Johanna Danneberg

Argots Schwert


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verzog angeekelt den Mund, nur um gleich darauf fort zu fahren:

      „Das, was du dir wahrscheinlich unter dem Mittelalter vorstellst - die Burgen, die Ritter, die Kreuzzüge - das war alles im Hochmittelalter, vom 11. bis 13. Jahrhundert ungefähr. Wenn man heute vom ‚Mittelalter’ spricht, ist eigentlich meistens nur dieser vergleichsweise kurze Zeitraum gemeint.“

      „Und so lange schon gibt es diese Familie Argot?“, fragte Falk, während er argwöhnte, dass Caro noch nicht einmal bewusst gewesen war, dass sie sich an seinem Bier bedient hatte.

      „Angeblich, ja. Weißt du, bei adligen Stammbäumen ist es normal, dass sie sich sehr weit zurückverfolgen lassen. Aber hier handelt es sich um eine Handwerksfamilie!“

      Mittlerweile hatten sie sich dem Skatepark genähert, der verlassen in der Dunkelheit lag. Die Rampen und betonierten Schanzen warfen tiefschwarze Schatten auf den Asphalt. Gedämpft drangen die Geräusche von der großen Wiese zu ihnen herüber. Falk verzog sich kurz ins Gebüsch um zu pinkeln. Zurück bei Caro, die im Lichtkegel einer Straßenlaterne gewartet hatte, hörte er irgendwo in einiger Entfernung Michas Stimme, und dann sah er seinen Freund undeutlich auf der anderen Seite des Skateparks. Er stand bei ein paar Gestalten, die allesamt Basekappen trugen. BMX-Räder und Skateboards lagen neben ihnen auf dem Asphalt. Micha winkte zu ihm und Caro herüber und grölte irgendwas, das Falk nicht verstand.

      „Wer war das?“, fragte Caro.

      „Ach, bloß ein Kumpel.“

      Falk ging weiter, weg vom Skatepark, in Richtung des Flusses, Caro immer noch neben ihm. Unvermittelt sagte sie:

      „Sie müssen ein paar uralte Dokumente und Urkunden aufbewahrt haben.“

      Seinen verständnislosen Blick bemerkend fügte sie hinzu:

      „Die Argots. Deswegen können sie wohl ihre Geschichte so weit zurückverfolgen. Das Dumme ist nur, dass niemand es genau weiß. Es ist so eine Art Legende am historischen Institut.“

      Was treiben die bloß den ganzen Tag an der Uni, dass sie für so was Zeit haben, überlegte Falk, während Caro weiter redete:

      „Mein Dozent damals wollte Herrn Argot sogar zu uns ins Seminar einladen, aber es ist nie dazu gekommen. Wie gesagt, er ist ein echt schwieriger Typ, der alte Goldschmied.“ Sie lachte: „Aber das hast du ja selber auch schon gemerkt.“

      Falk bemerkte:

      „Da hattest du ja echt Glück, dass du dein Interview bekommst. Angebissen hat er doch eigentlich erst, als du das mit seinen Vorfahren erwähnt hast, oder?“

      Sie runzelte nachdenklich die Stirn.

      „Jetzt wo du es sagst – das stimmt!“

      Falk dachte, dass der Grund für Argots plötzliches Interesse vielleicht bei sich zu Hause, irgendwo unter seinen Klamotten, auf seinem Schlafsofa lag.

      *

      Sie erreichten die Fußgängerbrücke über die Saale. Die Straßenlaternen warfen schimmernde Lichtreflexe auf das Wasser, welches ein Stück flussabwärts in der Dunkelheit das Wehr herunter rauschte. Ein Pärchen lehnte eng umschlungen am Geländer, und eine Gruppe Jugendlicher taumelte von der anderen Seite über die Brücke. Caro wartete, bis sie vorbei waren und sagte, wieder zu Falk gewandt:

      „Das interessanteste an der ganzen Geschichte kommt aber erst noch!“

      Sie blieb stehen und sah Falk erwartungsvoll an. Der war noch dabei, das bisher gehörte zu verarbeiten: die Argots hatten früher auch Schwerter geschmiedet, also war es nun so gut wie sicher, dass sein Schwert tatsächlich aus dem Hause Argot stammte. Und es war sehr wahrscheinlich, dass der Goldschmied Argot etwas darüber wissen würde, schließlich schien sich seine Familie bis weit in die Vergangenheit zurückverfolgen zu lassen. Was auch immer Caro bei ihrem Interview mit Argot vorhatte, er musste irgendwie versuchen, sich in diese Sache einzuklinken. Misstrauisch, dass sich ein Fremder so für sie und ihr Interview interessierte, schien Caro jedenfalls nicht zu sein. Im Gegenteil wirkte sie, als wäre es eine angemessene Reaktion. Ob sie keine Freunde hatte?, überlegte Falk. Er bemerkte, dass Caro ihn immer noch durchdringend anstarrte, und fragte hastig:

      „Ja, ok, noch interessanter? Was denn?“

      „Ich habe ja schon gesagt, dass die Argots legendär sind bei uns Historikern in Jena.“, fuhr sie fort. „Nun, das liegt nicht nur daran, dass man ihre Vorfahren wohl bis ins Hochmittelalter zurückverfolgen kann. Nein, angeblich verbindet die Argots nämlich darüber hinaus eine Art geschäftliche Beziehung mit einem uralten Thüringer Adelsgeschlecht: der Familie von Leuchtenburg.“

      Falk merkte, wie das Bier erneut auf seine Blase drückte, fand es aber unpassend, schon wieder in die Büsche zu verschwinden. Er fragte daher:

      „Stammen die von der Leuchtenburg bei Kahla? Die man vom Fuchsturm aus sieht?“

      Caro nickte zufrieden.

      „Ganz genau. Die Burg wurde im 13. Jahrhundert erbaut. Die Argots stammen wohl ursprünglich aus einem kleinen Dorf gleich daneben, Seitenroda. Und offenbar haben sie immer wieder Schmiedearbeiten für die Leuchtenburger erledigt, schon vor Jahrhunderten. Wie gesagt, angeblich hält diese Geschäftsbeziehung bis heute. Denn die Herren von Leuchtenburg, die haben ihr Geschlecht ebenfalls über die Jahrhunderte gebracht, genau wie die Argots. Trotz Pest und 30-jährigem Krieg, und auch, als sie ihre Hausburg verloren und als einfacher Landadel weiterleben mussten.“

      „Und das ist jetzt das interessanteste an der ganzen Geschichte?“, erkundigte sich Falk.

      „Aber nein!“

      Triumphierend baute sie sich vor ihm auf, was Falk irgendwie putzig fand, da sie mehr als einen Kopf kleiner war und so dünn wie ein Stock. Gleichzeitig musste er jetzt wirklich dringend pinkeln. Kein Bier mehr heute, dachte er und stellte seine fast leere Flasche beiseite, während Caro sagte:

      „Die letzte Nachfahrin der Herren von Leuchtenburg, die ist gestern tot aufgefunden worden, in einem alten Holzhaus, hier in Jena! Es war wahrscheinlich ein Unfall, die ist wohl die Treppe heruntergefallen.“

      „Bin gleich wieder da.“, sagte Falk, und verschwand hinter einem Busch.

      Als er zurückkam, war er wieder in der Lage, klare Gedanken zu fassen, und Caro fuhr fort, zu erzählen. Sie habe am Nachmittag davon gehört, als sie im Studio des Radio OKJ gewesen sei, um noch ein paar Dinge wegen des Interviews mit Argot nächste Woche vorzubereiten. Man müsse sich schließlich anmelden, um das Mikro auszuleihen, und dann habe sie einen Kollegen noch um ein paar Tipps bitten wollen, der sei nämlich nicht nur beim Offenen Kanal, sondern auch bei einem richtigen Radiosender angestellt, so mit echten Nachrichten und allem Drum und Dran, und deswegen hätte er immer gute Ratschläge parat. Und außerdem habe der auch immer die neuesten Meldungen aus Jena parat, zum Beispiel von der Polizei.

      „Er sagt also zu mir: ‚Stell dir vor, oben am Hausberg, gleich unterhalb des Fuchsturmes, da haben sie eine tote Frau gefunden, eine gewisse Marie von Flotow.’ Das sagte mir natürlich erst mal nichts. Aber dann erwähnte er den Mädchennamen der Toten. Sie hatte nämlich nicht nur adlig geheiratet, sondern war schon vorher eine Adlige gewesen. Geboren wurde sie als Marie von Leuchtenburg. Und da bin ich dann gleich hellhörig geworden!“

      Caro schaute dem Wasser des Flusses zu, das unter der Brücke träge strömend in der Dunkelheit verschwand. Sie zog eine Zigarette aus ihrer Packung, zündete sie an und inhalierte tief.

      „So tragisch es ist,“, sagte sie, sich wieder zu Falk umwendend, „Ich konnte einfach nicht anders, ich musste gleich an mein Interview denken. Überleg doch nur: Eine von Leuchtenburg! Und die Vorfahren von Goldschmiedemeister Argot hatten schon Kontakt zu der Familie.“

      Sie lächelte wie ein Kind an Weihnachten.

      „Ganz gleich, was man im Radio macht: man braucht einen Aufhänger am Anfang, etwas Spannendes, das die Leute dazu bringt, nicht wegzuschalten. Etwas Besseres als diesen Todesfall hätte ich mir für meine Sendung wahrlich nicht wünschen können!“

      *