      »Ach Scheiße, Lara, entschuldige«, hastig rannte sie aus dem Bad hinaus auf den Korridor. »Ich brauche neue Reifen für den Winter, muss zur Inspektion, das Übliche halt.«

      »Schon,