Arnulf Meyer-Piening

Das Doppelkonzert


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über die Erfolgsgeschichte ihrer Firma erfahren. Das schien ihm hinreichend plausibel und unverfänglich zu sein. Sie würde ihm sicher seine Fragen beantworten. Vor allem wollte er wissen, ob sie künftig eine Karriere in der väterlichen Firma anstrebte. Offenbar hatte sie andere Pläne, obwohl sie seiner Meinung nach das Zeug für eine Firmenchefin hatte.

      Vor allem bewegte ihn die Frage, was mit Hinrich los sei. Er war auf der Einladung des Grafen nicht anwesend gewesen. Das wunderte ihn. Schließlich würde er wahrscheinlich eines Tages der Nachfolger seines Vaters werden. Es musste einen triftigen Grund dafür geben. Vielleicht ein Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn? Oder Zwistigkeiten zwischen den Geschwistern? Auch Reibereien mit seiner Tante Ingrid waren denkbar. Nicht ganz auszuschließen war auch ein persönlicher Konflikt mit dem Grafen, weshalb Hinrich seine Nähe mied. Guido würde versuchen, eine Antwort auf seine Fragen zu finden, denn davon hing sein weiteres Vorgehen ab.

      Zunächst ging es darum, den bereits lose bestehenden Kontakt zu dem Sämann-Clan zu intensivieren. Dazu müsste er das Vertrauen aller Familienmitglieder gewinnen. Bei Julia konnte er sich sicher sein: Sie war ihm zu Dank verpflichtet. Schließlich hatte ihr der Start-up-Wettbewerb den Einstieg in ihr erfolgreiches Berufsleben ermöglicht. Aber sie war wohl nur eine Randfigur in dem Geschehen. Dann folgte Hinrich, der große Unbekannte: Eine unkalkulierbare Größe. Immerhin war er in leitender Funktion in der Firma tätig.

      Schließlich noch die Schwester des Patriarchen. Als Chefin des Elisabeth-Krankenhauses war sie eine durchaus ernst zu nehmende Person. Außerdem war sie maßgeblich an der Gruppe beteiligt. An erster Stelle rangierte aber der Firmenchef Wolfgang Sämann.

      Wie könnte die weitere Kontaktaufnahme geschehen? Es musste diskret und professionell ablaufen. Zunächst ging es um einen Beratungsauftrag. Alles Weitere würde sich zu späterer Zeit entscheiden. Er würde sich der Unterstützung von Isabelle bedienen müssen. Sie hatte den Kontakt, den er brauchte, um als Berater tätig zu werden. Aber der Patriarch hatte sich bereits positioniert, als er auf seiner uneingeschränkten Funktion als alleiniger Firmenlenker beharrt hatte. Aber das musste nicht das letzte Wort gewesen sein. Den Patriarch zu überzeugen, das würde die konkrete Aufgabe sein. An ihm führte kein Weg vorbei.

      Sie erreichten Isabelles Wohnung in Sachsenhausen, in der er schon des Öfteren gewesen war. Kaum, dass sie ihr Gepäck abgestellt hatten, umfasste er ihre Hüfte und drückte sie fest an sich: Er spürte ihre festen Brüste durch das dünne Sweatshirt.

      - Ich begehre dich, flüsterte er ihr ins Ohr.

      - Auf diesen Moment habe ich schon lange gewartet. Ich kann es kaum mehr aushalten. Ich bin schon ganz feucht.

      - Lass uns einen Augenblick entspannen.

      Sie holte die Flasche aus dem Kühlschrank, nahm zwei Gläser aus dem Schrank und ging wortlos in ihr Schlafzimmer, schloss die Fenster und zog die Vorhänge vor. Er folgte ihr und küsste sie voller Leidenschaft.

      Schnell hatten sie sich ihrer Kleidung entledigt, legten sich auf das Bett und genossen, worauf sie so lange gewartet hatten. Er küsste ihre Brüste und drang in sie ein. Von mir aus könnte das den ganzen Tag so bleiben, sagte sie und lächelte.

      - Wir wollen uns Zeit lassen, heute sind wir beide nur für uns da.

      Wieder und wieder liebten sie sich, als sei es das letzte Mal. Kaum konnten sie voneinander lassen. Endlich fielen sie erschöpft in einen kurzen, aber tiefen Schlaf. Als er erwachte, lag sie in seinem Arm, blickte ihn an und sagte:

      - Es war wunderbar. Wir sollten es viel öfter tun.

      - Ja, wenigstens einmal in der Woche.

      Er erhob sich, griff sich den Bademantel, der immer für ihn bereit lag. Sie verließ den Raum und ging ins Badezimmer.

      Er schenkte den Wein in die bereitgestellten Gläser. Als sie zurückkam, hatte sie ihre zerwühlten Haare geordnet, trug einen leichten Morgenmantel aus grauer Seide, küsste ihn und setzte sich an den kleinen Tisch. Sie lächelte glücklich und prostete ihm zu:

      - Es war ein schöner Tag.

      - Besonders der Abend. Ich hoffe, es werden noch viele weitere folgen. Wenn wir beiden uns weiterhin gut verstehen, dann gehört uns die ganze Welt.

      - Das scheint mir doch etwas zu groß gegriffen zu sein, sagte sie lächelnd und sah dabei bezaubernd aus. Mir würde es genügen, wenn wir unser eigenes Geschäft richtig in den Griff bekämen.

      - Darum werden wir uns bemühen und uns dabei gegenseitig nach besten Kräften unterstützen.

      Es war mehr als ein bloßer Wunsch – es war ein gegenseitiges Versprechen.

      Gedanken zur Nachfolge

      Noch blickte die abendliche Sonne vorsichtig auf die Terrasse des stattlichen Hauses am Starnberger See, als sei sie nicht sicher, ob sie die Unterhaltung des Hausherren stören dürfe. Wolfgang Sämann saß mit seiner Schwester Ingrid am Tisch, wo sie den obligaten Nachmittagstee genommen hatten. Ein schöner Herbsttag neigte sich dem Ende zu, doch er war von unheilschwangerer Atmosphäre geprägt. Im Hintergrund die im Dunst verschwimmende Bergkette der Voralpen. Darüber erhoben sich bedrohlich wachsende Wolkentürme. Auf der leicht zum See abfallenden Wiese grasten friedlich ein paar Kühe. Sie schienen von dem drohenden Gewitter unbeeindruckt zu sein. Die Landschaft wirkte fast kitschig wie auf einer Postkarte oder einem Prospekt für Bio-Milchprodukte.

      Der Senior saß in sich zusammengesunken, etwas gebeugt vom Alter und auch von schwerer Krankheit gezeichnet. Seine rechte Hand zitterte. Er verschüttete den Tee.

      Die gepflegte Dame, mit grauem Haar zum Knoten am Hinterkopf gebunden, blickte ihn streng wie eine Gouvernante an und schüttelte missbilligend ihren Kopf:

      - Wolfgang, pass doch auf, du kleckerst den Tee auf das frische Tischtuch und auch auf deine helle Hose. Sieh mal wie du aussiehst. Du musst dich sofort umziehen. Man könnte denken, dass dir ein Malheur passiert sei.

      Etwas verunsichert erhob er sich und knurrte mürrisch:

      - Hier besucht uns ja keiner. Wo steckt eigentlich Hinrich? Warum war er nicht auf der Einladung von Graf Ebersbach?

      - Ich weiß es nicht, er hat es mir nicht gesagt. Möglicherweise hatte er eine Prüfung im Konservatorium. Dafür hat er letztens viel gearbeitet. Aber vielleicht hatte er auch einen anderen Grund. Wer weiß.

      - Die Prüfung hätte er absagen oder wenigstens verschieben können. Der Junge vergeudet zu viel Zeit mit dem Geigenspiel. Er sollte sich lieber auf seine Aufgaben in der Firma konzentrieren. Er setzt falsche Prioritäten in seinem Leben.

      Ingrid forderte ihn erneut auf, sich umzuziehen:

      - Du wirst dich erkälten. Du musst auf deine Gesundheit achten.

      Widerstrebend erhob er sich und ging ins Haus. Es war ihm durchaus recht, jetzt etwas Abstand zu seiner Schwester zu bekommen. Ihn beschäftigte vor allem die Frage nach der Zukunft seiner Firma. Vor allem wollte er seine Nachfolge geregelt wissen. Er hatte sich bemüht, seinen Sohn auf die Nachfolge vorzubereiten, hatte ihn auf das teuerste Internat geschickt, hatte ihn im Hinblick auf seine künftige Aufgabe als Firmenlenker immer wieder ermahnt, in allen Fächern der Beste zu sein, sowohl im Sport, in den Naturwissenschaften, in Mathematik, in Chemie, in Biologie, kurz überall. Aber es hatte nichts genützt. Es hatte höchstens zum Durchschnitt gereicht. Nur in Musik war es anders. Von früh an erhielt er glänzende Noten. Aber dafür hatte er als Vater und Unternehmer kein Verständnis. Sein Sohn war in seinen Augen ein Versager, ein Einzelgänger und ein Träumer. Für seine Nachfolge ungeeignet.

      Anders war es um seine Tochter Julia bestellt: Sie hatte in allen Fächern erstklassige Zensuren heimgebracht und war bei allen beliebt. Sie hatte viele Freunde, weil sie nicht nur gut aussah, sie hatte auch ein gewinnendes Wesen. Ihr standen alle Türen offen. Aber es hatte sie weit von der Familie entfernt nach Übersee gezogen, wo sie ein Verhältnis mit irgendeinem jungen Mann hatte. Darüber wollte er nichts hören. Es interessierte ihn auch nicht sonderlich. Er wollte sie in die Firmenleitung einbinden, damit die Firma in der Familientradition