Johanna Danneberg

Argots Schwert


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einfach abzuwarten, was passieren würde. Außerdem war er nun doch gespannt auf diesen Typen, zumal sie nicht gerade den Eindruck machte, als würde sie sich auf die Begegnung freuen. Er ging vor, so dass Caro ihm folgen musste.

       *

      Wer das überhaupt sei, dieser Tobi?, erkundigte sich Falk, während sie den Innenhof überquerten und auf den gegenüber liegenden Gebäudeteil zusteuerten. Caro fummelte ihre Zigarette wieder in die Packung.

      „Ach, wie gesagt, ein Bekannter aus der Uni.“, sagte sie, bevor sie hinzufügte: „Wir waren mal ein paar Monate zusammen, weißt du, ist aber schon Jahre her.“

      „Aha. Und was genau untersucht dein Ex in seiner Doktorarbeit?“

      „Fang gar nicht erst an, ihn meinen Ex zu nennen!“, rief Caro, und erklärte dann, dass der Arbeitstitel ‚Thüringer Hochadel unter wettinischer Verwaltung von Interregium bis Kaiserzeit’ laute.

      „Kann man das auch weniger kompliziert ausdrücken?“

      „Es geht um Adel in Thüringen, im späten Mittelalter, unter den Wettinern.“

      „Und wer sind die Wettiner?“

      Caro erzählte, dass dies ein Geschlecht von Fürsten sei, die früher vor allem in Sachsen sehr mächtig gewesen seien.

      „Irgendwann haben sie ihren Einflussbereich von der Mark Meißen aus immer mehr auch ins heutige Thüringen vergrößert. Dann gab es ständig irgendwelche Erbteilungen und schließlich eine Trennung in zwei wettinische Linien, so ähnlich wie bei den Lobdeburg-Leuchtenburgern. Der eine Zweig der Wettiner hat hier in der Region über Jahrhunderte hinweg regiert, bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1806.“

      Sie warf ihm einen Seitenblick zu und fügte dann hinzu:

      „Das war der offizielle Name des Gebiets, was heute Deutschland ist, bis Napoleon 1806 alle deutschen Truppen besiegt hatte und das Reich zerfiel. Eigentlich war es viel größer als das heutige Deutschland – Italien gehörte zum Beispiel auch dazu.“

      Sie hatten in der Zwischenzeit einen efeuumrankten Laubengang durchquert und das Gebäude auf der anderen Seite des Innenhofs betreten. Während der ehemalige Herzogssitz von außen prunkvoll wirkte, war er drinnen funktional für die Nutzung als Universitätsgebäude ausgestattet, wobei eine Sanierung überfällig schien. Der Fußboden war mit blassgrünem welligem Linoleum ausgelegt, die Seminarräume links und rechts der Gänge waren mit Pappschildern nummeriert, und die Wände zeigten Risse. Die Cafeteria, ein großer Raum neben dem Treppenhaus, verströmte den Charme einer Kaserne, und hatte auch in den Semesterferien geöffnet, da sich im dritten Stock die Bibliothek der Rechtswissenschaften befand, wo angehende Juristen permanent in ihren Gesetzesbüchern blätterten, und dabei ungeheuren Kaffeebedarf entwickelten. Falk wusste das, weil vor einigen Wochen eines morgens eine Jurastudentin mit am Frühstückstisch gesessen hatte, die Robs am Abend zuvor kennen gelernt hatte.

      Momentan hockten nur vereinzelt ein paar Studenten herum, außerdem ein alter Mann in verdreckten Klamotten und Handschuhen mit abgeschnittenen Fingern. Falk sagte beiläufig:

      „Ist er das? Dein Ex?“

      Caro, die sich suchend umgesehen hatte, stieß ihn mit dem Ellenbogen in die Rippen, raunte, dass Tobi offenbar noch nicht hier sei und steuerte einen der Tische in der hinteren Ecke der Cafeteria an. Falk, ihr folgend, hatte unter Studenten immer das Gefühl, sie könnten ihm ansehen, dass er hier an der Uni nichts verloren hatte.

      Bin auch verdammt froh darüber, dachte er, als er ein dickliches Mädchen sah, die in der Nähe des Gangs saß und über einem Aktenordner brütete, eine trostlose Kaffeetasse neben sich.

      Caro hatte einen Notizblock, verschiedenfarbige Stifte und ihr Handy auf dem Tisch verteilt und war dann noch einmal aufgestanden, um ihnen beiden einen Apfelsaft zu besorgen. Jetzt setzte sie sich Falk wieder gegenüber.

      „Da kommt er.“, raunte sie. „Typisch, zu spät.“

      Falk drehte sich um und musterte den schlaksigen Mann, der, als er Caro erkannte, gemächlich auf sie zu kam. Er trug einen karierten Pulli mit V-Ausschnitt, unter dem man einen kleinen Bauchansatz erkennen konnte. Auf seiner spitzen Nase saß eine Brille mit dickem schwarzen Rand, und in der Hand trug er eine Aktentasche, die Falk unangenehm an seinen ehemaligen Englischlehrer erinnerte.

      Tobias trat an ihren Tisch und begrüßte Caro, die sich halbherzig von ihrem Stuhl erhoben hatte, mit zwei Küsschen. Falk nickte er knapp zu, dann ließ er sich nieder.

      „Die haben hier einen ganz passablen Rioja.“, bemerkte er, und sah Caro erwartungsvoll an. Falk hätte alles Mögliche von ihr erwartet, aber nicht, dass die nun noch mal aufstehen, und kurz darauf mit einem Glas Rotwein vom Verkaufstresen zurückkommen würde. Sie schob es Tobi hin, der ein Paket mit Drehtabak und Papierblättchen aus seiner Tasche gezogen und begonnen hatte, sich eine Zigarette zu drehen.

      „Du machst also immer noch auf rasende Reporterin.“, bemerkte er spöttisch. „Was genau kann ich denn nun für dich tun?“

      Caro lächelte eisern.

      „Zunächst mal vielen Dank, dass du es einrichten konntest.“, sagte sie.

      Dann berichtete sie ihm vom aktuellen Stand ihrer Radiosendung über Handwerk in Jena, wobei sie Falk weder als ‚Praktikant’ noch als 'Produktionsleiter' vorstellte, sondern vage als einen „Freund, der ihr mit der Musik helfen werde“. Sie fuhr fort, dass sie demnächst ein Interview mit dem Goldschmied Argot führen werde.

      „Du weißt, wen ich meine, wir hatten das mal im Seminar „Zünfte in Jena“. Es gibt angeblich schon seit Jahrhunderten eine Art geschäftliche Verbindung der Familie Argot mit dem Geschlecht der Leuchtenburger.“

      „Natürlich weiß ich, wen du meinst. Ich war dein Tutor in dem Seminar. Wie hast du es geschafft, ein Interview mit ihm zu bekommen? Prof. Friedmann hat das damals auch versucht. Ich war dabei. Der alte Argot hat uns hochkant aus seinem Laden geschmissen.“

      „Weiblicher Charme. Jedenfalls dachte ich mir, die Verbindung zu den Leuchtenburgern wäre ein schöner Einstieg für das Interview. Und du bist ja nun ein ausgemachter Experte zu Thüringer Adelsgeschlechtern. Deswegen hatte ich gehofft, von dir noch ein paar Informationen über die Leuchtenburger und deren Hausburg zu erhalten.“

      Fasziniert betrachtete Falk die dunkel verfärbten Zähne von Tobias als der nun ein seltsam gekünsteltes Lachen ausstieß.

      „Ihr wollt also etwas über die Leuchtenburger wissen? Gerade jetzt, wo zufällig die letzte Nachkommin dieses Geschlechts tot in Jena aufgefunden wurde?“

      Er trank einen Schluck und schmatze dabei leicht.

      „Die Sendung hab ich schon lange geplant, Tobi!“, sagte Caro. „Das hat überhaupt nichts zu tun mit der toten Adligen.“

      Sie beugte sich vor.

      „Wenn du uns hilfst, widme ich dir volle fünf Minuten Sendezeit, stelle dich als externen Experten vor und werde nicht unerwähnt lassen, wie du deine beiden Studienrichtungen, Philosophie und Geschichte, in Rekordzeit absolviert hast, und wie sich die Profs darum gerissen haben, dass du bei ihren Lehrstühlen promovierst und überhaupt, wie fantastisch du bist!“

      Sie machte eine Pause.

      „Gegen entsprechende Informationen, natürlich…“

      „Fünf Minuten Sendezeit bringen gar nichts, wenn nur fünf Leute die Sendung hören.“, sagte Tobi.

      Falk sah zu Caro, die sich sichtlich bemühte, vollkommen unbeeindruckt einen Schluck Apfelsaft zu trinken.

      Wieder lachte Tobi, und ließ nun einen Blick zwischen Caro und Falk hin und herwechseln. Falk vermutete, dass er gerade versuchte, ihn und seine Beziehung zu Caro einzuordnen. Bisher hatte er selbst noch nichts beigetragen außer einem knappen „Hallo ich bin Falk“ am Anfang. Jetzt sagte er:

      „Kannst dir die Musik aussuchen, die wir darunter legen. Sex Pistols, Richard Wagner,