Johanna Danneberg

Argots Schwert


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lassen. Auf den Gedanken, über das Turnier im OKJ zu berichten, war er noch nie zuvor gekommen und er war selber überrascht, wie locker ihm die Notlüge über die Lippen gekommen war. Andererseits, vielleicht war das ja sogar wirklich eine gute Idee? Gleichzeitig überlegte er, wie er das Gespräch wieder auf den Schmiedemeister Argot lenken könnte.

      „Also, mich würde das Thema deiner Sendung aber schon interessieren.“, sagte er schließlich unvermittelt. „Das mit dem Handwerk in Jena.“

      „Das freut mich!“ Sie trat die Zigarette aus und fragte, plötzlich ganz geschäftig: „Kennst du noch weitere Handwerksbetriebe? Die richtig alt sind?“

      „Naja, nicht direkt. Der Friseurladen, am Markt, den gab es auf jeden Fall schon zu DDR-Zeiten.“

      Falks Mutter arbeitete in dem Laden und wurde nie müde, zu betonen, wie lange schon.

      „Nee, das ist nicht alt genug.“, meinte Carolina betrübt. „Was ich suche, sind mittelalterliche Betriebe. Und im Mittelalter gab es noch keine Friseure, da übernahmen die Bader das Haareschneiden.“

      Es entstand eine kurze Pause, in der beide unschlüssig herum standen. Ganz offensichtlich wusste Carolina Schubert nicht, was er von ihr wollte. Kein Wunder, dachte Falk, das wusste er ja selber auch nicht so richtig. Am Ende sagte sie aufmunternd:

      „Du kannst dich ja mal auf der Internetseite des Senders umschauen. Wenn ihr euren Fußballkram im Radio vorstellen möchtet, findest du dort alle wichtigen Informationen. Und wenn es dich interessiert: da steht auch, wann meine nächste Sendung läuft. Ich glaube, in drei Wochen. Muss mich langsam echt ranhalten. Bisher habe ich nur einen Steinmetz gefunden, der mir ein Interview geben wollte.“

      Mit diesen Worten wandte sie sich zum Gehen, sagte aber noch über die Schulter:

      „Ich bin übrigens Caro. Wenn du auf der Seite vom OKJ nach meinem Namen suchst, findest du auch meine Email-Adresse. Falls dir doch noch ein mittelalterlicher Handwerksbetrieb einfällt!“

      Sie winkte und entfernte sich dann mit so schnellen energischen Schritten, dass entgegenkommende Passanten ihr ausweichen mussten.

      Ich bin Falk, dachte er. Schön, dich kennen zu lernen.

      *

      Während er zu seinem Fahrrad zurückging, fragte sich Falk, ob Caro ihn nun für den letzten Depp hielt. Wobei, auch wenn sie ihm nicht gleich ihre Telefonnummer gegeben hatte, so doch immerhin den Hinweis, wie er mit ihr in Kontakt treten könnte. Und vielleicht könnte sie ihm ja wirklich helfen? Sie war selber an Argot interessiert, und schien sogar ziemlich gut Bescheid zu wissen über den alten Goldschmied – immerhin hatte sie ihn auf dessen Vorfahren angesprochen.

      Somit war sein vormittäglicher Ausflug auch nicht ganz umsonst gewesen, denn zumindest wusste er nun, dass der Betrieb der Familie Argot schon sehr lange in Jena ansässig war – einer der ältesten Handwerksbetriebe der Stadt, hatte Caro gesagt -, und dass die Argots früher Waffenschmiede gewesen waren. Es war also durchaus möglich, dass einer der Vorfahren von Franz Argot das Schwert hergestellt hatte. Das Schwert, das er nun in seinem Rucksack herumtrug.

      Er könnte wirklich versuchen, über die Internetseite vom Offenen Kanal Jena Kontakt zu Caro aufzunehmen, dachte Falk. Versuchen, herauszufinden, was sie alles über Franz Argot und dessen Vorfahren wusste. Offensichtlich redete sie ja viel und gerne.

      Falk dachte an seinen üblichen Erfolg bei Frauen. Oder wohl eher Misserfolg. Auf Partys jedenfalls schienen ihm die ganzen herumstehenden, rauchenden, kichernden Tussis mit jedem ihrer Blicke zu verstehen zu geben, dass er gar nicht erst zu versuchen brauche, sie anzusprechen. Was ihm nur Recht war, er war ja eh nicht an denen interessiert. Also sah er am Ende des Abends für gewöhnlich dabei zu, wie Micha und Robs die Mädels abschleppten, kehrte dann auf einen Burger bei McDonalds ein und radelte allein nach Hause.

      Falk seufzte. Für einen kurzen Moment dachte er an Julia, die jetzt schon seit zwei Jahren in Erfurt studierte. Am Anfang hatten sie sich noch abgewechselt, ein Wochenende fuhr er nach Erfurt und übernachtete bei ihr in der WG, ein Wochenende kam sie nach Hause, nach Jena. Dann war irgendwann nur noch er gefahren. Und dann hatte sie ihm bei einem seiner Besuche unter Tränen gesagt, dass es „einfach nicht mehr ginge“, womit ihre Beziehung, die immerhin fast drei Jahre angedauert hatte, beendet gewesen war. Jene Nacht hatte er auf einem Klappstuhl verbracht, in ihrer WG-Küche, und war dann im Morgengrauen zum Bahnhof gelaufen, wo er den ersten Zug nach Jena genommen hatte. Seitdem war er weder in Erfurt gewesen, noch hatte er etwas von Julia gehört. Was auch nicht weiter schlimm war, da Erfurt ohnehin für jeden Fan des FC Carl Zeiss Jena eine Stadt war, die es eigentlich gar nicht gab.

      Apropos Fußball: Falk warf einen Blick auf sein Telefon und beschloss, Frauen, Schwerter und mürrische Goldschmiede für den Moment sich selbst zu überlassen und sich stattdessen wichtigeren Dingen zu widmen. Er wählte Michas

      Tag 3, Samstag

      Micha ging mit Grabesstimme ans Telefon und teilte Falk mit, dass er ihn soeben aus dem Tiefschlaf gerissen habe. Falk kündigte an, er sei in fünf Minuten da, und besorgte frische Brötchen und Frikadellen auf dem Markt. Im Vorbeigehen sah er seine Mutter im Salon „Amadeus“ einer Kundin die Haare waschen und dabei unentwegt plappern. Hastig, bevor sie ihn entdecken konnte, schob er sein Rad weiter und klingelte kurz darauf bei seinem Freund. Micha wohnte über einem indischen Restaurant am unteren Ende des in diese Richtung leicht abfallenden Marktplatzes, und im Hausflur roch es intensiv nach Curry und Zwiebeln.

      Gähnend erschien Micha an der Tür, in Boxershorts und einem riesigen lilafarbenen Sweatshirt mit dem Namen irgendeiner US-amerikanischen Sportmannschaft drauf. Als Falk sich erkundigte, ob er das aus der Altkleidersammlung habe und Micha nur müde brummte, entschied Falk, dass sein Freund dringend einen Kaffee benötigte. In der Küche, die so blitzsauber war wie ein Behandlungsraum beim Zahnarzt, fand Falk den Wasserkocher und eine Dose mit Kaffeepulver. Er häufte einen Löffel in eine Tasse, goss kochendes Wasser darüber und stellte Micha das Getränk vor die Nase. Der hatte mittlerweile seine Brille gefunden, sich eine Jogginghose übergezogen und war dabei, vom vergangenen Abend zu berichten, der mit Konrad und ein paar anderen Kumpels in einer Kneipe beim Bundesliga gucken begonnen und in einem Club nahe des Westbahnhofs geendet hatte.

      „Hendrik stand an der Tür, bin umsonst rein“, sagte er zwischen zwei Bissen Frikadellen-Brötchen. Falk langte ebenfalls zu.

      „Sind deine Mitbewohnerinnen eigentlich da?“, fragte er.

      „Hör bloß auf!“, sagte Micha. „Hab beide seit Wochen nicht gesehen. Kommen wahrscheinlich auch die ganzen Semesterferien nicht mehr. Zum Abschied lag ein Zettel hier aufm Küchentisch – ich soll doch bitte den Kaktus gießen!“

      Micha deutete auf ein stacheliges Gewächs, dass in einem Plastikgefäß auf der Fensterbank verkümmerte.

      „Kapierst du das, Mann? Ein Zettel! Den Kaktus gießen!“, rief er entrüstet. „Da war sogar so ein hässlicher Smiley daneben gemalt!“

      Diese Art der Kommunikation war ihm so fremd, als hätten auf dem Zettel chinesische Schriftzeichen gestanden. Micha schob den letzten Bissen seiner Frikadelle in den Mund und wischte sich mit dem Handrücken die Krümel aus dem Gesicht. Dann wusch er sich die Hände an der Küchenspüle, nahm seine Brille ab, und säuberte auch diese gründlich. Er blinzelte Falk mit den zusammengekniffenen Augen eines Kurzsichtigen an:

      „Wie sieht’s aus, was starten wir?“

      „Ich dachte an Fußball spielen.“

      „Hast du schon jemanden angerufen?“

      „Nee. Das mach ich, während du kacken gehst.“

      Falk tätigte ein paar Anrufe und setzte sich anschließend in Michas Zimmer an den Computer. Im Internet klickte er sich zu der Seite des Offenen Kanals Jena.

      Als sein Freund ihm über die Schulter schaute, fragte Falk:

      „Kennst du diesen Radiosender? OKJ?“

      „Klar.“, meinte Micha. „Da kommt manchmal nachts ziemlich