Peter Citti

Virus des Grauens


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Mann, der sich Oscar nannte und den er eigentlich mochte, schlief sofort ein; der Rapper, den er für einen drogensüchtigen Freak hielt, ging aus dem Zimmer, um im Freien eine Zigarette zu rauchen. Pedro stellte ihm das Wasserglas hin; wenn er davon trank, würde er ebenfalls sofort einschlafen. Blieb noch dieser Idiot von einem Musiker, wer weiß, wann der aufkreuzen würde, aber der war unwichtig für die Operation, die er und sein Team auszuführen hatten.

      Pedro sah auf die Uhr, es waren noch vier Stunden bis zum Beginn seines Einsatzes um Punkt Mitternacht. Bis dahin würde der Säufer wieder zurück sein, es war eine todsichere Sache.

      3. Es wird ernst

      In der Villacher Innenstadt war die erste Runde des Krampuslaufs ohne nennenswerte Zwischenfälle zu Ende gegangen. Die Familien mit Kindern gingen jetzt nach Hause, die Angsthasen verzogen sich von den engen Gassen in die Lokale, doch die echten Krampusfans rotteten sich jetzt in der Villacher Altstadt zusammen, dort, wo die Gassen zu eng für die Absperrgitter waren, dort, wo der Alkohol unkontrolliert floss; dort, wo der Punsch mit 80-prozentigem Rum gebraut wurde und kein Tropfen Tee den Glühwein verwässerte; dort, wo es den ersten echten Jagertee der Saison zu trinken gab, der aus heißem Schnaps gemacht wurde. Die Krampusse der teilnehmenden Gruppen löschten die Hitze unter den Fellen und den Masken mit eiskaltem Bier.

      Böllerschüsse krachten, gleich würde der zweite Durchgang des Krampuslaufs beginnen. Gleich würden die ersten Fetzen fliegen, gleich würden sich die ersten Raufbolde mit dem Krampus messen, gleich würden die ersten offenen Rechnungen beglichen werden.

      Unter der schwer angetrunkenen Menge in der Villacher Altstadt waren die mutigen Villacher Mädchen, die auf einen von ihren Freunden, Verehrern und Liebhabern verabreichten heißen Hosenboden warteten, lüstern, die heutige Nacht mit einer ordentlichen Portion Sex zu krönen. Zu dieser Sorte Mädchen gehörten die Friseurin Steffi und ihre Freundin Maria, Ergotherapeutin im Landeskrankenhaus Villach.

      Mit Krampusfellen und Krampusmasken tarnten sich auch die Gehörnten und die Versetzten, die heute Nacht mit den Villacher Mädchen abrechnen wollten, und diese Krampusse waren die wildesten von allen.

      Und noch eine Gruppe von entfesselten Trunkenbolden sorgte in dieser Nacht in den engen Gassen von Villach für Wirbel. Es waren die Krampusfans aus dem nahen Friaul, für die die Saufgelage in der Stadt Villach so etwas wie Heimspiele waren. Drei wichtige Termine gab es für die Tifosi: den Villacher Fasching, den Villacher Kirchtag und den großen Villacher Krampuslauf. Als jämmerlicher Idiot wurde der verspottet, der an diesen Fixpunkten im Jahr keinen Vollrausch hatte.

      In der Menge waren aber auch zwei Beamte in Zivil der italienischen Carabinieri, die für das Krampuswochenende der Villacher Polizei zur Unterstützung zugeteilt worden waren, um die Krampusgruppen aus dem Friaul und deren Fans wohlwollend, aber genau im Visier zu behalten. Es handelte sich um die Oberinspektorin Clara Malverde, genannt „das Flintenweib“, und den Brigadiere Emilio Gadda.

      Weitere Böllerschüsse krachten. Bengalische Feuer wurden entzündet. Rauchschwaden zogen durch die engen Gassen. Kuhglocken läuteten. Die erste Krampusgruppe kam vom Sammelplatz vor dem Rathaus durch die enge Gasse herunter.

      4. Das grässliche Geschrei

      In der Station der halboffenen Psychiatrie wurde die Nachtruhe durch grässliches Geschrei gestört. Eine uralte Frauenstimme beschwörte den Heiligen Johannes und rief nach der Heiligen Maria Mutter Gottes! An Schlaf war nicht mehr zu denken. Auch die vier Patienten im Zimmer 2 wurden trotz starker Medikamente geweckt. Als erster war Rapper Fred an der Tür und sah auf den Gang hinaus.

      „Was ist?“, fragte Pedro, der als einziger keine Medikamente genommen hatte.

      „Eine uralte Frau liegt am Gang und schreit ununterbrochen, neben ihr steht die Polizei“, antwortete Rapper Fred.

      „Puta madre, ¿por qué la puta Poli?“, fragte Pedro.

      „Was?“, fragte Rapper Fred, der kein Wort Spanisch verstand.

      „Wieso die verdammte Polizei?“, fragte Pedro.

      „Keine Ahnung“, sagte Rapper Fred.

      „Das ist eine Zwangseinweisung“, sagte Oscar.

      „Zwangseinweisung? Was ist das?“ fragte Pedro.

      „Wenn jemand gemeingefährlich ist oder einen Selbstmordversuch begangen hat, wird er zwangsweise in die Psychiatrie eingewiesen“, antwortete Oscar.

      „¡Hostia!“, fluchte Pedro.

      „Seid mal still, vielleicht können wir was hören“, sagte Rapper Fred.

      Die Zimmertür stand einen Spalt breit offen.

      Eine Ärztin sprach mit der Polizei und der Ambulanz: „Wie glaubwürdig ist die Geschichte, dass die Patientin ihre Umgebung verflucht haben soll und daraufhin Feuer vom Himmel fiel?“

      „Keine Ahnung. Zeugen haben das zu Protokoll gegeben, und in einem Wohnhaus ist tatsächlich Feuer ausgebrochen. Seither ist die Dame in diesem Zustand“, antwortete ein Streifenbeamter.

      Die Greisin verfluchte weiter Gott und die Welt und schrie Verwünschungen gegen unbekannte Personen, gegen Huren, die heute Nacht dem Teufel als Schoß für die Zeugung des Antichristen dienen würden. Sie beschwor den Heiligen Johannes und die Heilige Jungfrau Maria um Gnade für sich und alle Sünder, aber die Feuer der Hölle würden heute Nacht auf die Stadt Villach herabfallen und diesen Sündenpfuhl vernichten.

      Dann verfiel die Greisin in ein unerträgliches, markerschütterndes Geschrei, das sämtliche Patienten der Station aus dem Schlaf riss und auf den Gang trieb.

      Eiligst wurde ein Paravent vor die Greisin geschoben, die beiden Streifenbeamten nahmen Aufstellung, das Krankenhauspersonal versuchte, die Patienten zu beruhigen und in die Zimmer zurückzubringen. Schlaftabletten wurden verteilt.

      Plötzlich schrie die Greisin lauthals: „Heute ist die Nacht des Teufels! Keiner von euch Sündern wird dem Teufel entkommen!“

      Danach wurde sie ganz still.

      „Ist sie gestorben?“, fragte der Streifenbeamte.

      Die Oberärztin verschwand hinter dem Paravent, gab jedoch gleich Entwarnung.

      „Nein, sie ist in den Tiefschlaf verfallen. Wir behalten die Patientin eine Nacht hier, dann wird sie in die geschlossene Abteilung überstellt“, entschied die Oberärztin.

      „Wieso nicht schon heute Nacht?“, fragte eine der Patientinnen.

      „Das ist in ihrem Zustand unmöglich. Die einzige geschlossene Abteilung in Kärnten ist in Klagenfurt, und es ist unmöglich, die Patientin in diesem Zustand zu überstellen“, sagte die Oberärztin.

      Kaum hatte die Oberärztin fertig gesprochen, begann die Greisin wieder mit ihrem grässlichen Geschrei.

      Pedro hatte als einziger Patient nicht das Zimmer verlassen, er nützte die Gelegenheit, um den General Millán-Astary anzurufen.

      „Es gibt Probleme. Die Poli ist hier in der Abteilung. Keine Ahnung warum“, sagte Pedro.

      „¿Por qué?“, fragte General José Millán-Astary.

      „Möglicherweise wurde eine Seherin eingeliefert. Die Tontos halten sie für eine Verrückte, aber sie hat die Wahrheit vorhergesagt“, sagte Pedro und berichtete dem General von den Visionen der Greisin.

      „Sollen wir die Aktion abblasen?“, fragte Pedro.

      „Nein, unmöglich. Die Aktion ist voll im Laufen und kann nicht mehr gestoppt werden“, antwortete General Millán-Astary.

      „In der Klinik ist ganz schön was los, alle Patienten sind am Gang, die Poli ist hier, es ist unmöglich, loszuschlagen“, sagte Pedro.

      „Warte ab, was passiert, bis Mitternacht haben wir noch drei Stunden,