Johanna Danneberg

Argots Schwert


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Bildschirm, wo eine Liste regelmäßig im OKJ zu hörender Sendungen, mit den Namen und Kontaktdaten der dafür verantwortlichen Personen zu sehen war. Carolina Schuberts Sendung hieß ‚Wie es Euch gefällt’, und kam laut Plan alle vier Wochen, immer am letzten Sonntag des Monats.

      „Du hast ein Mädel kennen gelernt?“, bemerkte Micha. „Es geschehen noch Wunder!“

      Falk zuckte mit den Schultern. Micha beschwerte sich:

      „Schade, dass kein Foto dabei ist.“

      „Dafür ihre Email-Adresse .“

      Falk überlegte, dann öffnete er seinen Email-Account und tippte los:

      ‚Hallo Fräulein Schubert’, begann er. Er sei der Typ aus dem Goldschmiedeladen, und ob sie nicht Lust habe, heute Abend ins Para zu kommen, zum grillen.

      Er hielt kurz inne und ersetzte dann „Para“ durch „Paradies-Park“, da er nicht wusste, ob Carolina Schubert von hier kam und wusste, dass die weitläufigen Auenwiesen nahe der Saale, das Paradies, im Allgemeinen nur Para genannt wurde. Dann fügte er seiner Mail noch hinzu, dass er zwar keine weiteren alten Handwerksbetriebe aufgetrieben habe, dafür aber vielleicht eine Sache habe, die sie interessieren könne.

      „Und was soll das für eine Sache sein?“, fragte Micha, der ungeniert mitlas. „Ich hoffe doch wohl kein Körperteil von dir!“

      *

      Da sie sich für vierzehn Uhr zum Fußball spielen verabredet hatten, fuhr Falk eilig in seine Wohnung, zog sich um, zerrte den Lederbeutel achtlos aus seinem Rucksack und stopfte stattdessen seinen Fußball hinein. Fast zwei Stunden verbrachte er dann mit Micha und ein paar Freunden auf dem Bolzplatz bei ihrer alten Schule, bevor er zu Hause in aller Ruhe duschte und schließlich am frühen Abend wieder in die Stadt fuhr. Vorher hatte er noch kurz seine Emails gecheckt. Von Carolina Schubert war keine Nachricht gekommen.

      Er stellte sein Rad am Markt ab. Ein großer Teil der historischen Gebäude hier war aufwendig saniert worden. Wo das nicht mehr möglich gewesen war, hatte man Neubauten dazwischen gesetzt, so dass eine ungewöhnliche Mischung aus Fachwerk und Glasfassaden entstanden war. Das Rathaus an der unteren Ecke des Marktplatzes besaß einen schattigen Torbogen vor dem schweren hölzernen Eingangstor, und einen Turm mit einer Turmuhr, über deren riesigem Zifferblatt gerade der kleine hölzerne Kopf des Jenaer Schnapphans mit weit aufgerissenem Mund auftauchte und sich an dem aussichtslosen Unterfangen versuchte, die goldene Kugel zu schnappen, die ein Engel ihm verlockend vor die Nase hielt. Er schnappte sechs Mal, ein Versuch für jede Stunde des Tages.

      Das älteste Gebäude am Platz beherbergte das Stadtmuseum – ein schmales Fachwerkhaus, dessen tiefschwarze Balken sich vom leuchtend gelb angestrichenen Putz abhoben. Mitten auf dem Markt stand die überlebensgroße dickbäuchige Statue des Jenaer Universitätsgründers, Kurfürst Johann-Friedrich von Sachsen, genannt Hanfried. Warm fielen die Strahlen der tief stehenden Sonne auf den Platz und auf die Tische der ansässigen Cafés und Restaurants, wo man beisammen saß, bei einem späten Milchkaffee oder einem frühen Bier.

      Falk klingelte bei Micha, und wenige Minuten später tauchte sein Freund in der Haustür auf.

      Er hatte sich umgezogen und trug nun Jeans und ein enges T-Shirt, das seinen hageren aber durchtrainierten Oberkörper betonte. Sein Haar, das schon früh weit hinter die Schläfen zurückgewichen war, war so kurz geschoren, als wolle er der US Army beitreten, aber ein paar sorgfältig in Form getrimmte Koteletten schmückten seine ansonsten glatt rasierten Wangen. Micha umwehte ein billiger Männerduft und er sah unternehmungslustig aus.

      „Hat das Mädel dir zurück geschrieben?“, wollte er wissen. „Die vom OKJ?“

      Falk verneinte, und erzählte dann, um Micha keine Gelegenheit zu weiteren Fragen Caro betreffend zu geben, dass es beim Offenen Kanal die Möglichkeit gäbe, eine Sendung über ihr Fußballturnier zu produzieren.

      „Um die Sache publik zu machen, verstehst du?“

      „Dazu bräuchten wir erst einmal einen Platz.“, gab Micha richtigerweise zu bedenken.

      Da sie an dieser Stelle wie immer nicht weiterkamen, beließen sie es dabei, kauften ein paar Bier und etwas Fleisch in dem kleinen Supermarkt um die Ecke und gingen dann weiter in Richtung Paradies.

      Der weitläufige Park erstreckte sich längs der Flussufer, und begann nur wenige Gehminuten vom Zentrum entfernt. Es gab mehrere große Wiesen mit kleinen Baumgruppen dazwischen, einen asphaltierten Skatepark, einen Spielplatz und das Paradies-Café mit einem kleinen Biergarten. Eine Fußgängerbrücke führte über den Fluss, der hier über ein niedriges Wehr rauschte.

      Falk und Micha schlenderten an der Saale entlang und hielten auf eine der Wiesen zu, die unter den dichten Rauchschwaden zahlreicher tragbarer Holzkohlegrills lag. Halb Jena schien sich am heutigen Abend dort versammelt zu haben, um in kleinen und größeren Gruppen zusammen zu stehen oder zu sitzen, Frisbees und Bälle durch die Gegend zu werfen, und dabei Bier zu trinken und Würste zu verspeisen. Auf dem Parkplatz neben der Wiese standen einige Autos mit weit geöffneten Heckklappen, aus denen HipHop dröhnte und sich mit den Klängen von Gitarren und Trommeln einer Gruppe wild umhertanzender Jugendlicher vermischte.

      Micha blieb bei ein paar Bekannten stehen, während Falk Konrad entdeckte, der mit Fönfrisur, kariertem Hemd und Stoffhose wie das Klischee eines Schwiegermutterlieblings aussah, diesen Eindruck aber sogleich zunichtemachte, als er grölte:

      „Falk, du ED-Fauler! Mach mal gleich Druckbetankung, wir haben schon ordentlich angedockt!“

      Er stand inmitten einer Gruppe von vier oder fünf Leuten, die Falk flüchtig kannte, neben ihnen ein halbleerer Bierkasten und ein Grill, an dem sich Konrads jüngerer Bruder halbherzig mit den Kohlen befasste. Auf einer Decke saß Jana, Konrads Freundin, mit ein paar Mädels, die Sekt aus Plastikbechern tranken. Falk stellte sich zu den Jungs und machte ein Bier an seinem Gürtel auf. Klirrend stießen die Bierflaschen zusammen, jemand kickte einen Fußball in ihre Richtung, den Falk mit einer Drehung zurück köpfte, der langhaarige junge Kerl neben Konrad holte ein Flasche Wodka raus, von der er offenbar selbst schon großzügig genippt hatte und Falk wusste, es würde ein guter Samstagabend werden.

      *

      Selbst als es längst dunkel geworden war, strömten immer noch Leute aus der Stadt auf die Wiese und bildeten neue Grüppchen oder stießen zu ihren Freunden. Mittlerweile war schon mehrfach ein Streifenwagen der Polizei über den Parkplatz gerollt, was allerdings niemanden störte, und auch die Beamten schienen nachsichtig aufgelegt zu sein und machten keinen Ärger.

      Falk war gesättigt von mehreren Steaks und mit sich und dem gegenwärtigen Moment im Reinen, nach den drei Bier, die er bereits getrunken hatte. Micha hatte er schon seit einiger Zeit nicht mehr gesehen. Konrads Bruder hatte sich gerade mit seinem langhaarigen Kumpel auf den Weg zu den Büschen am Rand der Wiese gemacht.

      Mit Konrad hatte Falk eine Wette laufen, welche der anwesenden Frauen ihren aktuellen Becher Sekt als erste austrinken würde, und war gerade dabei, Jana, auf die er gesetzt hatte, zu schnellerem Trinken zu ermutigen. Als sie sich stattdessen eine Zigarette anzündete, warf er einen nervösen Blick auf den halbleeren Becher ihrer Freundin Maria.

      Konrad wedelte schon grinsend mit einem Fünf-Euro-Schein. Da entfernte sich Maria mit ihrem Becher in der Hand ein paar Schritte, um irgendwen zu begrüßen. Das verschaffte Falk Luft. Unterdessen hatte Jana jedoch eine ihrer berüchtigten Flaschen, diesmal gefüllt mit einem trüben dunklen Gebräu, aus ihrer Tasche gezogen und bot den Männern davon an. Immerhin nahm sie selber keinen Schluck und nippte stattdessen an ihrem Sekt.

      „Selbstgemachter Schlehenschnaps.“, erklärte sie, und stieß mit einem niedlichen kleinen Rülpser auf. Konrads Freundin sah genauso bieder aus wie er, konnte aber die meisten Männer, die Falk kannte, locker unter den Tisch trinken.

      Falk ließ sich eine großzügige Portion des Schlehenschnapses in einen Pappbecher gießen, stieß mit Jana und ihrem Sekt an, und nahm, in der Hoffnung, dass sie es ihm gleich tun würde, einen kräftigen Schluck, was dazu führte, dass er sich, einen