Johanna Danneberg

Argots Schwert


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einem nahegelegenen Imbissstand in der Sonne saß, erhielt er eine Textnachricht von Caro. Sie wollte wissen, ob es bei ihrer Verabredung zum Schlauchboot fahren bleiben würde. Falk antwortete sogleich und schlug als Treffpunkt die Straßenbahnhaltestelle an der Camsdorfer Brücke vor.

      Falk machte zeitig Feierabend, kam fünf Minuten vor dem vereinbarten Zeitpunkt um vier Uhr an der Brücke an, und war angenehm überrascht, dass Carolina Schubert bereits da war. Sie stand an die steinerne Brüstung gelehnt, schnippte die Asche ihrer Zigarette hinunter ins Wasser, und trug ihre übliche Uniform aus schwarzen Klamotten. Kurz bevor er sie erreichte, drehte sie sich um, als hätte sie gespürt, dass sie beobachtet wurde.

      Einen winzigen Moment lang war Falk unsicher, wie er Caro begrüßen sollte; ihr schien es ähnlich zu gehen, doch dann umarmte sie ihn kurzerhand, und deutete auf den Wanderrucksack auf Falks Rücken.

      „Sag bloß, da ist unser Boot drin?“

      „Klar ist da das Boot drin. Wir müssen es nur noch aufpumpen.“

      Caro zog an ihrer Zigarette.

      „Ok. Dann pump mal.“

      Falk lachte.

      „Um dann mit dem aufgeblasenen Gummiboot in die Straßenbahn zu steigen? Wir fahren doch jetzt erst mal bis Lobeda. Dort pumpen wir das Boot auf, lassen uns flussabwärts treiben und steigen hier irgendwo wieder aus.“

      „Nach Lobeda? Spannend. Da wollte ich schon immer mal hin.“, sagte Caro als wäre es eine wissenschaftliche Exkursion. Falk erwähnte nicht, dass er dort aufgewachsen war.

      Sie nahmen die nächste Straßenbahn, und fuhren zunächst durchs Paradies, dann folgten Kleingartenanlagen und die beiden Stadtteile Burgau und Wöllnitz, die früher einmal kleine Dörfer am Stadtrand gewesen waren, und nun mitsamt Kapelle, Dorfplatz und Freiwilliger Feuerwehr eingemeindet worden waren.

      Die Saale floss rechts der Bahnlinie, links erhoben sich die steilen Kalksteinfelsen. Sie passierten Alt-Lobeda - auch dies war einmal ein eigenständiges Dorf gewesen. Jetzt lagen die Fachwerkhäuser im Schatten der Plattenbauten von Lobeda, die direkt neben dem alten Dorfkern in die Höhe ragten, und bis an die Hangfüße herangebaut worden waren. Hoch darüber, auf einem Vorsprung im Kalkstein, bröckelte die Ruine der Lobdeburg vor sich hin. Die Burg bestand, ganz anders als die vollständig erhaltene Leuchtenburg, nur noch aus den Resten des gemauerten Fundaments, die den Grundriss erahnen ließen, und einer einzelnen Seitenwand.

      Sie fuhren in das Hochhausviertel. Falk sah aus dem Fenster, als sie an der Haltestelle vorbeikamen, wo er normalerweise ausstieg, wenn er mit der Bahn zu seinen Eltern fuhr. Hier befanden sich der Supermarkt, ein paar Klamottenläden, sowie eine Post- und eine Sparkassenfiliale. Das gesamte Plattenbaugebiet Lobeda war so konstruiert worden, dass die Einwohner sich komplett hier versorgen konnten. Von der Hauptstraße, entlang der die Straßenbahnschienen nun führten, zweigten kleinere Straßen ab, die sich in den Tiefen des Wohngebiets verloren. Sie passierten auch den Salvador-Allende-Platz und die Baustelle für das große Bürogebäude mit angeschlossenem Fitnesscenter, an dessen Plänen Falk kurz nach seiner abgeschlossenen Bauzeichnerausbildung bei Krehmer noch mitgearbeitet hatte, bevor er die EDV-Zusatzausbildung absolviert hatte. Linkerhand lag das neue Klinikum der Universität. Die Bahn, bis hierhin vollbesetzt, leerte sich zusehends an den folgenden Haltestellen; zum Feierabend strömten die Menschen, die im Stadtzentrum arbeiteten, nun in ihre Wohnungen zurück. Dann hielten sie an der Endhaltestelle, Lobeda-West.

      „Hier müssen wir raus“, sagte Falk und schulterte sein Gepäck. Caro hatte wieder ihren Bundeswehrrucksack dabei, der ihren Angaben zufolge Proviant enthielt. Sie stiegen aus. Die letzten Mitfahrer strebten in Richtung der Wohnblöcke, zu deren Füßen Kinder auf Spielgeräten herumturnten, Jugendliche in Gruppen beisammen standen, und alte Leute auf den Bänken in der Sonne saßen.

      Falk und Caro gingen zu Fuß an einer schmalen Straße Richtung Autobahn weiter, die auf einem breit angelegten Wall hinter einer Lärmschutzwand an den hintersten Blöcken von Lobeda vorbeiführte. Eine nach Urin stinkende Unterführung brachte sie unter der Autobahn durch auf die andere Seite, wo die Stadt abrupt endete und ein Acker begann. Der Blick war frei auf Felder und Wiesen, dahinter begann ein Waldgebiet, das, wie Falk wusste, bis zur Leuchtenburg reichte.

      Bisher hatten er und Caro nur wenige Worte gewechselt, die Fahrt und der kurze Fußmarsch waren wie ihm vorgekommen wie eine kleine Reise in eine andere Welt. Nun hielt Caro an, um sich ihre Lederjacke auszuziehen.

      „Warm heute.“, bemerkte sie, und zündete sich eine Zigarette an. „Wo ist denn nur der verdammte Fluss?“

      Falk deutete nach rechts auf einen schmalen Feldweg, der am unteren Ende des Autobahndamms in die Büsche führte. Sie folgten ihm und landeten schließlich an einer sandigen kleinen Bucht, die den Blick auf die träge fließende Saale freigab. Die vergangenen Tage waren wieder spätsommerlich warm gewesen und der Wasserstand war deutlich gesunken. Vom Hochwasser waren nur die Grasbüschel geblieben, die in den Ästen der Weiden am Ufer hingen.

      Die Bucht, das wusste Falk, war am vielerorts dicht bewachsenen Ufer ein beliebter Platz, um Kanus und andere Boote zu Wasser zu lassen. An diesem stillen Dienstagnachmittag waren sie jedoch die einzigen, und sie machten sich daran, das Schlauchboot mit einer Fußpumpe, die Falk ebenfalls eingepackt hatte, aufzupumpen, es ins Wasser zu schieben, ihre Rucksäcke darin zu verstauen, vorsichtig ins Wasser zu waten und sich schließlich in die kleine Gummischale zu schwingen.

      Es war mittlerweile fast fünf Uhr. Falk hatte zwei kleine zusammensteckbare Plastikpaddel mitgebracht, wovon er eines Caro reichte. Die Strömung nahm sie gemächlich mit sich, und sie brauchten nur ab zu einen einzelnen Ruderzug zu machen, um nicht in den Zweigen der Bäume am Ufer hängen zu bleiben. Der Fluss war hier etwa zwanzig Meter breit und so flach, dass der Rumpf des Schlauchbootes gelegentlich, wenn sie zu nahe an die Ufer kamen, sachte über die Algen strich, die vom Grund emporwuchsen.

      Nach einigen Flussbiegungen tauchte über ihnen die Autobahnbrücke auf, die wie ein römisches Aquädukt über das Saaletal führte. Dahinter begann wieder das Stadtgebiet, doch die dichte Ufervegetation trennte sie nun von den Plattenbauten Lobedas. Auf kleinen Steinen, die aus dem Wasser ragten, saßen Vögel, Libellen glitten im Tiefflug über die glitzernde Strömung und einmal sahen sie, in einer kleinen Seitenbucht, die vollkommen glatt und dunkel innerhalb ausgespülter lehmiger Uferränder lag, den braunen glänzenden Kopf einer Wasserratte, die zielstrebig auf ein Bündel angeschwemmten Geästs zupaddelte und dabei eine sanft gekräuselten Spur auf der Wasseroberfläche hinter sich herzog.

      Der Lärm der Stadt drang nur gedämpft zu ihnen an den Fluss. In der Wärme der tiefstehenden Sonne schloss Falk die Augen, und einen Moment lang hatte er wieder das Gefühl, weit weg von Jena zu sein, irgendwo, wo er noch nie zuvor gewesen war.

      „Eigentlich kann ich Wasser nicht ausstehen.“, riss Caro ihn aus seinen Gedanken. Sie saß im Schneidersitz am vorderen Ende des Schlauchboots, mit dem Rücken zur Fahrtrichtung, hatte ihr Paddel quer vor sich abgelegt und ließ eine Hand träge über die Bordwand hängen. Falk saß ihr gegenüber und korrigierte gelegentlich mit seinem Paddel den Kurs.

      „Aber duschen tust du schon ab und zu?“

      „Nur wenn ich wichtige Verabredungen habe.“

      „So wie heute?“

      „Unser Paddeldate? Dafür kennen wir uns noch nicht gut genug, dass ich extra für dich duschen würde.“

      „Dann wäre es wohl angebracht, dass ich dich nachher mal ins Wasser reinschmeiße, was?!“

      „Untersteh dich!“ Jetzt lachte sie laut auf, und erklärte dann: „Nee, was ich eigentlich meinte: ich mag keinen Wassersport, schwimmen, rudern, so was halt.“

      „Und machst du sonst irgendeinen Sport?“, fragte Falk. „Etwas, das nichts mit Wasser zu tun hat?“

      „Seh ich so aus?“, sie schaute ihn entrüstet an. „Ich hasse Sport.“

      Ihre Arme waren tatsächlich so dünn wie Kinderarme, dachte Falk. Wie zum Beweis ihrer Worte zündete Caro sich gleich noch