Jasper Mendelsohn

Die freien Geisteskranken


Скачать книгу

hat das Wort.«

      Grosz und Herzfelde blickten demnach fordernd und gelangweilt auf die stühlekippelnden Bürden- und Würdenträger des Staatshauses.

      Einer der beiden kippte nach vorne und holte Grosz‘ Mappe heraus. Er stand auf und rief dem Auditorium prophetisch, einem Opernsänger gleich, hinzu: »Gott mit uns!« Er hielt die Mappe hoch. »Gott mit uns! So heißt dieses Mappenwerk, herausgegeben vom Malik-Verlag, jedes Bild unterzeichnet von Georg Groß und verzeichnet auf Wieland Herzfeld, dem Herausgeber.«

      »George Grosz«, korrigierte Grosz.

      »Herzfelde, mit e«, verbesserte Herzfelde.

      »Nicht vor dem Gesetz«, bereinigte der werte Richter.

      »Gott mit uns!«, fuhr der Staatsanwalt fort. »Der preußische Wahlspruch auf dem Antlitz seiner Kaiserstandarte – Verhöhnung, nichts als giftiger Spott. In dieser Mappe befinden sich Zeichnungen, welche Soldaten der Reichswehr in Aktion und Pose in unwahrem, weil ehrenlosem Handeln zur Schau stellen und deren ehrenvollen Dienst am Staate – und am Volke – mit Lügen rufmorden. Gerade in unserer Zeit, der Zeit, in der das deutsche Volk zusammenstehen muss, ob der Schmach der Niederlage, ja, sprechen wir es aus, der Schmach. Gerade in dieser Zeit sind solche wüsten, grundverkehrten Scharfmachereien zu unterbinden. Wir fordern Ketten! Das hieße im Geringsten eine einjährige Haft als Denkzettel für den Verleger Herrn Herzfeld.«

      »Herzfelde, mit e«, klärte Herzfelde abermals.

      »Herzfeld!«, schnauzte der Staatsanwalt und der werte Richter hob den Autoritätshammer drohend, als könne er damit auch auf Köpfe und nicht nur auf Platten schlagen. »Herzfeld, Herzfeld, Herzfeld!«

      Der Staatsanwalt fuhr stoisch fort:

      »Und für den Angeklagten Georg Groß fordern wir den weiteren Verbleib in einer nervenklinischen Heilanstalt. Betrachtet man dieses infantile Machwerk mit all seiner sittenlosen Brutalität und sexuellen Obsession, so stellen wir fest, müssen sich bestimmte Drähte in diesem Gehirn fälschlicherweise berühren, therapeutische Maßnahmen sollen eingeleitet werden.«

      »Herr Groß befand sich schon einmal in solch einer Einrichtung«, dokumentierte der werte Richter. »Mehrmals. Er wurde als ›gesunder Geisteskranker‹ entlassen.«

      »Nichtsdestotrotz«, ging der Staatsanwalt weiter. »Es sei weiterhin erwähnt, dass dieser so mondän wirkende Herr schon bei den Spartakistenaufständen vor einigen Monaten festgenommen wurde. Dort entging er einer polizeilichen Einbehaltung mit gefälschten Papieren. Das Betrügen liegt ihm wahrnehmbar im Blut, euer Ehren. Ein Brausekopf der nach Bedenkzeit fleht, euer Ehren, wegsperren. Das Tier. Die von ihm zu Papier getragene Weltbeschreibung kommt von weit her, doch sie will noch weithin. Ich sage euch die Kiste zu, den Riegel davor und den Nagel darauf! Unsere junge Demokratie verlangt nach harter Strafregel. Und zu Herrn Herzfeld muss ich wohl nichts hinzufügen. Seinen Dienst am Vaterland wusste dieser Eulenspiegelverschnitt ja immer gekonnt zu umgehen, mir fehlen die Worte für so etwas. Gerade zu ihm gibt es nichts mehr zu sagen, aber viel zu schweigen. Im Namen des Volkes und der Demokratie. Zu den Euren, Euer Ehren.«

      »Demokratie ist zerbrechlich ihr Kriegstreiber!« Herzfelde protestierte dem Prozess, stand von seiner Anklagebank auf und ballte die Fäuste.

      »Ihr ladet doch nicht zu Wahlen, ihr Soldaten. Was ist das? Ihr schafft Stimmvieh herbei – mit angelegten Gewehren! Mit Knitteln weichgeklopftes Wählerfleisch. Ihr seid doch keine Demokraten, nein, was soll das sein? Ihr seid nicht gerecht! Ihr seid die rechte Hand der alten Generäle in altem Adel. Fememörder! Und ihr wagt zu klagen? Nach den Fällen Eisner, Liebknecht, Luxemburg und den anderen – wagt ihr zu klagen? Wer nicht dafür ist, ist dagegen, denn ihr gebt keine Kompromisse ab. Was soll das sein? Wir stimmen dagegen und ihr durchschneidet unsere Stimme? Und ihr seid Kläger?« Er streckte eine Faust zum Stuck der Gerichtssaaldecke und die Horde der Gäste grölte und röhrte. Die Claqueurs klatschten, die Chauffeurs animierten die Temperamente mit bissigen Bemerkungen, die Chatouilleurs wurden sarkastisch, die Connaisseurs schlugen Freisprüche vor, die Rieurs lachten laut, die Pleureurs weinten und der Autoritätshammer schlug ein paar Mal auf. »Sie, Herr Herzfeld!«, schrie der Staatsanwalt enthemmt. »Gerade Sie! Haben sich in Kriegszeiten ja förmlich als erster Deserteur der Drückebergerkompanie hervorgetan. Keine drei Schritte konnten Sie mit Ihren Kameraden marschieren ohne wieder auszuscheren. Einen Offizier sollen Sie sogar geohrfeigt haben. Einen Offizier, Euer Ehren! Sie waren schon so gut wie füsiliert, ja, Sie standen schon an der Wand. Hatten Sie ein Glück, dass der Kaiser an jenem Tage Geburtstag hatte und zufällig Gnade über Ihre Schultern legte. Danken Sie dem Kaiser und halten Sie gefälligst ihr feiges Maul geschlossen! Verzeihung Euer Ehren, zu den Euren.« Doch Herzfelde schlug weiter zu: »Feige nennen Sie mich? Wenn hier einer im Raum steht der wahrhaft Standhaft ist, dann bin ich das! Feige? Das bedeutet nichts zu sagen, auch wenn man muss, weil man nicht darf. Doch ich muss – dürfen! Und danken soll ich dem Kaiser? Lüften Sie mal Ihre Kutte!« Einige Gäste verloren ihr gutes Benehmen vor hellichter Aufregung und warfen Kraftausdrücke auf die Ämter. »Ihr Soldaten!«, fügte Herzfelde hinzu, untergehend im Orchester der Parolenschreier, bis es ihn weit übertönte. Der Revolutionssprecher war lebendig. Grosz war sichtlich entspannt in einer Atmosphäre des sich zutragenden Geschreis auf seinem eigenen und unvergleichbaren Temperament – so verbissen und konzentriert, so schön weil so hässlich. So klug weil so dämlich, ja, im Auge des Scheißesturms. Mit den fragilsten Geschöpfen der sogenannten Harten. Mit den spaßlosesten der Humorlosen. Diese mitlaufenden Bremsen der Menschheitsgeschichte. Als Grosz aufstand, setzten sich die Gäste wieder, als wiese es ihnen ihr Naturinstinkt zu. Er stellte sich an Herzfeldes Schulter für den Schluss. Die empörten Staatsanwälte spitzten beinahe interessiert die Ohren und der werte Richter lehnte sich in seinen Richterstuhl zurück. Grosz genoss die Aufmerksamkeit kurz und professionell und fragte: »Um was, im Rahmen, darf ich Fragen, geht es denn hier?« Und er blickte fragend in den Saal und der Saal blickte fragend zurück. »Ich habe den werten Herren noch nicht einmal guten Tag gewünscht und schon wurden hier so viele Urteile gefällt wie Menschen in diesem Raum sitzen. Über wen oder was auch immer. Ich bin Künstler. Ich male Kunst. Ich male was ich sehe und ich male wie ich fühle. Das ist meine Beschäftigung und das ist mein Broterwerb. Herr Herzfelde betreibt seinen Broterwerb mit der Veröffentlichung meiner Beschäftigung und der Beschäftigungen vieler anderer. Ich persönlich sehe mich heute hier an diesem Ort zu einer Diskussion gebeten, nicht aber beschuldigt zu werden für die Äußerung meiner bescheidenen Meinung. Wenn mir also etwas vorgelegt werden würde, was mich zur Diskussion fordern könnte oder sollte, bitte, etwas Haptisches. Denn dann wäre ich durchaus bereit dem meine Aufmerksamkeit zu schenken und mich zu erklären, auch wenn ich das nicht müssen sollte. Denn dann würde mir das Gericht die sogenannte Ehre erweisen, mein Werk zu interpretieren und mir seinen Anstoß an seinem getroffenen Nerv zu schildern.« Grosz setzte sich wieder hin und der Saal war still. Der Staatsanwalt, etwas überrascht, dass man auf ihn wartete, begann seine Lesung. »Herr Groß«, legte er los. »Das hier ist Beweisstück Nummer eins.« »Nennen wir es ›Erzeugnis‹ Nummer eins«, grätschte Grosz dazwischen. »Es heißt aber Beweisstück Nummer eins«, drückte der Staatsanwalt dagegen und der werte Richter drohte dem Angeklagten mit dem Autoritätshammer. Der Staatsanwalt erhob die erste Zeichnung der Mappe, hielt sie den Gästen, den Angeklagten und dem werten Richter in zwei Fingern eingeklemmt, die anderen abgespreizt – so als hielte er eine ansteckende Fäkalie – vor die schnuppernden Nasen und polterte voran: »Auf Beweisstück Nummer eins sehen wir einen einfachen Soldaten am Fluss stehen, am Stadtrand im Wald, denn er lehnt an einem Baum und hinter ihm sieht man die Stadt und vor ihm fließt ein Fluss.« Er deutete mit seinem Stift auf die Eckpunkte der Zeichnung. »Und aus dem Wasser vor ihm schwemmt eine Leiche auf. Der betreffende Soldat wird so dargestellt, als wäre er kein fühlender Mensch, er wirkt gelassen. Fast so, als wäre der betreffende Soldat selbst der Mörder der dargestellten Leiche, kalt und ohne Gewissensbiss; dabei hätte die Leiche von überall her geschwemmt worden sein. Zu den Euren, euer Ehren.« »Liegt der Tod nicht im Sinne des Soldatenberufs?«, fragte der werte Richter. Der Staatsanwalt blätterte mit gestoßener Nase die nächste Seite auf und hielt die nächste Zeichnung hoch. »Auf Beweisstück Nummer zwei sehen wir einen Arzt mit einem Stethoskop beim Aushorchen eines Skeletts. Er spricht das Skelett gesund! In seiner Sprechblase steht das Kürzel