Johanna Danneberg

Argots Schwert


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Er muss am Leipziger Uniklinikum gearbeitet haben, und er war wohl sogar ein ziemlich hohes Tier. Das gab's nämlich auch: Vorzeigeadlige im Arbeiter- und Bauernstaat. Jetzt mischt er immer noch in der Leipziger Kommunalpolitik mit.“

      „Woher weißt du das bloß alles?“, fragte Falk.

      „Das mit dem von Flotow hat mir Theresa erzählt. Wir haben vorhin telefoniert. Ich hatte sie angerufen, als in den Nachrichten kam, dass der Witwer der Verstorbenen ein Arzt aus Leipzig ist. Ich soll dich übrigens grüßen. Also von Resa, meine ich.“

      Falk nickte und bemühte sich, ein gleichgültiges Gesicht zu machen. Dass offenbar einige höhere Kreise mit der toten Frau zu tun hatten, gefiel ihm gar nicht. Solche Menschen hatten Geld und Einfluss. Was, wenn man beginnen würde, nach diesem Schwert, dass Marie in das Haus gebracht hatte, zu suchen? Ob es wohl wertvoll war? Ihm fiel auf, dass er ununterbrochen seine fast volle Bierflasche in den Händen drehte. Rasch nahm er einen Schluck von dem schalen Getränk.

      In diesem Moment kam seine Mutter herein und trällerte:

      „Sagt bloß ihr seid immer noch bei diesen feinen Herren von und zu Leuchtenburg, Lobdeburg und was weiß ich nicht alles! Stellt euch vor: der kleine Tim von gegenüber, der hat doch grad einfach so, ohne Grund, den Matthi vom Gerüst geschubst! Ich hab’s genau gesehen! Keine Erziehung, die Kinder von heute!“

      Kurz darauf begann Falk, seinen Aufbruch in die Wege zu leiten. Er machte dabei den Fehler, zu erwähnen, dass er zufällig erst gestern mit einer Freundin über die Leuchtenburg gesprochen habe. Noch während er seine Unvorsichtigkeit bereute, wollte seine Mutter schon wissen, woher er sie denn kennen würde, diese ‚Freundin’, und machte, um nicht direkt nach der Frisur fragen zu müssen, eine Reihe beiläufiger Bemerkungen über die vielen jungen Kundinnen in letzter Zeit, die alle diesen fransigen Haarschnitt verlangt hätten, der momentan so modern sei. Dann verging noch einige Zeit, bis Falk das geflickte Schlauchboot, aus dem Klaus die Luft wieder abgelassen hatte, und das, so hatte er versichert, nun dichthalten würde, sorgfältig zusammengefaltet und in einer großen reißfesten Tüte verstaut, ein paar der Einmachgläser voller Pflaumen und Apfelmus in seinen Rucksack gepackt, und eine Tupperdose mit Kuchen, die ihm Claudia aufdrängen wollte, erfolgreich abgewehrt hatte, um schließlich nach allerlei Umarmungen und zusammenhanglosen Informationen seiner Mutter bezüglich Resa, der Arbeit, der Wohnung, dem Wetter, Romeo, Klausi und dem Garten mit brummendem Schädel draußen, vor dem Haus, endlich seine Mütze aufsetzen, sein Fahrrad abschließen und losradeln konnte.

      Tag 5 - 6, Montag bis Dienstag

      Am Montag erschien im Lokalteil der Thüringer Landeszeitung ein Artikel über den mysteriösen Tod der alten Dame in Jena. Ein Foto, laut Bildunterschrift aus dem letzten Jahr, zeigte sie zusammen mit ihrem Mann in der kiesbestreuten Auffahrt zu einem großen Haus, offenbar ihrem Wohnsitz bei Altenburg. Marie von Flotow wirkte sehr klein und zerbrechlich, insbesondere, da sich neben ihr ein riesiger Rassehund postiert hatte. Die Aufnahme war anscheinend von einem Profi gemacht worden, sie war ausgeleuchtet wie in einem Werbeprospekt. Auffallend an Marie waren ihre üppigen dunklen Locken, die sie viel jünger erscheinen ließen als sie zu ihrem Tod gewesen war, nämlich 52 Jahre alt. Die ganze Familie von Flotow – Mann, Frau und Hund - hielten sich auf dem Foto kerzengerade aufgerichtet vor dem prächtigen Anwesen, und alle drei machten auf Falk, der den Artikel in seiner Mittagspause beim Fleischer, wo immer ein paar Zeitungen auslagen, las, einen ziemlich arroganten Eindruck.

      In dem Text zum Foto wurden weitere Fakten zusammengefasst: bei der Obduktion von Marie von Flotows Leichnam, die in der Pathologie der Uniklinik durchgeführt worden war, hatte sich herausgestellt, dass die geborene Leuchtenburgerin mit einem Blutalkoholwert von über 2 Promille in der Nacht von Donnerstag auf Freitag gestorben sei. Ihr Auto, einen Mini, hatte man auf dem nahe gelegenen Parkplatz entdeckt. Zum Fundort der Leiche, dem verfallenen Holzhaus am Hausberg, hatte anscheinen jemand im Bauamt recherchiert und herausgefunden, dass es im Besitz der Eltern von Marie von Flotow gewesen war, die auch bis Ende der 80er Jahre dort gewohnt hatten. Nach dem Tod ihrer Eltern hatte Marie das Haus geerbt und offensichtlich verkommen lassen, es aber auch nie verkauft. Im Obergeschoss waren ihre Tasche und ein Fotoalbum gefunden worden, mit Kinder- und Jugendfotos der Verstorbenen, außerdem eine leere Weinflasche und verschiedene verschreibungspflichtige Medikamente. Offenbar war sie, stark alkoholisiert und unter dem Einfluss der Medikamente, in ihrem ehemaligen Elternhaus die Treppe heruntergestürzt und hatte sich das Genick gebrochen. Ihr Tod war als tragischer Unfall deklariert und weitere Nachforschungen eingestellt worden.

      Dennoch war das allgemeine Interesse an dem Todesfall ungebrochen groß. Aus einem Gespräch der Sekretärin mit der Auszubildenden, das Falk zufällig mitbekam, als er sich am Nachmittag einen Kaffee holte, konnte er einen Grundton genüsslicher Entrüstung heraushören: es zeigte sich hier, dass selbst hinter der vornehmen, gediegenen Fassade einer Adelsfamilie Abgründe aus Alkohol und Verwahrlosung lauern konnten. Und das, obwohl der Witwer, Paschen von Flotow, in Leipzig eine einflussreiche Persönlichkeit war!

      Als Falk nach Feierabend nach Hause radelte, bemerkte er einen kleinen Trupp Journalisten am steilen Steinborn, die Passanten ihre Mikrofone unter die Nase hielten. Später, in den Lokalnachrichten bei JenaTV um zwanzig Uhr, kam sogar Falks Nachbarin zu Wort, die aussagte, dass man sich „hier in den Straße ja schon immer gefragt“ habe, warum das wunderschöne alte Holzhaus oben im Wald so vergammeln konnte. Nun aber, so fabulierte die Nachbarin weiter, sei all das verständlich: die alte Marie von Flotow hatte sich aus nostalgischen Gründen nicht von ihrem Elternhaus trennen können, aber auch nicht die Mittel besessen, es wieder herrichten zu lassen.

      In dem Beitrag wurden auch die mittelalterlichen Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Leuchtenburgern und der Familie der Lobdeburger thematisiert. Helmut von Lobdeburg, der bekannte Lokalpolitiker mit Ambitionen auf das Bürgermeisteramt in Lobeda, wurde erwähnt. Außerdem hatte sich ein Professor an der Universität gefunden, der zu berichten wusste, dass sich ein Vorfahr der toten Leuchtenburgerin als Ritter in irgendwelchen Scharmützeln des 14. Jahrhunderts hervorgetan hatte.

      Am Dienstag erschien eine Hintergrundreportage über die ehemalige Stammburg des Geschlechts der Leuchtenburger, wieder in der Thüringer Landeszeitung. Alte Gemäuer und Burgruinen gab es zwar zu Hunderten in Thüringen, die Leuchtenburg jedoch war ungewöhnlich gut erhalten und ragte auf einem Tafelberg hoch über der Saale bei Kahla, etwa 20 Kilometer von Jena entfernt, auf. Der markante Umriss, mit dem einzelnen hohen Turm in der Mitte, dem sogenannten Bergfried, war von den höher gelegenen Jenaer Stadtvierteln aus klar zu sehen, und galt als Wahrzeichen der Region.

      Der Witwer schließlich ließ, ebenfalls am Dienstag, eine Pressemitteilung herausgeben, die in den Nachrichten zitiert wurde und in der es hieß, er sei „tief betroffen und erschüttert“ über den „unerwarteten tragischen Verlust“ seiner „geliebten Ehefrau“, er danke „für die Anteilnahme und den Zuspruch in dieser schweren Zeit“,und er wünsche sich nun „Ruhe und Respekt vor der Privatsphäre der Familie“.

      Falk war zwar durchaus erleichtert gewesen, als offiziell bestätigt worden war, dass Marie durch einen Unfall ums Leben gekommen war, denn nun hatte er nicht mehr das Gefühl, möglicherweise wichtige Beweisstücke in seinem Besitz zu haben. Dennoch ahnte er, dass es für die Polizei höchstwahrscheinlich von Belang wäre, wenn sie von dem Schwert und dem Brief wüssten. Seine Beunruhigung über die Situation war erschöpfend, und er war am Montagabend im Wohnzimmer vor dem Fernseher eingeschlafen.

      Im Büro wurden die Geschehnisse glücklicherweise schon am Dienstag nur noch am Rande diskutiert, da der Chef mit gleich zwei großen Aufträgen von einer Messe in Frankfurt zurückgekehrt war. Außerdem fiel gegen acht Uhr dreißig morgens der Plotter aus. Falk war vollauf beschäftigt, die Wartungsfirma zu beauftragen, sowie den Ersatzplotter einzurichten und auf allen Rechnern zu installieren.

      Er stürzte sich mit deutlich mehr Elan als üblich in die Arbeit, denn er hatte festgestellt, dass sich das unangenehme Gekribbel in seinem Bauch durch Ablenkung am besten vermeiden ließ. Er durfte einfach nicht mehr an die tote Adlige denken, oder gar an ihre Habseligkeiten, die weiterhin im Bettkasten seines Schlafsofas verstaut waren. Dort lagen nun der Beutel,