Peter Citti

Virus des Grauens


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hatte ihnen der Kellner auch gleich für den Patienten dagelassen, und der Kaffee ging auf Kosten des Hauses.

      Oscar und seine Freundin waren sich sicher, einen guten Deal gemacht zu haben. Das Buch war zwar ziemlich schwer, aber sie wollten ohnehin nicht zum Krampuslauf gehen, das wäre alles viel zu beschwerlich für Oscar, und seine Freundin legte keinen besonderen Wert darauf, die Rute zu spüren.

      Sie bleiben noch einige Zeit in der Pizzeria und kehrten dann in die Klinik zurück. Sie gingen jedoch nicht sofort auf die Station, sondern genehmigten sich noch einen Fruchtsaftmix in einem Café auf dem Krankenhausgelände.

      Danach verabschiedeten sie sich mit einem langen Kuss. Es sollte der letzte gewesen sein.

      Knapp vor 18 Uhr erreichte Oscar die Station und fand Pedro beim Abendessen, der hocherfreut den Bestseller entgegennahm, sofort die Verschweißung aufriss und ein paar Seiten in dem Buch las. Oscar sagte, wie er sich über das Buch freue, das soeben einen wichtigen Literaturpreis in Spanien gewonnen habe.

      Mit etwas Verspätung tauchte der Rapper Fred in der Station auf, seiner Meinung nach sei der heurige Krampuslauf totaler Mist, und deshalb sei er früher als sonst gegangen. Er gab Pedro das Sachbuch über die Geschichte des spanischen Kinos, auch darüber freute sich Pedro wieder überschwänglich, sofort hielt er einen kleinen Vortrag über die Wichtigkeit der spanischen Filmgeschichte. Was natürlich niemandem interessierte.

      Umgekehrt erkundigte sich Pedro nicht, wer ihm die Bücher besorgt und ins Krankenhaus geschickt hatte.

      Sehr wohl wurde die Buchübergabe in der Pizzeria von dem Friseurlehrling Steffi und ihrer Freundin, der Ergotherapeutin Maria, beobachtet, die das Lokal als Treffpunkt vor dem Krampuslauf vereinbart hatten. Sie grüßten Oscar samt Freundin – ein großes Lächeln, was zu einem kleinen Eifersuchtsanfall von Oscars Freundin führte.

      „Was sind das für Weiber?“, fragte die Freundin.

      „Die eine arbeitet im Friseursalon, die andere ist meine Ergotherapeutin“, antwortete Oscar. Insgeheim freute er sich über die unberechtigte Eifersucht seiner Freundin und darüber, dass er für andere Mädchen attraktiv war.

      „Woher kennst du ihn?“, fragte Steffi ihre Freundin.

      „Er ist bei uns auf der Station und macht bei mir Ergo. Er nennt mich den ‚Engel‘“, antwortete Maria.

      „Unglaublich, den ‚Engel‘“, antwortete Steffi eifersüchtig, „das hat noch keiner zu mir gesagt!“

      „Und woher kennst du ihn?“, fragte Maria.

      „Ganz einfach, er war heute im Salon, aber er hat mich keines Blickes gewürdigt, nur sein Freund hat etwas Nettes zu mir gesagt, aber der ist keiner von hier“, sagte Steffi.

      „Der ist Spanier“, antwortete Maria.

      „Woher weißt du das schon wieder?“, fragte Steffi.

      „Er ist auch bei uns auf der Station. Aber mach dir nicht zu viel aus seinen Komplimenten“, sagte Maria.

      „Wieso nicht? Er ist der einzige Mann mit Manieren in diesem Nest“, sagte Steffi.

      „Er ist auch der Verrückteste von allen“, sagte Maria.

      „Wieso?“

      „Er ist ein total Irrer“, sagte Maria.

      „Schade, zu schade, es wäre doch zu schön gewesen, endlich einen echten Latin Lover kennenlernen zu können“, sagte Steffi.

      „Spinnst du?“, fragte Maria giftig.

      „Wieso?“

      „Er ist Mitte dreißig, und du bist süße siebzehn“, antwortete Maria und gab Steffi einen Klaps auf den Po.

      „Aua! Hey, was soll das!“, schrie Steffi beleidigt.

      „So einer wie dir gehört der Hintern versohlt“, sagte Maria.

      „Wieso? Ich bin jung, ich bin schön, ich will Sex, niemand kann mich daran hindern. Okay?“, sagte Steffi.

      Die Mädels lachten und bestellten Prosecco zum Auftakt des Abends, Maria gönnte ihrer lasterhaften Freundin den Krampus.

      Der Kellner brachte Oscar das Buch und beschwatzte ihn, es für Pedro in die Klinik mitzunehmen. Oscar akzeptierte den Freundschaftsdienst.

      Der Kellner kam zur Theke zurück.

      „Was war das für eine Aktion?“, fragte Steffi.

      „Ein Buch für einen spanischen Patienten von euch“, antwortete der Kellner.

      „Und wieso geht der Buchspender nicht gleich in die Station und bringt es seinem Kumpel selbst?“, fragte Steffi.

      „Keine Ahnung, der Typ hat mir jedenfalls einen Zwanziger gegeben, damit ich einen finde, der dem Spanier das Buch bringt, und Oscar ist mit dem Spanier im selben Zimmer, damit war die Sache geritzt“, antwortete der Kellner und servierte den Girls den Prosecco.

      Irgendwie wunderte sich Steffi in diesem Moment über die Passivität ihrer Freundin, die sich an der Diskussion über die seltsamen Umwege der Buchlieferung ins Krankenhaus überhaupt nicht beteiligte; normalerweise hätte die geschwätzige Maria auch Fragen und Vermutungen angestellt, heute jedoch sagte sie nichts, kein Wort. Im Gegenteil.

      Maria schien eher irgendwie nervös über irgendetwas zu sein, was diesen geheimnisvollen spanischen Charmeur betraf, der angeblich ein totaler Irrer sein sollte, den sie jedoch vor ein paar Stunden im Friseursalon als wirklich sympathischen Kerl erlebt hatte, mit dem sie sofort ins Bett gehen würde.

      Und was hatte Maria mit der Sache zu tun?

      Irgendetwas stimmte mit dieser Geschichte nicht. Irgendetwas war faul an der Sache, aber sie wusste nicht, wie und wo sie den Hebel ansetzen sollte, um Licht in die Sache zu bringen. So beschloss Steffi, die Angelegenheit heute einfach vom Krampus regeln zu lassen. Im richtigen Moment würde sie ihre verschwiegene Freundin in die Fänge des Krampusses stoßen, der ihr mit einer gehörigen Tracht Prügel aufs Hinterteil die Lügerei austreiben würde.

      Was soll’s. Maria würde ihrerseits den Krampus auf sie hetzen, um ihr die Lüste auszutreiben. Sie wären also quitt.

      Die Girls aßen noch eine Pizza für zwei, um eine Unterlage für das heutige Saufgelage zu haben, dann verließen sie die Pizzeria und schlenderten in die Innenstadt, um beim Start des offiziellen Krampuslaufs dabei zu sein.

      Im Zimmer 2 überschlug Pedro die ersten Seiten der beiden dickleibigen Bücher und sah auf den eigentlichen Inhalt der Bände. In das Buch über die Geschichte des spanischen Kinos war sorgfältig ein Rechteck ausgeschnitten worden, in dem vier geladene Pistolenmagazine und ein Schalldämpfer lagen. Er legte das Buch in die Schublade zurück und schlug den aktuellen 900-seitigen Bestseller auf, der nach demselben Modus präpariert war: In dem Buch lag eine Star Modell B, 9 mm Para, die Dienstwaffe der Guardia Civil, sie war gebraucht, eingeschossen, frisch geölt und zum Einsatz bereit.

      Pedro legte das Buch mit der Waffe in die Schublade und machte es sich auf seinem Bett bequem. Er sah auf seinem Handy online den Sender „24 Horas“ , der rund um die Uhr Nachrichten aus der spanischen Welt sendete, und wartete auf neue Anweisungen. Er wusste, dass das Team unter dem Kommando von General José Millán-Astray angekommen war und einsatzbereit in der Stadt auf den Befehl zum Losschlagen wartete.

      Die Nachtschwester kam und brachte die Medikamente für die Nacht, alle waren im Zimmer, außer diesem Säufer. Pedro verachtete den Mann als Loco und Alkoholiker, der selbst hier in der Klinik noch weitertrank. Bueno, in Spanien hätte man so ein Wrack wie dieses längst aus der Klinik gejagt, aber hier befanden sie sich in einem anderen Land, mit völlig anderen Gesetzen. Vale, selbst unter normalen Zuständen würde sich der Musiker Joe zu Tode trinken, er behauptete, selbst schon den Teufel gesehen zu haben. Bueno, Joes Drang zur Selbstzerstörung konnte heute Nacht sehr schnell beendet werden.

      Pedro schluckte die Abendmedikamente nicht.

      Er