Johanna Danneberg

Argots Schwert


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Fehde dahinterstecken soll, musst du aber eine ziemlich spektakuläre Quelle gefunden haben“, sagte sie.

      Sie will ihn bei seinem Stolz als Historiker packen, dachte Falk. Wenn sie ihn dazu kriegt, mehr zu erzählen, dann so. Und tatsächlich, Tobi kniff seine kleinen Mausaugen hinter der Brille zusammen und bemerkte oberlehrerhaft:

      „Ihr kennt die sieben Hauptlaster?“

      Falk warf ein: „Ist Hochmut nicht eines davon?“, und Caro unterdrückte ein Grinsen, bevor sie zu Tobi sagte:

      „Worauf willst du hinaus?“

      „Die Laster – das Wort stammt übrigens vom althochdeutschen ‚laster’ ab, was soviel wie ‚Schmach’, ‚Tadel’ oder ‚Fehler’ hieß – spielten im Hochmittelalter in zahlreichen theologischen und literarischen Werken eine große Rolle, vom Alltag der Menschen mal ganz abgesehen. Und als eines der zerstörerischsten Laster galt der Neid.“

      Bedeutsam sah Tobi zu Caro, die seinen Blick ausdruckslos erwiderte.

      „Ich will an dieser Stelle nicht zu viel verraten.“, fuhr der Doktorand fort. „Aber ich habe ein ziemlich aufschlussreiches Schriftstück von einem Dominikanermönch namens Claudius von Leuchtenburg gefunden, aus dem Jahr 1340. Bruder Claudius lebte und wirkte im Kloster innerhalb der Stadtmauern Jenas. Man geht davon aus, dass es ursprünglich von den Lobdeburgern gestiftet wurde, um ihre und andere adlige nicht-erstgeborenen Söhne unterbringen zu können, ähnlich wie es ja auch das Zisterzienserinnenkloster in Stadtroda für die unverheirateten Töchter gab. Nun, jedenfalls verfasste dieser Mönch eine Abhandlung über das Laster Neid, bei der er sich auf ein Exempel aus seiner Zeit beruft.“

      „Aber keine Namen nennt.“, vermutete Caro.

      Tobi nickte, und erzählte, dass dennoch erstaunliche Parallelen zu der Geschichte der Lobdeburg-Leuchtenburger Teilung und den Geschehnissen der Jahrzehnte danach, bis hin zum Übergang der Lobdeburg an die Wettiner, erkennbar seien. Claudius beschreibe erst den Niedergang eines namenlosen niederen Adelsgeschlechts, und dann, wie der Neid auf die in der Nähe lebende erfolgreichere Verwandtschaft letztlich zum Verrat an deren Feinde geführt hätte, was auch den anderen Familienzweig die Hausburg gekostet habe.

      „Wird Bruder Claudius denn konkret bei diesem Verrat?“, fragte Caro.

      „Ich denke schon.“, erwiderte Tobi geheimnisvoll. „Ich bin noch nicht soweit mit Übersetzen. Aber wenn ich es wüsste,“, fügte er vergnügt hinzu, „würde ich es dir wohl kaum auf die Nase binden!“

      Caro zuckte die Achseln, so, als habe sie nichts anderes erwartet. Ob er sonst noch etwas habe, was seine Fehdentheorie bestätigte, wollte sie betont gleichgültig wissen.

      Tobi schien verärgert über ihr geringes Maß an Ehrfurcht über seine offenkundig bedeutsame Entdeckung, denn er fuhr tatsächlich mit seinen Ausführungen fort. Wie bereits gesagt sei aus verschiedenen städtischen Quellen belegt, dass die Familie der Lobdeburger nach der Vertreibung aus ihrer Burg traditionell ehrbare Berufe bekleidet und bei der Stadtentwicklung Jenas mitgewirkt habe. Die Leuchtenburger hingegen seien nicht nur verarmt, sondern auch ohne Einfluss gewesen, was sicherlich bitter gewesen sei.

      Aber eine Fehde?, unterbrach ihn Caro? Nur wenn ein Familienzweig erfolgreicher war als der andere, sei das doch kein Hinweis auf eine jahrhunderte andauernde Feindschaft!

      „Glaub mir, ich habe Grund zu meiner Vermutung. Es sind auch immer wieder Mitglieder beider Familien unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommen. Das ist belegt durch Briefe von Zeitzeugen, Notizen von Gerichtsvorstehern... Du ahnst ja gar nicht, was man im Archiv so alles entdecken kann. Man muss nur wissen, wo man suchen muss. Wenn du endlich mal anfangen würdest mit der richtigen Arbeit eines Historikers, wäre das auch dir bewusst.“

      Scharf sagte Caro:

      „Ist dir eigentlich klar, was du da andeutest? Willst du etwa behaupten, Marie von Flotow hatte doch keinen Unfall? Willst du behaupten, dass ein Lobdeburger dabei seine Finger im Spiel gehabt hätte? Sie etwa ermordet hätte? Nur weil sie eine geborene Leuchtenburg war?“

      Tobi verzog das Gesicht.

      „Sei doch bitte etwas leiser!“, raunte er und ließ seine Augen verstohlen nach links und rechts wandern, als fühlte er sich von feindlichen Mithörern umzingelt. Falk, der dem Wortwechsel mit wachsender Besorgnis gelauscht hatte, warf unwillkürlich ebenfalls einen Blick über die Schulter. Ein paar Tische weiter sah er die dicke Studentin sitzen, zu deren Kaffeebecher sich mittlerweile ein großzügiges Stück Torte gesellt hatte. Hinter dem Verkaufstresen der Cafeteria tratschten zwei Frauen und sahen immer wieder zu dem Alten mit den abgeschnittenen Handschuhen hinüber, der, den Kopf auf den Tisch gebettet, laute Schnarchgeräusche von sich gab.

      Falk drehte sich wieder um und beugte sich vor, um Tobi besser verstehen zu können. Caro saß währenddessen mit verschränkten Armen und versteinerter Miene da.

      „Kennt ihr diesen Helmut von Lobdeburg?“, fragte Tobi beiläufig. „Sitzt im Stadtrat und bewirbt sich für das Amt des Ortteilbürgermeisters Lobeda. Denkt an sein Anwesen, denkt an sein Wappen. Und stellt euch vor: er ist Betreiber eines Vereins „Freunde der Lobdeburg“!“

      Tobi schien anzunehmen, dass allein diese Tatsache schon allerlei Untaten beweisen würde. Falk konnte in seinem Atem eine Mischung aus Wein, Zigaretten und Heringsbrötchen riechen. Caro zischte mit mühsam unterdrückter Heftigkeit:

      „Nur weil jemand stolz auf seine adelige Herkunft ist, bedeutet das doch nicht, dass er eine Fehde aus dem Mittelalter aufrechterhalten muss. Und deswegen gar zum Mörder wird. Das ist einfach absurd!“

      „Wenn du soviel Ahnung hast, brauchst du mir ja nicht glauben.“, sagte Tobi achselzuckend.

      Dann grinste er plötzlich.

      „Wir wissen nicht, was Marie von Flotow vielleicht im Vorhinein zur Aufrechterhaltung der Fehde beigetragen hat. Zutrauen tue ich euch Frauen so einiges. Ihr spielt doch gerne mal ein falsches Spiel, nicht wahr, Caro?“

      Er lehnte sich zurück und trank so genüsslich seinen Wein aus, als säße er in einem behaglichen Kaminzimmer und nicht unter dem Neonlicht der Universitätscafeteria. Finster sah Caro ihm zu.

      „Was hast du da bloß im Archiv entdeckt, Tobias.“, sagte sie schließlich, offenbar ohne eine Antwort zu erwarten. Falk konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass beide, sowohl Tobi als auch Caro, beinahe Spaß hatten an ihrer Auseinandersetzung. Er hingegen fand das alles gar nicht komisch.

      Tobi sagte unterdessen mit samtweicher Stimme zu Caro:

      „Du sagtest, du hast einen Interviewtermin mit dem alten Goldschmied Franz Argot. Da hat dir dein sogenannter weiblicher Charme also sogar mal genützt und nicht geschadet. Erwähne die Fehde, wenn du mit ihm sprichst. Wenn die Verbindung zu den Leuchtenburgern tatsächlich bestand, dann muss er etwas darüber wissen.“

      Schmeichelnd fügte er hinzu:

      „Eine Hand wäscht die andere, Caro! Erzähl mir hinterher, was er gesagt hat. Dann nehme ich dich auch mit ins Archiv und zeige dir, was ich gefunden habe! Ohne mich kommt du da nie rein.“

      Caro schob ihre Notizen auf dem Tisch hin und her.

      „Vielleicht mache ich das, vielleicht auch nicht.“, erklärte sie. „Aber ganz ehrlich, ich halte nichts davon, irgendwelche Verschwörungstheorien in die Welt zu setzen. Bei meiner Sendung geht es um mittelalterliche Handwerkskunst, und das wird auch das Thema meines Interviews sein.“

      Tobi lachte wieder.

      „Na wie du meinst. Ich hatte eher den Eindruck, du willst was über die Leuchtenburger wissen. Immerhin hast du mich dazu ja auch ganz gut ausgehorcht heute, zusammen mit deinem schweigsamen Kumpanen. Auf diese Radiosendung bin ich wirklich wahnsinnig gespannt.“

      Falk dachte, dass das in etwa so geklungen hatte, wie wenn seine Schwester Theresa einer ihrer Töchter versicherte, dass sie schon mächtig Hunger habe, beim Anblick dieses herrlichen Kuchens aus dem Sandförmchen. Tobi war unterdessen aufgestanden, hatte seine Aktentasche