Johanna Danneberg

Argots Schwert


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hatte. Dort, wo normalerweise das Ofenrohr steckte, klaffte ein Loch. Falk griff nach dem Bündel, das oben drauf lag. Es war ein Beutel, der, so fühlte es sich zumindest an, aus Leder gefertigt war. Die Öffnung war mit einem groben Strick zugezogen; hindurch lugte ein Knauf.

      Als Falk den Beutel anhob, war er überrascht, wie schwer er war. Er lockerte den Strick und zog den länglichen Gegenstand heraus, der drin war.

      „Ein Schwert!“, stellte er fest.

      Es war etwa einen Meter lang und steckte in einer Lederscheide. Falk reichte es an Robs weiter, der vorsichtig an dem Knauf ruckelte. Ohne Mühe konnte er den oberen Teil einer glänzenden dunklen Klinge aus der Scheide ziehen, während Falk den Lederbeutel schüttelte und fühlte, dass noch etwas darin war. Er wollte gerade hineingreifen, als Robs sagte:

      „Ich wette, du traust dich nicht, den Beutel mit zu nehmen.“

      Falk sah auf und überlegte nicht lange.

      „Wenn du mir hoch und heilig versprichst, dass du, solange wir beide unter einem Dach wohnen, niemals etwas mit dieser Fanni anfängst. Dann mach ich's.“

      Einen Moment lang starrten sie sich an, dann zuckte Robs mit den Schultern und schlug ein. Falk stopfte den gesamten Beutel mitsamt dem Schwert in seinen Wanderrucksack, der gerade groß genug war, dass er ihn oben noch verschließen konnte. Danach hatten beide es auf einmal recht eilig.

      Robs war schon mit drei langen Schritten in Richtung Flur aufgebrochen, und Falk schickte sich an, ihm zu folgen, als er meinte, ein Geräusch zu hören: ein Knarzen, es kam aus dem Obergeschoss! Prickelndes Adrenalin schoss ihm durch die Adern, und ohne noch einen Moment zu vergeuden machte er, dass er Robs hinterherkam, der schon mit einem Sprung die Treppenstufen vor der Haustür herunter gesetzt war.

      Gemeinsam bogen sie um die Hausecke, überquerten die Lichtung und duckten sich auf den Pfad durchs Unterholz. Falk lief nun voran und während ihm die Zweige ins Gesicht schlugen, hatte er unbändige Lust zu rennen. Er sah das Tor vor sich, sprang auch diese Stufen herunter, landete mit einem klatschenden Geräusch auf der Straße und joggte los, die Straße herunter bis zu dem Parkplatz mit der Bushaltestelle, und dann, langsamer werdend, weiter entlang kleiner Häuser und parkender Autos. An der Kreuzung zu ihrer Straße holte Robs ihn ein. Schwer atmend hielten sie inne.

      „Hast du das gehört? Da eben in dem Haus?“, fragte Falk.

      „Gehört? Nee, was denn?“

      „So ein Knarren im Gebälk. Als ob da jemand gewesen wäre, im zweiten Stock.“

      Nebeneinander gingen sie, nun gemächlicher, weiter entlang der nächtlichen Straße. Das Wohnviertel bestand aus Doppelhäusern mit mickrigen umzäunten Gärtchen; hier wohnten vornehmlich Rentner und Familien. Es war ganz still, bis Robs plötzlich sagte:

      „Ich glaub, wenn ich da was gehört hätte, dann hätt ich mir wirklich eingekackt.“

      Beide kicherten unbändig, wie früher, als sie noch kleine Jungs gewesen waren.

      „Der Bus mit Fanni war schon weg.“, stellte Robs dann fest.

      „Mann, bin ich froh dass wir die los sind.“, antwortete Falk.

      „Wir? Ich bin doch derjenige, der fortan auf die süße Maus verzichten muss.“

      „Eben nicht! Du wärst doch morgen gleich früh zu deinem Sportkurs aufgebrochen, und die Tante hätte bei uns zu Hause das Bad blockiert, wenn ich zur Arbeit muss. So wie neulich, wer was das noch gleich?“

      „Meike hieß die. Mensch Falk, gut dass du mich an den verdammten Kurs erinnerst. Ich muss morgen schon um sechs am Institut sein.“

      Sie erreichten die Eingangstür zu der Doppelhaushälfte, in deren Dachgeschoss sich ihre kleine Wohnung befand. Robs fummelte in seinen Taschen nach dem Schlüssel, dann schlichen sie die enge Treppe hinauf, so leise wie möglich, um Roberts Onkel Peter, der unten mit seiner Familie wohnte, nicht zu wecken. Falk drängte hinter seinem Freund in die Wohnung, zog die Tür zu und ließ den Rucksack in der Küche auf einen Stuhl fallen.

      Beide starrten eine Weile darauf.

      „Meinst du echt, da war jemand? In dem Haus?“, fragte Robs.

      Falk zögerte.

      „Irgendwer muss diesen komischen Beutel ja dahingelegt haben.“

      „Ich bin mir nicht sicher, ob das so eine gute Idee war, den mitzunehmen.“, sagte Robs unvermittelt, und Falk ahnte, dass er Recht haben könnte.

      Tag 2, Freitag

      Falk erwachte vom Weckerklingeln. Träume schlängelten sich wie Wiesel nach allen Seiten hin aus seinem Bewusstsein heraus. Er schaute sich im Dämmerlicht um und erkannte sein Zimmer: der Schrank, der Schreibtisch, der Computer. Er lag auf seinem Schlafsofa, in zusammen geknüllten Decken. Durchs Fenster sah er graublauen morgendämmernden Himmel. Das Display seines Handys zeigte sechs Uhr.

      Falk zog die Decke hoch bis unters Kinn. Zwischen den Traumschatten tauchten die Geschehnisse des gestrigen Abends aus seiner Erinnerung auf. Mit einem Ruck setzte er sich auf, woraufhin in seinem Schädel ein hektisches Hämmern einsetzte, was ihm wiederum auch die Flasche Lambrusco wieder ins Gedächtnis rief, die bei irgendeiner Pizzalieferung dabei gewesen war, und die er und Robs gestern Abend auf den Schreck noch in der Küche geöffnet hatten.

      Falk warf die Decke zur Seite, schnappte sein Handtuch, das über der Tür zum Trocknen gehangen hatte und stolperte die schmale Holztreppe vor seinem Zimmer hinunter. Er bog direkt ins Bad ab, griff nach Zahnbürste und Zahnpasta und ging dann zähneputzend weiter Richtung Küche.

      Dort sah er es bestätigt: mitten auf dem Küchentisch, zwischen Werbezeitungen, der leeren Lambruscoflasche und zwei weißen Kaffeebechern aus der Unimensa, lagen der Lederbeutel von gestern Nacht und die Gegenstände, die sich darin befunden hatten. Da war das Schwert, wieder sorgfältig in seine Scheide gesteckt. Daneben lag ein Briefumschlag, den sie ebenfalls in dem Beutel gefunden hatten. Er war verschlossen und wog schwer in der Hand. Der Inhalt, hatten Falk und Robs vermutet, musste aus mehreren dicken Papierseiten bestehen. Auf dem Umschlag hatten nur vier Worte gestanden, mit blauer Tinte in gleichmäßiger geschwungener Handschrift geschrieben: ‚Für Mark von Marie’.

      Dann sah Falk, dass Robert ihm auf der Rückseite eines Kassenzettels eine kurze Nachricht hinterlassen hatte:

      ‚Wir sehen uns in einer Woche. Sieh lieber zu, dass du das Zeug wieder zurückschaffst!’

      Daneben war ein kleines grinsendes Gesicht gemalt.

      Robert hatte es also tatsächlich pünktlich aus dem Bett geschafft, und war nun bereits unterwegs zu seinem einwöchigen Trainingslager, irgendwo im Harz. Wahrscheinlich würde er sich im Bus noch einmal zusammenrollen, ein paar Stündchen schlafen, und keinen Gedanken mehr an ihn, Falk, verschwenden, der sich jetzt mit diesem Mist herumschlagen musste.

      Eine Weile stand Falk unschlüssig in der Küche herum, dann beschloss er, dass er erst einmal zur Arbeit musste. Er ging zurück ins Bad, wusch sich den Mund aus und stieg unter die Dusche. Das heiße Wasser machte ihn munter. Hinterher warf er einen Blick in den Spiegel. Seine Haare, dunkelblond und tropfnass, hingen ihm bis zum Kinn, wo ein paar Bartstoppeln unmotiviert vor sich hin sprossen. Lohnte sich nicht, die heute zu rasieren, fand er. Dunkle Augenringe und die fahle Haut verrieten ihm, dass die Woche sich dem Ende zuneigte. Seine Augen, eng zusammenstehend, leuchteten hellgrau aus den tiefen Höhlen unter seinen Brauen hervor. Falk entschied, dass er nicht schlimmer aussah als sonst.

      Während er sich abtrocknete, begann er, Stück für Stück zu rekonstruieren, was eigentlich gestern passiert war. Sie waren bei Konrad gewesen. Sie hatten gegrillt und ein paar Bierchen getrunken. Später hatte Konrads Freundin ihnen allen noch Schnaps aufgedrängt. Wir hatten wohl doch schon einiges getankt, dachte Falk, sonst wäre ich doch nie auf die Idee gekommen, auf dem Heimweg in das verdammte alte Haus einzusteigen. Und diesen Beutel mitzunehmen. Wobei ja eigentlich Robs Schuld war. Aber zumindest hatte er, Falk, mit der