Johanna Danneberg

Argots Schwert


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Falk wieder klar sehen konnte und bei einem kleinen Ausfallschritt kurz seine Blicke schweifen ließ, bemerkte er, dass sich Janas Freundin gerade mit einem dünnen Mädel in schwarzen Klamotten und einer Zigarette in der Hand unterhielt. Das Licht eines Lagerfeuers in der Nähe spiegelte sich in ihren dunkel geschminkten Augen.

      „Hey, haben wir uns nicht schon mal geseh’n?“, sagte Falk, dachte sogleich, dass das total dämlich klang, trat aber dennoch, die Schnapsflasche noch in der Hand, heran. Stirnrunzelnd schaute Carolina Schubert auf, bevor sich ihre Miene erhellte:

      „Hey!“, sagte sie. „Ich hab deine Email gelesen. War auf der Suche nach dir, und da hab ich Maria gesehen.“

      „Woher kenntn ihr euch?“, lallte diese. Falk erinnerte sich, dass sie mit Jana gemeinsam irgendwo in der Verwaltung der Uni arbeitete und die nervige Angewohnheit besaß, nie ihre eigenen Getränke mitzubringen.

      „Ach, wir sind uns bloß heute Vormittag zufällig über den Weg gelaufen.“, meinte Caro nun zu ihr, Falk nicht aus den Augen lassend. „Als ich gesehen hab, dass ich eine Mail von einem Falk Bauersbach bekommen hatte, wusste ich erst gar nicht, wer das sein soll. Du hattest dich ja vorhin gar nicht vorgestellt. Wie unhöflich!“

      „So bin ich. Aber ich mach's wieder gut. Hier, willst du mal probieren? “

      Er bot Caro die Flasche mit dem Beerenschnaps an.

      „Nein danke“, sagte sie, das Gebräu misstrauisch beäugend. „Ich vertrag nicht so viel Alkohol.“

      „Ich nehm nen Schluck“, verkündete Maria. „Kann den Sekt sowieso nicht mehr sehen!“

      Sie schüttete sich den Rest aus ihrem Becher in den Mund, und zog gleich mit der ganzen Schnapsflasche davon. Sogleich hörte Falk Konrad hinter sich triumphieren. Er trat mit Caro zu den anderen und stellte sie vor, bevor er unauffällig seine Wettschuld bei Konrad beglich.

      Schon kurz darauf hatten Caro und Konrad festgestellte, dass sie sich aus der Mensa der Uni kannten. Konrad fragte, ob sie eigentlich „aus dem Westen“ käme – was natürlich nicht weiter schlimm sei!, wie er versicherte, er habe sich nur gefragt, wegen ihres nordischen Dialekts.

      Weiter kam er nicht, denn Falk hatte ihm einen kräftigen Stoß verpasst, doch Caro lächelte ihr ebenso spöttisches wie offenherziges Lächeln und erzählte, er habe schon ganz richtig gehört, sie stamme aus Hildesheim, einer „Rentnerstadt“ bei Hannover, und sei zum studieren nach Jena gekommen. Was sie momentan mache?, wollte Konrad daraufhin wissen und als Caro sagte, sie sei bei ihrer Magisterarbeit in Geschichte und sofort hinterher schob, sie wolle nicht darüber reden, lachte Konrad, der gerade im zweiten Anlauf an seiner Diplomarbeit in Betriebswirtschaftslehre arbeitete, laut auf, erklärte, dass man darauf durchaus einen trinken konnte, und schenkte aus einer weiteren Flasche von Janas Schnaps an alle aus.

      *

      Später standen Falk und Caro etwas abseits von den anderen und kamen wieder auf ihre Begegnung vom Vormittag zu sprechen. Irgendwie war schon wieder ein volles Bier in Falks Hand gelangt, während Caro, die bisher alle Getränke abgelehnt hatte, inzwischen eine Flasche Cola aus ihrem Rucksack gekramt hatte.

      „Was hast du denn nun für mich und meine Sendung?“, wollte Caro wissen.

      „Naja, meine Mutter, sie arbeitet doch in dem Salon am Markt, von dem ich dir vorhin erzählt hab.“

      Caro hörte ihm aufmerksam zu, und Falk bemühte sich um Konzentration. Er fuhr fort:

      „Und wo du das vorhin sagtest, das mit den Badern, da ist mir eingefallen, dass da so ein riesiger Holzbottich in der Ecke steht. Sie bewahren, glaube ich, die Handtücher darin auf. Er sieht ziemlich alt aus, du weißt schon, mit so schmiedeeisernen Spangen drum. Und da dachte ich, vielleicht kann ich meine Mutter mal fragen, wo sie den herhaben.“

      „Mensch, das wäre ja toll, Falk!“, rief Caro. „Wer weiß, der Zuber könnte durchaus ein paar Hundert Jahre alt sein. Diese Dinger halten ewig. Und eines der Jenaer Badhäuser war am Markt, das weiß ich!“

      Sie zog ein kleines Notizbuch hervor und kritzelte ein paar Zeilen hinein.

      „Vielleicht frage ich auch selber mal nach, gleich Montag.“, murmelte sie noch.

      Ermutigt fragte Falk:

      „Hast du denn eigentlich dein Interview mit dem Goldschmied bekommen? Diesem Argot?“

      „Ja!“, sagte Caro und warf das Notizbuch achtlos in den Rucksack. Sie erzählte, dass sie ihn vorhin gleich angerufen und für die nächste Woche einen Termin mit ihm ausgemacht habe.

      Konrads Bruder stolperte an ihnen vorbei und verschwand in einem nahen Gebüsch, wo kurz darauf würgende Geräusche zu vernehmen waren. Caro machte ein Gesicht, als wolle sie gleich selber kotzen und zündete sich eilig eine Zigarette an. Falk überlegte, mal nach dem Jungen zu sehen, aber glücklicherweise eilte der langhaarige Kumpel, der selber nicht mehr gerade stehen konnte, heran, und Falk zog Caro in eine andere Richtung.

      „Und was fragst du den Goldschmied dann im Interview?“, erkundigte er sich, während sie langsam an der Wiese entlang schlenderten.

      „Naja, zum Beispiel, wie lange man seine Vorfahren zurückverfolgen kann, woher die Argots ursprünglich kamen, solche Sachen halt.“

      „Woher weißt du überhaupt schon so viel über diesen Argot und seine Familiengeschichte? Also zum Beispiel auch, dass seine Vorfahren früher Waffenschmiede waren?“

      Überrascht sah sie ihn an.

      „Mensch, du hast aber vorhin im Laden genau aufgepasst, als ich mit Argot geredet habe!“

      Es schien ihr zu schmeicheln. Sie fuhr fort:

      „Wir hatten mal ein Seminar, weißt du, es ging um die ‚Zünfte in Jena’. Da hab ich das erste Mal von den Argots gehört, dieser alten Jenaer Schmiedefamilie, die erst Schwertschmiede waren, und dann im Laufe der Generationen, als handgeschmiedete Waffen nicht mehr in dem Maße gebraucht wurden, zu Hufschmieden und schließlich zu Goldschmieden wurde. Das hab ich mir alles noch mal durchgelesen, ich musste mich ja vorbereiten, bevor ich zu ihm in den Laden gehe. Ich wusste, dass er ein schwieriger Typ ist und ich wollte unbedingt dieses Interview. Also dachte ich, ich wage mal einen Schuss ins Blaue und frage gezielt nach den interessanten Details, also dem, was auch die Zuhörer später wirklich interessiert. Und dazu gehört das Thema Waffenschmied in jedem Fall, das klingt halt einfach spannend. Ich glaub, das Seminar war im 6. Semester oder so. Schon damals hatte ich irgendwie die Idee mit der Radiosendung. Verrückt.“

      Wie alt Caro wohl sein mochte, fragte sich Falk. Vielleicht ein bisschen älter als er, Mitte Zwanzig? Unterdessen hatte Caro weiter geredet.

      „Es heißt, dass alle, wirklich alle Männer dieser Familie Schmiede waren. Das ist wirklich außergewöhnlich. Ihre Linie lässt sich angeblich bis ins Hochmittelalter zurückverfolgen!“

      Falk zögerte, ob er so tun sollte, als wisse er, wovon sie redete. Robs hätte es sicherlich so gemacht, und Micha auch.

      „Also, entschuldige, dass ich jetzt so blöd frage, aber von wann bis wann war denn das eigentlich genau, das Mittelalter?“

      Entrüstet sah Caro ihn an.

      „Das ist eine sehr gute Frage! Überhaupt nicht blöd! Der Zeitraum ist nämlich in der Fachwelt nicht unumstritten!“

      Sie holte tief Luft:

      „Eigentlich ist die gängige Lehrmeinung, dass das Mittelalter in Europa mit der Herrschaft durch Karl den Großen begann, also um 700 nach Christus, und mit der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus endete, also 1492 – wobei der amerikanische Kontinent natürlich schon früher entdeckt wurde, vermutlich von bretonischen Fischern, aber das ist eine andere Geschichte. Was die historische Periode 'Mittelalter' angeht, so sprechen manche Fachleute jedenfalls auch von einem viel längeren Zeitraum, von mindestens 1000 Jahren, und natürlich sind die Grenzen fließend. Worauf man sich halbwegs einigen konnte, ist eine grobe Unterscheidung in drei Phasen: das Frühmittelalter, das Hochmittelalter