Johanna Danneberg

Argots Schwert


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ihn, der noch nicht mal einen Führerschein hatte.

      *

      Erst kurz vor fünf am Nachmittag verließ Falk als einer der letzten die Firma. Er entschied, sich zur Abwechslung mal einen ruhigen Abend vor dem Fernseher zu gönnen. Zu Hause angekommen, räumte er ein paar Einkäufe, die er auf dem Nachhauseweg besorgt hatte, in den Kühlschrank, der bis auf ein angebrochenes Paket Butter, eine Salami und verschiedene Senf- und Ketchupsorten leer gewesen war. Er riss eine große Tüte Chips auf und begab sich damit ins Nebenzimmer.

      Ursprünglich hatten sie den Raum als Wohnzimmer nutzen wollen. Momentan standen hier aber nur eine Couch, eine stachelige Agave und ein Fernseher. Weitere wohnliche Möbel fehlten, dafür lehnte Roberts Rennrad an der Wand und über einem Wäscheständer hingen Falks dreckige Fußballstutzen. Auf dem Boden, der, genau wie in den anderen Zimmern der Wohnung, mit unbehandelten Dielen ausgelegt war, lagen außerdem eine Gewichtstange und zwei Hanteln, zusätzliche Gewichte zum Verschrauben, mehrere Fußbälle, ein Volleyball, Falks alter Hockeyschläger und ein Staubsauger.

      Falk warf sich aufs Sofa und schon sich gedankenverloren ein paar Chips in den Mund. Sein Blick wanderte zu Roberts Zimmer nebenan. Die Tür stand weit offen. Sein Freund hatte die Wände vollgehängt mit Postern von Schauspielerinnen und Models, die sich halbnackt an Stränden, in Werkstätten oder auf Kühlerhauben von Sportwagen räkelten. Auf einem Regalbrett an der Wand gleich gegenüber der Tür standen, vom Wohnzimmer aus gut sichtbar, verschiedene kleine und größere Pokale; einige Medaillen hingen darunter. Robs war früher Turner gewesen, hatte dann zum Fußball gewechselt und sogar eine Weile beim Fußballverein Carl-Zeiss-Jena in der Nachwuchsgruppe mittrainiert. Die O-Beine hatte er seitdem immer noch. Mittlerweile studierte er Sport und Mathe auf Lehramt. Robs würde einmal ein guter Lehrer werden, streng, aber trotzdem ein Kumpeltyp, dachte Falk.

      Er selber hatte früher Hockey gespielt, jedoch irgendwann das Interesse daran verloren, als er jedes Wochenende zu Spielen fahren musste, die seine Mannschaft für gewöhnlich verlor. Jetzt kickte er regelmäßig mit Robs und den anderen Jungs Fußball auf einem der öffentlichen Bolzplätze oder bei ihrer ehemaligen Schule. Die Idee, ein eigenes Turnier zu veranstalten, war ihnen an einem Abend bei Konrad gekommen, als sie einmal mehr viel zu viel Bier und den selbstgepanschten Likör von Konrads Freundin getrunken hatten. Sie hatten vor, es wie eine kleine Liga aufzuziehen, es sollte Hin- und Rückspiele zwischen den Mannschaften geben, Punkte und eine Tabelle wie in der Bundesliga, und zusätzlich, um die Spannung weiter aufzubauen, noch eine Finalrunde nach Vorbild des DFB-Pokals. Das Problem war nur, dass sie hierfür sie einen Platz brauchten, an dem die Spiele regelmäßig stattfinden konnten.

      Falk seufzte. Robs hatte den Rest seines Zimmers im gewohnten Zustand hinterlassen: auf dem zerwühlten Bett lagen verschiedene Kleidungstücke, ein leerer Umzugskarton stand daneben, ein Handtuch war über die Lehne des Stuhls geworfen, der Schreibtisch war übersät mit Notizen und Büchern. Gleich neben dem Schreibtisch befand sich die Tür zur Terrasse – im Sommer ein herrlicher Ort für ein Bierchen in der Sonne, und ganzjährig ihre Abstellmöglichkeit für die leeren Kästen.

      Robs hat’s gut, dachte Falk. Der muss sich jetzt nicht mit diesem verdammten Schwert rumärgern! Er kramte sein Handy aus der Hosentasche und wählte die Nummer seines Freundes, der jedoch nicht dran ging.

      Es half alles nichts. Er musste die Sachen zurück in das Haus bringen. Er würde den Beutel einfach wieder dort ablegen, wo sie ihn gefunden hatten. Und am besten brachte er es jetzt gleich hinter sich.

      *

      Falk stand schon im Flur, seinen Wanderrucksack auf dem Rücken, darin der Lederbeutel mit dem Schwert und dem Brief, als er Schritte auf der Treppe hörte. Dann klopfte es an der Wohnungstür. Hektisch nahm Falk den Rucksack ab und warf ihn ins Nebenzimmer auf die Couch. War ihm schon jemand auf der Spur?, ging es ihm durch den Kopf, nur um sich im nächsten Moment zu ermahnen, wie albern dieser Gedanke war.

      „Hey, Falk!“, hörte er dann Peter rufen, den Onkel von Robert. „Bist du zu Hause?“

      Falk atmete aus.

      „Jo, bin da! Warte!“

      Er ging zur Tür und öffnete. Peter stand im Halbdunkel der Treppe, ein kleiner drahtiger Mann, den Falk noch nie ohne sein kariertes Holzfällerhemd gesehen hatte, dessen Ärmel er je nach Jahreszeit mehr oder weniger weit aufkrempelte.

      „Was gibt’s denn?“, fragte Falk und im selben Moment fiel ihm ein, dass er wahrscheinlich immer noch ziemlich verschreckt aussah, also bat er Peter mit einer Geste hinein und überlegte, wie er sich am besten verhalten sollte, um wie nach einem ganz normalen Freitagabend zu wirken.

      „Willst du ein Bier?“, fragte er, während er in die Küche ging und den Kühlschrank öffnete. „Ach nee, sorry, ich hab gar keins da.“ Er lachte verlegen und richtete sich wieder auf.

      Peter stand im Flur, die Hände in den Hosentaschen.

      „Nicht schlimm.“, brummte er. Als er die Kabel sah, die an der Decke entlang aus dem Wohnzimmer kommend die Treppe hinauf in Falks Dachzimmer führten, runzelte er die Stirn.

      „Was verkabelt ihr denn hier?“

      „Nur unsere Computer, dann können wir im Netzwerk zocken, du weißt schon…“

      „Achso, achso“, nickte Peter und machte weder Anstalten, sich weiter in die Wohnung hinein zu begeben, noch, wieder hinaus.

      „Ja, also wie gesagt, ich kann dir leider nichts anbieten…“, setzte Falk an, ohne zu wissen, wie er den Satz beenden sollte.

      „Nee, lass mal, Falk. Ich bin eigentlich nur kurz hochgekommen, weil ich euch was erzählen wollte. Stell dir vor, oben, bei der Straße rüber zum Hausbergviertel, da am Fuchsturm vorbei, da ham se ne Tote gefunden!“

      „Was, ernsthaft?!“

      Fieberhaft überlegte Falk, was er mit seinen Händen anstellen sollte. Schließlich steckte er sie ebenfalls in seine Hosentaschen. Die beiden standen sich gegenüber, Peter im Flur, er selber in der Küche.

      „Ja, irgendwelche Jungs haben sie beim spielen da oben entdeckt. Sie lag in dem alten Holzhaus, ich weiß nicht ob du es kennst. Steht schon seit Jahren leer. Keine Ahnung, wann da zum letzten Mal jemand gewohnt hat.“

      „Das gibt’s doch nicht!“

      „Doch. Ich hab's eben von der Nachbarin gehört. Kam gerade von Arbeit, wollte den Wagen parken, da quatscht sie mich schon an. Die von gegenüber, die immer den ganzen Tag aus ihrem Fenster glotzt.“

      „Ach, die alte Stasitante.“

      „Ja, die hat's nicht verlernt. Die Kids, die die Leiche gefunden haben, sind wohl gleich nach Hause gerannt und haben es ihren Eltern erzählt. Und irgendwie hat die Nachbarin es dann auch gleich erfahren.“

      Falk machte ein zustimmendes Geräusch, aber in seinem Kopf dröhnte es, als würde eine Eisenbahn durchrasen. Er musste jetzt dieses Gespräch überstehen! Sollte er nachfragen, interessiert tun? Oder besser gleichgültig? Währenddessen fuhr Peter fort:

      „Keine Ahnung, wer die Tote ist und wie sie gestorben ist. Aber man muss aufpassen heutzutage. Ich hab meinen Kindern erst mal verboten, draußen zu spielen. Ihr solltet auch die Augen offen halten.“

      Falk nickte eifrig.

      „Auf jeden Fall, werd ich tun. Ich sag auch Robs Bescheid. Krasse Geschichte.“

      „Naja.“, machte Peter abschließend. „Wo ist Robert überhaupt? Immer unterwegs, was?“

      Erleichtert über den Themenwechsel nahm Falk seine schwitzenden Hände aus den Hosentaschen und lehnte sich an den Türrahmen zwischen Flur und Küche.

      „Ja, der ist grad bei so ner Sache von der Uni, Trainingslager, irgendwo im Harz. Ist heute Morgen losgefahren und kommt erst nächste Woche wieder.“

      „Achso. Training, ja? Die Studenten, die machen doch nur Party, dachte ich.“, erklärte Peter und zwinkerte Falk zu. Als Dachdeckermeister hatte Peter immer schon