Jasmin Schneider

Sag mal, Lara


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nicht zu deinem Leben, Robert«.

      Um nicht darauf einzugehen, nahm er ihr Glas, stellte es zu seinem auf den Tisch und versuchte sie mit Küssen abzulenken. Er wusste ja selbst nicht, wie man das Problem lösen sollte. Simone und Lara zusammen ergaben die perfekte Frau für ihn, nur konnte er das den beiden schlecht erklären.

      Lara bemühte sich nach Kräften, ihren Ärger zu unterdrücken. Nicht nur seine Verspätung brachte sie auf die Palme, es war seine Ignoranz ihren Wünschen gegenüber. Das schöne Essen, das sie mit Jonas vorbereitet hatte, wollte sie am liebsten nicht mehr mit Robert teilen. Dabei hatte sie den Nachmittag damit zugebracht Schmetterlinge aus Zuckermelone auszuschneiden, die sie später auf einem Bett aus Ruccola mit Pinienkernen und einem Klecks Himbeerbalsamico anrichten würde. Jonas Hilfe hatte übrigens darin bestanden, die überflüssigen Schnitze zu verzehren und als es keine mehr gab, sich über einige der Schmetterlinge herzumachen. Nur drei von ihnen hatte sie retten können, zwei für Robert, einen für sich. Die Erinnerung entspannte sie und sie gab Roberts Küssen nach.

      Wenig später machte er Musik, während sie das Essen auftrug. Sie redeten ganz unverfänglich über die CD- Neuerscheinungen der letzten Woche, Robert bewunderte wie üblich ihren Geschmack und versprach, sich diese oder jene Sängerin einmal genauer anzuhören. Lara wusste ganz genau, dass er das nicht tun würde, freute sich aber über seine Bemühungen, den Rest des Abend angenehm zu gestalten.

      Nach dem Essen überraschte er sie mit seiner Frage nach dem Stand der Adoption. Ihr stand der Mund offen.

      »Was ist?«, fragte er und wandte sich wieder der Wand mit den Musik-CDs zu.

      »Ich wundere mich nur über deine Frage«, stellte Lara perplex fest. Sie biss sich auf die Lippe. Ihre Kinderwunschpläne führten üblicherweise zu schlechter Stimmung.

      Robert schob die Hände in die Taschen, ohne sich nach ihr umzusehen. »Du weißt, was ich davon halte.« Er räusperte sich.

      »Ich werde nicht kinderlos sterben«, erklärte sie seinem Rücken.

      Exkurs II: Junkie

      [aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie]; http://de.wikipedia.org/wiki/Junkie

      Als Junkie [?d???ki] (von engl. junk = Müll, Abfall) wird umgangssprachlich ein Mensch bezeichnet, der im fortgeschrittenen Stadium drogenabhängig ist.

      Der Begriff bezeichnet weniger sozial unauffällige Süchtige als vielmehr stark von ihrem Drogenkonsum gezeichnete Süchtige. Das typische Erscheinungsbild eines Junkies ist oft geprägt von starker Gewichtsabnahme, begleitet von allgemeiner Verwahrlosung des äußeren Erscheinungsbildes und der inneren Gefühls- und Gedankenwelt. Eine zusätzliche Belastung erfolgt auch durch Strafverfolgung und Verunreinigung der häufig aus dubioser Quelle bezogenen Drogen, aber auch durch deren psychische und physische Auswirkungen selbst.

      Die Beschaffung von Rauschmitteln (zum Beispiel Heroin oder das aus dem Kokain gewonnene Crack) nimmt für einen Junkie oft die höchste Priorität im täglichen Leben ein. Junkies begehen dadurch oft Straftaten (Beschaffungskriminalität) oder prostituieren sich, um ihren Drogenkonsum zu finanzieren. Sucht und Kriminalität haben gravierende Folgen, beispielsweise soziale Entwurzelung; viele Junkies verkehren nur noch in der Drogenszene. Viele Langzeitabhängige leiden unter verschiedenen gesundheitlichen Problemen, dazu gehören Abszesse an Einstichstellen, neurologische Störungen und Infektionen (beispielsweise Hepatitis C oder AIDS). Neben der Infektionsquelle Geschlechtsverkehr (Prostitution) ist auch durch die gemeinsame Nutzung von Spritzen mit anderen Junkies die Übertragung von Infektionskrankheiten möglich.

      Jackie Baehr wurde dieses Jahr im Dezember zweiundzwanzig. Danach würde sie endgültig aus dem Programm ausscheiden, daran gab es nichts zu rütteln. Bald könnte sie alles tun, was sie wollte. Zumindest fast alles, denn da war ja noch Jonnie. Aber in zwei oder drei Jahren konnte man den auch schon mal allein lassen.

      Momentan störte aber nach wie vor die Alte vom Jugendamt Jackies Träume. Wie ein Bluthund wachte Sabine Kaiser darüber, dass Jackie auch ja keinen Spaß am Leben hatte. Nicht genug, dass sie und Jonnie jeden Montag diese alberne Gruppe besuchen mussten, nein! Einmal im Monat musste Jackie auch noch in ein Röhrchen pinkeln. Wenn die Schweine einen akuten Verdacht hatten, zapften sie ihr sogar Blut ab. Es war echt wie im Mittelalter oder so.

      »Wenn du nicht reich bist, behandeln die dich wie einen Sklaven«, hatte Daniel damals schon immer gesagt. Daniel war der heißeste Jonnie-Vater-Anwärter. »Kaum hammse dich aufm Kieker und schon musste innen Röhrchen schiffen.«

      Er hatte Recht behalten. Aber Daniel war ja sowieso super intelligent gewesen. Was der alles gelesen hatte! Solschenizyn, Karl Jaspers, Jim Morrison und so. Jackie war sich immer ganz blöd bei ihm vorgekommen, aber er hat sie nie aufgezogen deshalb.

      »Bist ja noch jung, Kleine«, hat er immer gesagt und sie in den Arm genommen.

      Überhaupt war Daniel so ganz anders als alle Jungs, die Jackie bis dahin kennengelernt hatte. Nicht gerade stark, dafür aber so zärtlich, dass ihr immer ganz anders wurde, wenn er sie berührte. Damals, in der Kurfürstenstraße, haben sie alle Mädels um ihn beneidet. Jeden Abend hat er sie dort abgeholt und zu einem Döner eingeladen. Dabei hat er ihr seine Gedichte vorgelesen und gesagt, sie sei zu gut für die Arbeit, die sie da machte. Aber sie brauchte eben das Geld. Geile, alte Böcke gab es wie Sand am Meer und Jackie war immerhin selbständig.

      Das leuchtete Daniel ein. »Echte Künstler gehen auch erst mal durch die Scheiße«, war seine Antwort und Jackie fühlte sich verstanden. »Nur so finden sie die Erleuchtung!«

      Später erweiterte Daniel seinen Horizont am liebsten mit Speedball, einer Mischung aus Koks und Heroin. Das Zeug wurde gespritzt, weshalb er es anfangs auch nicht so häufig tun wollte. »Wenn du erst mal auf dem Zeug drauf bist«, hatte er gesagt, »ist alles zu spät, Jack, dann kaschen sie dich und das Spiel ist aus.«

      Auch da hatte Daniel Recht behalten. Er war losgezogen, um ihnen beiden einen Schuss zu besorgen, als das Abbruchhaus in der Köpenicker gestürmt wurde. Jackie konnte nicht mehr abhauen, weil sie so sehr was brauchte. Sie brachten sie in eine Entzugsklinik und erklärten ihr hinterher, sie sei schwanger.

      Die Kaiser hatte ihr angeboten, das Baby zur Adoption frei zu geben. Aber da Jonnie das Einzige war, das Jackie von Daniel geblieben war, entschied sie sich clean zu bleiben. Und so steckte man sie zusammen mit dem Jungen in ein Mutter-Kind-Programm. Bis zu ihrem achtzehnten Geburtstag lebte Jackie mit anderen jungen Müttern und deren Kindern auf einer Art Bauernhof in der Lausitz, wo sie alle Frondienst leisten mussten und lernten, wie man Kinder erzieht.

      Jonnie war einfach zu erziehen gewesen, er war schon immer ziemlich still. Aber er wuchs von Anfang an nicht richtig. Außerdem war er total oft krank. Die Ärzte führten seine schlechte Konstitution natürlich auf Jackies Drogenkonsum zurück. Angeblich hätte ja auch das Kind den Entzug mitgemacht, hieß es, so ein Esokram von der Jugendamtsfraktion halt.

      Daniels Teddyaugen hatte Jonnie leider nicht geerbt. Er hatte typische Baehr-Augen. So leicht hervortretende Murmeln, die in einer Art Hauttasche steckten und wie durch ein Wunder nicht heraus fielen. Wenn Jonnie sie bewegte, zuckte der Hautsack um die Murmeln und das sah dann aus wie bei einem Gecko. Und Geckos fand Jackie unheimlich süß.

      Der Grund, aus dem Lara Morgenstern es an diesem Samstag schaffte, bis um acht im Bett zu bleiben, lag auf der Hand. Sie hatte nicht die geringste Lust, den Anruf zu tätigen, der heute anstand. Um ihn weiter hinaus zu zögern, stand sie auf und begann mit ihrer Morgenroutine: Rechner starten, den Kaffeeautomaten einschalten und während die Technik ihre Arbeit verrichtete, duschen. Doch anstatt wie wochentags Emails zu beantworten, verschwand sie mit ihrem Kaffee und nassem Haar im Atelier.

      Eines ihrer so genannten Schichtenbilder war inzwischen so weit getrocknet, dass sie weiter daran arbeiten konnte. Alle ihre Werke, darunter auch Plastiken, bestanden aus Schichten. Schichten, die sie zerschnitt, zerwühlte, filigran frei legte oder aus denen sie mit bloßen Händen Stücke herausriss.