Johanna Danneberg

Argots Schwert


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an, sowie die knielange weite Hose vom Vortag, ein frisches T-Shirt und einen schwarzen Kapuzenpullover.

      Wo ist mein Rucksack, überlegte er. Ach ja, noch unten. Genau wie das andere Zeug.

      Die Flasche Lambrusco hinterher in der Küche war irgendwie auch überflüssig gewesen, erkannte Falk angesichts des dumpfen Schmerzes im dem Bereich hinter seiner Stirn. Aber nach der Geschichte hatten sie einfach noch einen trinken müssen. Sie hatten einen Diebstahl begangen, soviel war ihnen klar gewesen. Dabei hatten ja nur aus Spaß ein wenig in dem alten verlassenen Haus herumschnüffeln wollten. Hatten sie ja schließlich früher auch schon gemacht, das Ding stand doch seit Jahrzehnten leer. Was hatte es bloß mit dem Lederbeutel und dem Schwert auf sich? Wie waren diese Sachen dorthin gekommen. Hatte sich wirklich jemand im Haus befunden, im oberen Stockwerk? Wer waren Mark und Marie?

      Falk betrachtete das Schwert auf dem Küchentisch. Gestern hatten sie es aus seiner Scheide gezogen. Dunkel war das Metall der Klinge gewesen, fast schwarz, und vom Knauf aus bis zu etwas zwei Dritteln der Länge durch eine flachen Rinne in der Mitte geteilt. Zwischen Knauf und Klinge befand sich der schmale Steg, der gerade und schlicht gearbeitet war. Überhaupt war die Waffe auffallend schlicht, fand Falk, es gab keine Verzierungen bis auf zwei winzige Zeichen, die am oberen Rand der Klinge in der Rinne eingraviert waren.

      *

      Ein Blick auf die Uhr seines Handys sagte ihm, dass er dringend los musste. Nach kurzem Überlegen brachte Falk Schwert, Briefumschlag und Beutel nach oben in sein Zimmer, wo er alles unter sein Schlafsofa stopfte. Wieder unten in der Küche griff er nach seinem Rucksack, der seit dem Vorabend in einer Ecke lag, schüttete alles, was drin war, aus, so dass die leeren Bierdosen scheppernd auf den Küchenfußboden fielen, und setzte ihn auf. Dann zog er noch seine Wollmütze über den Kopf und die Wohnungstür hinter sich zu.

      Leise ging er die Treppe ins Erdgeschoss hinunter, durchquerte den Flur der unteren Wohnung, wo Roberts Onkel Peter mit seiner Frau und den beiden Kindern lebte, und trat ins Freie. Die Wolken der letzten Nacht hatten sich verzogen und der Himmel war blau erleuchtet von den ersten Strahlen der Sonne – es würde einer dieser Tage werden, an denen die klare Kälte des herannahenden Herbstes tagsüber noch einmal von der Septembersonne vertrieben wurde.

      Trotzdem war Falk froh über seine blaue Mütze, die er jeden Tag, sommers wie winters, trug, denn als er sein Fahrrad abgeschlossen hatte und die Straße bis zur Buswendeschleife entlang radelte, wehte ihm der Fahrtwind schneidend kalt um die Nase. Er ließ sich den Steinborn hinunter rollen, vorbei an kleinen Doppelhäusern, die bunt gestrichen waren, um die unterschiedlichen Besitzer anzuzeigen. Mit den von niedrigen Mauern begrenzten Vorgärtchen war diese Gegend viel bescheidener als das Villenviertel auf der anderen Seite des Hausbergs.

      Falk überquerte die Karl-Liebknecht-Straße am unteren Hangende und fuhr weiter nach Jena Ost, wo er, einige Male abbiegend, über das Kopfsteinpflaster in den engen Straßen holperte. Die Häuser hier standen niedrig und dicht gedrängt beieinander, ab und zu war sogar noch ein Fachwerkgebäude darunter, so dass man das alte Dorf erahnen konnte, das hier, östlich der Saale, einmal bestanden hatte, bevor es von der wachsenden Stadt verschluckt worden war. Falk bog am Supermarkt ab, stellte sein Fahrrad neben dem Parkplatz ab, extra nicht an der Laterne, wo die Nachbarn immer ihre Hunde pinkeln ließen, und betrat den Neubau, in dem die Büroräume des Ingenieur- und Architekturbüros Krehmer untergebracht waren.

      An seinem Schreibtisch angekommen wechselte er ein paar Sätze mit seinen Kollegen während der Rechner hochfuhr, und ging dann los, um sich wie jeden Morgen einen Kaffee zu holen. Erst als er am Platz saß und in seinen Rucksack griff, um seine Frühstücksbrote herauszuholen, musste er feststellen, dass er vergessen hatte, sie zu schmieren, etwas, das ihm noch nie passiert war. Dann sah er auch noch die Sekretärin auf seinen Tisch zukommen, und ahnte, dass sie ihn wieder wegen der Druckerpatronen von der eigentlichen Arbeit abhalten würde. Dies drohte definitiv ein Scheißtag zu werden!

      Falk flüchtete zur Toilette und schloss sich in eine der Kabinen ein. Während er die Musik auf seinem Player durchging, musste er wieder an die Geschehnisse des gestrigen Abends denken. Und selbst als er sich eine ordentliche Playlist zusammengestellt hatte und sich, die Kopfhörer im Ohr, wieder an seinen Schreibtisch gesetzt hatte, blieb ihm immer noch ein Detail im Sinn: die beiden Zeichen, die auf dem Schwert eingraviert waren.

      Das eine war dasselbe runde wagenradähnliche Zeichen, welches auch an dem alten Haus unter dem Giebel angebracht war. Das andere Zeichen war ein einfacher Buchstabe: ein „A“, in einem Kreis, ohne Schnörkel bis auf die horizontalen Standfüße an den unteren Enden und einem etwas verbreiterten rechten Arm, der sich nach links über den schmaleren Arm hinüberschwang. Und Falk hatte das ganz starke Gefühl, dass er dieses Zeichen kannte.

      *

      Falk näherte sich dem Dönerimbiss in der Karl-Liebknecht-Straße und sah seine Kollegen, die schon vorgegangen waren, drinnen sitzen. Als EDV-Verantwortlicher der Firma hatte er sich normalerweise den ganzen Tag mit den technischen Problemen seiner Kollegen herumzuärgern, aber heute, und das war wesentlich schlimmer, auch mit denen seines Chefs, der noch nicht im Zeitalter des Internets angekommen zu sein schien. Und die schwerwiegendsten Probleme bekam sein Chef grundsätzlich mittags um kurz vor zwölf, und nachmittags um halb fünf.

      Falk überquerte die Straße. Ein paar Autos hupten, da er sich dabei viel Zeit ließ. Er hatte noch nie verstanden, wieso manche Menschen immer so schnell gingen. Er schlenderte lieber. Er genoss ein paar warme Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht. Den Kapuzenpullover hatte er sich trotzdem übergezogen, es war immer noch frisch.

      Sein Zimmernachbar Ralf, der neue Auszubildende aus der Abteilung Hochbau, und die Sekretärin saßen dicht gedrängt auf Barhockern an einem der kleinen runden Tische in dem Imbiss, und verzehrten ihre Döner. Es gab keinen Hocker mehr, und Falk stellte sich mit einer Dürumrolle dazu. Sie gingen für gewöhnlich freitags zum Döner, da sie an diesem Tag eine kleinere Runde waren. Viele Kollegen machten schon früher Feierabend, und zu viert passten sie so gerade an einen der Stehtische. Wie immer lag eine Zeitung aufgeschlagen darauf, und jeder versuchte, die anderen mit einer übertriebeneren Schlagzeile zu übertrumpfen.

      „’Kanzlerin jetzt Veganerin’“, las Saskia, die Sekretärin vor.

      „’Modezar feiert Orgie in Potsdamer Villa’“, deklamierte Ralf, und dann: „’Festgenommen werden eine Reihe Minderjähriger, drei stadtbekannte Transvestiten und die Großmutter des bekannten Modeschöpfers’! Die Großmutter? Meine sitzt zu Hause und strickt Socken, und in Potsdam feiern sie Orgien!“

      „Woher weißt du das so genau?“, meinte Falk und biss so herzhaft in seine Rolle, dass die Soße raustropfte. „Vielleicht feiert sie ja auch mit.“

      Der Azubi hatte auch etwas gefunden:

      „’Klimawandel zwingt Pinguin, seinen natürlichen Lebensraum zu verlassen’“, rief er aus, und deutete auf das körnige Foto eines der schwarz-weiß gefiederten Tiere, welches auf einem Schneehügel hockte, während im Hintergrund eine felsige Küste zu sehen war, die wenig einladend aussah.

      Einen Moment schwiegen alle, dann sagte Saskia geduldig:

      „Das ist nicht lustig, Kenni“

      „Vor allem ist das Quatsch.“, befand Falk. „Pinguine fühlen sich in solchen Gegenden pudelwohl. Sie brauchen steinigen Untergrund, daraus bauen sie Nester für ihre Eier.“

      „Echt jetzt? Ich dachte, die buddeln sich Höhlen im Schnee.“, meinte Saskia.

      „Zeig mal das Bild vom Bikinimädchen.“, verlangte Ralf, und sie ließen das Thema fallen, und widmeten sich ihrem Essen.

      Auf dem Rückweg sprachen sie über eine weitere Schlagzeile, sie die im Lokalteil gefunden hatte. Ein älterer Mann aus einem Dorf bei Weimar hatte den Hauptgewinn der Jahresverlosung der Zeitung gewonnen, und die Hälfte seines Gewinns an eine Stiftung gespendet. Sie hatten sich darüber ausgetauscht, ob sie auch so großzügig wären, und waren zu der Übereinkunft gekommen, dass es wohl auf die Größe des Gewinns ankäme.

      An der Firma angekommen rauchten Saskia und Ralf draußen