Johanna Danneberg

Argots Schwert


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an diesem Donnerstagabend vor der Garage „den Grill angeschmissen“, was bei Konrad regelmäßig in ein mittelschweres Besäufnis ausartete.

      Falk war froh, heute vergleichsweise zeitig den Absprung geschafft zu haben, auch wenn er nun, da Robs und Fanni sich ihm angeschlossen hatten, deutlich langsamer voran kam als geplant. Immerhin hatte er sich in weiser Voraussicht mit einem Bier versorgt. Er blieb stehen um auf die anderen zu warten, und wünschte, er hätte mehr Dosen mitgenommen.

      Langsam sehnte er sich wirklich nach seinem Bett. Falk wohnte zusammen mit Robs in einer kleinen Dachwohnung, die sich, von Konrad aus gesehen, auf der anderen Seite des Bergs befand. Die kürzeste Verbindung war daher die schmale gewundene Straße, die sich durch den Wald fast bis zur Kuppe des Hausbergs hinaufschlängelte und auf der anderen Seite wieder hinunter. Und auf dieser Straße stand Falk nun, während es immer später wurde, und das Weckerklingeln am nächsten Morgen näher rückte. Das Hausbergviertel hatten sie schon lange hinter sich zurückgelassen. Straßenlaternen gab es hier oben nicht, was ihm auf dem Hinweg vor einigen Stunden, als die warme Spätsommersonne noch geschienen hatte, gar nicht weiter aufgefallen war. Inzwischen hatte es sich nicht nur merklich abgekühlt, sondern mit der Nacht waren auch Wolken aufgezogen, die den Mond verdeckten. Fanni und Robs schlossen zu Falk auf.

      „Mir ist voll kalt.“, jammerte Fanni.

      „Ich könnte auch nen Schluck gebrauchen.“, sagte Robs.

      „Alle.“, bedauerte Falk, die Dose austrinkend.

      *

      Da sie bereits seit geraumer Zeit wieder bergab unterwegs waren, wusste Falk, dass sie den Wald bald hinter sich lassen und das Wohnviertel diesseits des Hausbergs erreichen würden. In einigen hundert Metern Entfernung konnte er bereits die gelblichen Lichtkegel der Straßenlaternen erkennen, die einen Parkplatz mit einer Bushaltestelle beleuchteten.

      Dann riss plötzlich die Wolkendecke auf. Dahinter kam der fast volle Mond zum Vorschein und tauchte die Straße vor ihnen für einen Moment in farbloses Licht. Zu ihrer Rechten verlief ein Drahtzaun, und das Mondlicht ließ den dichten verfilzten Wald dahinter umso schwärzer erscheinen. Ein paar Meter weiter vorne führten zwei krumme Treppenstufen zu einem Tor im Zaun. Es stand einen Spalt breit offen. Ein schmaler Pfad führte in das Gestrüpp dahinter und verlor sich in der Dunkelheit. Zwischen den Bäumen beleuchtete der Mond die Umrisse eines Hauses. Sie hielten an. Fanni sagte:

      „Sieht aus wie ein Geisterhaus. Total verfallen.“

      „Da wohnt schon seit Ewigkeiten niemand mehr.“, sagte Robs. „Falk, weißt du noch, wie wir mal reingeguckt haben?“

      „Ihr wart doch da nicht wirklich drin?! Ihr seid ja bescheuert! Komm schon Robert, lass uns gehen.“

      „Es war eigentlich vollkommen leer, bis auf einen alten Kachelofen.“, meinte Falk.

      Er ließ die Bierdose in seinen geräumigen Wanderrucksack fallen und probierte, das Tor weiter aufzudrücken. Quietschend gab es nach.

      „Hör auf!“, rief Fanni und kicherte nervös.

      „Ich schau mal nach, ob jemand da ist.“, sagte Falk, öffnete das Tor und betrat das Grundstück. Als er sich umdrehte, bemerkte er, wie Fanni Robs einen scharfen Blick zuwarf. Sie zischte:

      „Wenn du das tust, komme ich heute auf gar keinen Fall mehr mit zu dir!“

      Robs schien kurz zu überlegen, dann grinste er sie an und meinte:

      „Na gut, dann sehen wir uns an der Uni.“

      „Aber du kannst mich doch nicht hier stehen lassen!“

      Falk hatte sich schon einige Meter vorsichtig auf dem Pfad vorwärts bewegt. Er hörte Robs irgendwas zu Fanni sagen, und als er sich jetzt noch einmal umdrehte, konnte er zwischen den Zweigen kurz ihr Gesicht als hellen Fleck erkennen, bevor sie die Straße entlang verschwand. Dann tauchte Roberts kantiger Kopf vor ihm auf. Blonde Locken quollen unter seiner Mütze hervor. Er war kleiner als Falk, machte das aber wett, indem er eher zu hüpfen als zu gehen schien.

      „Was das wieder werden soll, Alter.“, sagte sein Freund nun gedämpft. „Ich hätte schön mit Fanni nach Hause und ins warme Bettchen abdüsen können.“

      „Die Frau tötet mir den letzten Nerv, Robs. Hast du sie zur Bushaltestelle geschickt?“

      „Ja. Hab ihr gesagt, sie soll den Bus um 22:30 nehmen.“

      Robs lachte meckernd.

      „Du wolltest sie wohl loswerden?“, fragte er.

      Falk zuckte grinsend die Achseln.

      „Was soll’s.“, sagte Robs. „Sie lässt mich eh noch ran. Wahrscheinlich will sie damit vor ihren Mädels angeben. Schauen wir lieber mal, was du uns hier eingebrockt hast.“

      Beide wendeten sich nach vorne, dem Pfad durchs Unterholz zu. Vor sich sah Falk die Lichtung, wo sich das verfallene Holzhaus wie ein Betrunkener an einige Buchen lehnte. Obwohl die Bäume um diese Jahreszeit noch voller Blätter waren, wirkten sie kränklich und dünn, als würden sie sich gegenseitig das Licht zum Leben nehmen. Gestrüpp schien das Haus von allen Seiten anzufressen, so dass seine Umrisse mit dem Wald verschmolzen.

      Von Nahem betrachtet war es gar nicht groß, mit einem spitzen Dach und vier zierlichen Türmen an den Ecken. Die Fenster schauten ihnen wie schwarze traurige Augen entgegen. Das Haus schien aus einer anderen Zeit zu stammen. Es war komplett aus Holz gebaut. Im Obergeschoss befand sich ein schmaler Balkon, wo sich die Zweige der umstehenden Bäume um die Holzlatten des Geländers schlangen. Eine Terrasse, vom Erdgeschoss aus zugänglich, verlor sich im Dickicht, von einem durchhängenden vermoosten Wellblechdach notdürftig vor Regen geschützt.

      Das Mondlicht fiel von der Seite auf ein geschnitztes Zeichen unter der Dachspitze. Es erinnerte an ein Wagenrad, mit vier von einer zentralen Nabe ausgehenden Speichen, die sich nach außen hin verbreiterten, jedoch ohne den abschließenden Reifen.

      Hier war es so ruhig, dass Falk Robert hinter sich atmen hörte. Plötzlich scheute er sich, aus dem Schutz des Waldes auf die Lichtung zu treten. Robs flüsterte:

      „Was ist denn los, du Held?“

      „Nichts. Auf geht’s!“

      Die beiden huschten über die Lichtung und drückten sich an der Hauswand entlang um die Ecke. Die Eingangstür befand sich auf der Hinterseite und stand halb offen. Drei mit Unkraut bewachsene Steinstufen führten hinauf. Falk schlüpfte ins Innere und hielt inne. Robs blieb dicht hinter ihm. Nur die ersten paar Schritte weit fiel das Mondlicht in einen Flur, in dem Scherben und Laub in kleinen Häufchen hereingeweht verstreut lagen. Gleich rechts sah Falk den Ansatz einer Treppe, die nach unten führte. Er erinnerte sich an ihren letzten Besuch in dem alten Haus – damals war es heller Tag gewesen, aber trotzdem hatten sie sich erst nach einiger Überwindung getraut, die Treppe runter zu steigen. Mit ihren Handys leuchtend waren sie schließlich in einem Kellerraum gelandet, der leer gewesen war bis auf ein paar alte Zeitungen.

      Im Moment wäre Falk um keinen Preis der Welt die Treppe hinunter gestiegen. Vorsichtig machte er einen Schritt in den Flur hinein. Als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er am Ende des Flurs ein Zimmer erkennen. Mondlicht schien durch die Fenster hinein. Als dunklen Fleck sah er den Kachelofen. Irgendetwas schien darauf zu liegen.

      Wie von einem Stromschlag getroffen zuckte Falk zusammen, als Robs hinter ihm leise aber vernehmlich sagte:

      „Alter, ich mach mir gleich in die Hose.“

      Falk entließ zischend seinen angespannten Atem und flüsterte:

      „Siehst du dieses Knäuel da vorne, auf dem Ofen? Ich will nur kurz gucken, was das ist. “

      Sie traten in das Zimmer. Draußen, vor den großen Fenstern, lauerte das Dickicht. Ein weiterer Flur führte nach links in einen Raum, von dem aus, wie sie wussten, die Terrasse erreichbar war. Rechts hinter ihnen begann die Treppe ins Obergeschoss, wo es noch zwei oder drei weitere Zimmer gab, Falk erinnerte sich nicht mehr genau.

      Der